Uraufführung:Verheerende Ökobilanz

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Thomas Köck beendet mit dem Stück "paradies spielen" am Nationaltheater Mannheim seine Klima-Trilogie. Ein verzweifelt-komischer, stimmiger Abend.

Von Cornelia Fiedler

Die Erde ist eine Eiswüste. Ein Zug rast mit Höchstgeschwindigkeit durch die weißen, klirrend kalten Reste der Zivilisation. Die letzten Überlebenden darin schwanken zwischen Hysterie und Lethargie. Das Szenario erinnert an den Film "Snowpiercer". Doch im Gegensatz zu der Sci-Fi-Comicverfilmung von 2013 mit Tilda Swinton gibt es bei Thomas Köck keinen Plan, keine Rettung, und ganz sicher keine revolutionären Helden. "paradies spielen" der dritte Teil seiner "Klimatrilogie" ist ein wortgewaltiger, verzweifelter, komischer Abgesang. Die Regisseurin Marie Bues findet dafür in der Uraufführung am Nationaltheater Mannheim markante Bilder.

Der Autor verschränkt die großen globalen Katastrophen mit den kleinen menschlichen

Auf einem schmalen, fahrbaren Podest in rot-weißer ICE-Farbe posieren fünf prototypische Zugreisende, wie sie der Zufall zusammenwürfelt. Die Bühnen- und Kostümbildnerin Pia Maria Mackert hat sie in bunte Comic-Tierkostüme gesteckt: eine hochhackige, schrill dauertelefonierende Katze, ein Faultier-Ehepaar in Tracht und zwei Businessreisende als Hund und Hase, deren Affäre aus dem Ruder läuft. Dass das ihr geringstes Problem ist, realisieren sie erst, als ihr "ewiger ICE der Spätmoderne" ungebremst durch sämtliche Bahnhöfe rast, ohne zu halten, und draußen nur noch Eis und Schnee zu sehen sind: Wenn man die Klimakatastrophe lange genug ausblendet, kommt sie eben ganz plötzlich. Substanz geben diesem eher banalen Teil des Plots die - an Paul Virilios Theorie des "rasenden Stillstands" geschulten - Durchsagen eines charmant abseitigen ICE-Zugbegleiters und Todesengels, gespielt und gesungen von dem Musiker und Komponisten Anton Berman. Er stellt zwischen Schlager und Oper die Frage nach dem Ziel, sowohl der zwanghaften Mobilität als auch des ewigen kapitalistischen Wachstumsversprechens. Nüchtern konstatiert er, hier, wo die Menschheit gelandet sei, habe sie sicher nicht ankommen wollen.

Fünf Zugreisende in Comic-Tierkostümen rasen im „ewigen ICE der Spätmoderne“ ohne Stopp dahin, vorbei an den Resten der Zivilisation. (Foto: Christian Kleiner)

Der Kontrast zwischen dieser Comic-Episode westlicher Larmoyanz und dem zweiten Erzählstrang des Abends könnte kaum größer sein. Hinter einer weißen Papierleinwand kauern, ganz nah, aber unsichtbar, Katharina Hauter und Sven Prietz als junges chinesisches Arbeiterpärchen. Nur im Video ist zu sehen, wie sie konzentriert die Geschichte ihres Aufbruchs erzählen, es ist fast eine Beschwörung. Sie sind vor Armut, Smog und gesundheitsschädigender Fabrikarbeit geflohen. Genau genommen sind sie "Klimaflüchtlinge", denn in die Fabrik gingen sie, weil die Erderwärmung das Ackerland unbrauchbar gemacht hatte. Ihre Hoffnung liegt jetzt in Prato in der Toskana, 17 Tage Bahnreise entfernt. Dort schuften Zehntausende chinesische Arbeiter illegal in der Textilindustrie. Die beiden lernen schnell, dass die Aufschrift "Made in Italy" Reisefreiheit für ihre Produkte bedeutet, ihnen selbst aber außerhalb der Fabrik Gefahr droht. Er wird in einem Brand ums Leben kommen, vielleicht ein rechtsradikaler Anschlag. Sie wird nach Tagen der Agonie mit langsamen, festen Schritten einem fahrenden Zug entgegengehen. Wie Hauter dabei mit leisen Worten eine alternative Realität beschwört, in der sie als selbstbewusste Heldin ihrer Geschichte quer durch Europa reist, ist die berührendste Szene des Abends.

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Den dritten Faden der verwobenen Erzählung übernimmt David Müller als "ein Sohn". Still steht er in völliger Dunkelheit, zündet ein Streichholz nach dem anderen an, erzählt im Flackern der Flamme vom Vater, der sich selbst angezündet hat, der im Sterben liegt, dessen Anblick er nicht erträgt. Am Ende scheinen die Geschichten aller anderen samt seiner Trauer durch ihn hindurchzuströmen.

Der 31-jährige österreichische Autor verschneidet in seinem dritten Klima-Stück nach "paradies hungern" 2015 und "paradies fluten" 2016, wieder große globale Katastrophen mit kleinen menschlichen. In dieser Verschränkung werden beide greifbar und können ihre schmerzhafte Wucht entfalten - eine Form, die im besten Sinne an Elfriede Jelinek erinnert. In der präzisen Regie von Marie Bues ist "paradies spielen" der konsequenteste, stimmigste Abend aus Köcks Serie über den ungebremst dahinschlingernden Kapitalismus geworden.

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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