Ulrich Tukur zum Deutschen Filmpreis:"Wir können nicht feiern"

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Der Gewinner des Deutschen Filmpreises als bester Hauptdarsteller, Ulrich Tukur, spricht über öde Dankesreden und Gralshüter der politischen Korrektheit.

Rebecca Casati

Ulrich Tukur ist wahrscheinlich der deutsche Schauspieler, der sich am wenigsten um sein Image sorgt. Fiese Schurken wie den Stasi-Funktionär in "Das Leben der Anderen" spielt er mit besonderer Lust, aber gern auch ungewöhnliche Helden in den moralischen Grauzonen des Dritten Reichs. Beim Deutschen Filmpreis ist er als bester Darsteller für "John Rabe" nominiert, den Lebensretter unterm Hakenkreuz. Falls er gewinnt, darf man auf seine Dankesrede gespannt sein: Die vorletzte hielt er wild gestikulierend auf Italienisch, die jüngste sogar auf Chinesisch - alles selbstverständlich ohne Übersetzung.

"Ist doch schön, wenn sich ein paar Besserwisser aufregen!": Schauspieler Ulrich Tukur. (Foto: Foto: ap)

SZ: Herr Tukur, Sie haben bereits jeden wichtigen deutschen Schauspielerpreis abgeräumt.

Tukur: Ich bin ja auch schon eine Weile dabei!

SZ: Und jetzt, beim Deutschen Filmpreis, gelten Sie schon wieder als Favorit.

Tukur: Ja? Keene Ahnung! Ich sage nur: Man sollte Sepp Bierbichler nicht unterschätzen. Er ist breit und hat Format.

SZ: Welcher Preis war der befriedigendste, den Sie je bekommen haben?

Tukur: Der Boy-Gobert-Preis; es war mein erster. Am Ende der Veranstaltung sprang ein korpulenter Herr auf die Bühne und gratulierte mir in breitestem Sächsisch - das war Gert Fröbe.

Aus anderen Gründen war mir auch der Preis für "Das Leben der Anderen" wichtig. Der Film hatte einen für uns alle überraschenden sensationellen Erfolg. Mein Kollege und Freund Ulrich Mühe lebte noch und wir ließen gemeinsam unsere so alte wie originelle Agentin Erna Baumbauer hochleben. Es war ein bewegender Moment.

SZ: Finden Sie deutsche Filmpreisverleihungen nicht auch meistens schrecklich hölzern?

Tukur: Doch, grausam!

SZ: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Tukur: Wir können nicht feiern. Uns fehlt die lässige Eleganz. Wir machen entweder eine Krampf- oder eine Trauerveranstaltung daraus. Auf jeden Fall irgendetwas Blödes.

SZ: Gefällt Ihnen die Oscar-Verleihung besser?

Tukur: Interessiert mich nicht, zu industriell, zu geschäftsmäßig, zu groß, zu laut. Dann schon eher Frankreich, aber das kommt bei uns nicht an, obwohl die Franzosen unsere Nachbarn sind.

SZ: Was sollte man vermeiden auf solchen Verleihungen?

Tukur: Sich vorher volllaufen zu lassen. Immer erst hinterher!

SZ: Hilft Ihnen der Abstand, der dadurch entsteht, dass Sie schon lang in Italien leben?

Tukur: Sehr.

SZ: Wie ist das Gefühl: Viele Nominierungen für "John Rabe" - aber im Gegensatz dazu viele negative Kritiken?

Tukur: Ich habe noch keine Kritiken gelesen, aber ich habe gehört, dass es neben großer Begeisterung auch unglaubliche Ausfälle gab. Kitschig, faschistisch, rassistisch, hollywoodesk. Ist doch schön, wenn sich ein paar Besserwisser aufregen! Damit kann ich gut leben. Ich habe solchen Ärger ja schon vor zehn Jahren mit Costa Gavras' Film "Der Stellvertreter" gehabt. Er behandelte den seltsamen, individuellen Widerstand des Waffen-SS-Hygienikers und Kirchenmanns Kurt Gerstein. Wir haben versucht zu zeigen: Hinter jeder Ideologie stecken Menschen. Manchmal sogar großartige. Heute hängt Kurt Gersteins Porträt neben dem Dietrich Bonhoeffers im Bendlerblock in Berlin. Während der Pressekonferenz auf der Berlinale sprang ein Journalist, zornbebend und hochrot im Gesicht, auf und brüllte, der Film sei der zweite Verrat am Judentum!

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Ulrich Tukur nur einen Anzug hat.

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SZ: Wie erklären Sie sich das?

Kitschig, faschistisch, rassistisch, hollywoodesk? Ulrich Tukur in "John Rabe". (Foto: Foto: dpa)

Tukur: Manche Menschen reagieren äußerst aggressiv, wenn man ihr historisch-politisches Koordinatensystem ins Wanken bringt. Wir haben auch damals versucht, die Geschichte einer ungeheuren Zivilcourage zu erzählen, die sich einen Scheißdreck um eintrainierte Sichtweisen kümmert, die aber Geschichte zeigt, wie sie nun mal ist: überraschend, widersprüchlich, grau, manchmal geradezu absurd. Gralshüter der politischen Korrektheit kommen damit nicht zurecht. Ich habe das in unserem Fall heute unterschätzt; ich dachte wirklich, der lange Schatten des Nationalsozialismus würde sich allmählich auflösen. Aber für diejenigen, die das Menetekel des Faschismus an jeder Wand und in jeder Bemerkung wittern, sind Herr Hitler und seine NSDAP nach wie vor sinnstiftend.

SZ: In Amerika sind ja angeblich solche Preise für die Karriere eher hinderlich. Aber hier bei uns?

Tukur: In unserer von den Medien und der Wirtschaft dominierten Zeit steigert ein Preis natürlich den Marktwert. Das ist für angehende Künstler wichtig. Für mich ist es eine sehr schöne Belohnung, eine nicht selbstverständliche Anerkennung der eigenen Arbeit.

SZ: Wie viele solche Feste halten Sie im Jahr aus?

Tukur: Och, es gibt ja zum Glück nicht so viele, und in jedem Massenauflauf findet man jemanden, mit dem es lohnt, sich zu unterhalten. Wenn allerdings Hunderte Filmschaffende zusammenkommen, die sich für den Nabel der Welt halten, kann es anstrengend werden. Da bin ich lieber mit Musikern zusammen, die nehmen sich nicht gar so wichtig.

SZ: Wann wissen Sie, was Sie anziehen werden?

Tukur: Ich habe ja eh nur einen Anzug. Ich habe ihn mir dreimal schneidern lassen, und einer davon wird es werden.

SZ: Was ist das für einer?

Tukur: Ein englischer, aus dem Jahr 1938. Höchste Eleganz, tailliert, schwerer Stoff, herrlicher Stoff, weite Hose, fällt wahnsinnig schön. Ich trug ihn bei irgendeinem Film. Er war wie für mich gemacht. Schon kurios, zu keiner Zeit sahen die Menschen eleganter aus und hörten mondänere Musik als in jener finsteren Epoche, in der Europa unterging.

SZ: Wann wissen Sie, was Sie sagen werden? Und an wem orientieren Sie sich beim Redenschreiben?

Tukur: Nichts ist so öde wie eine öde Dankesrede. Das mit den exotischen Sprachen ist wohl ausgereizt. Vielleicht würde ich einen chinesischen Laternentanz aufführen - oder mich einfach auf den Kopf stellen.

SZ: Kann es sein, dass Sie einer der wenigen sind, die das Ganze nicht bierernst nehmen? Tukur: Sie haben es erfasst!

© SZ vom 24.4.2009/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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