Ulrich Mühe ist tot:Von Ostberlin bis zum Oscar

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Er hatte nie etwas anderes werden wollen als Schauspieler. Es dauerte nur eine Zeit, bis er begriff, was das in der kleinen DDR bedeutete.

Marcus Jauer

Und dann zweifelt man einen Moment, ob es richtig ist, dass bei all der Kunst, zu welcher der Schauspieler Ulrich Mühe fähig gewesen ist, einem am Ende das Bild des Stasioffiziers Wiesler ins Gedächtnis drängt. Wie er, klein und in sich gehockt, auf einem Dachboden sitzt, die Jacke bis zum Hals geschlossen und Kopfhörer auf den Ohren. Er starrt hinaus in die Leere, die ihn umgibt, und lauscht hinein in das Leben der Anderen, und allein in seinen Augen kann man lesen, was einer sieht, dessen Blick auf einmal nach innen fällt, ein Augenzeuge.

Ulrich Mühe nimmt den Bayerischen Filmpreis 2006 entgegen. (Foto: Foto: dpa)

Nachdem Ulrich Mühe das Buch zu diesem Film gelesen hatte, fragte er den Regisseur, wie man sowas spielen solle, und Florian Henckel von Donnersmarck antwortete, vielleicht spiele man es einfach gar nicht. Da lächelte Mühe, gab ihm die Hand und sagte: "Gut, ich mach's."

Wahrscheinlich hat er in jenem Augenblick selbst nicht geahnt, dass er für diesen Film nicht nur seine Kunst einsetzen würde, sondern auch sein Leben.

Ulrich Mühe wurde in Grimma geboren, einer Kleinstadt in Sachsen, sein Vater war Kürschner, und obwohl er nie vorhatte, einer zu werden, konnte Mühe sehr schön davon erzählen, wie schwierig es war, in der DDR gute Pelze zu bekommen und wie sich sein Vater freute, wenn mal einer der sowjetischen Offiziere, die zu der Zeit in Grimma stationiert waren, ein Bündel Silberfüchse mitbrachte, weil er damit die Schönheit des Materials feiern konnte. Das machte den Beruf doch aus, das hatte der Vater nicht vergessen.

Als Ulrich Mühe im März dieses Jahres nach Hollywood fuhr, "Das Leben der Anderen" war für den Oscar nominiert, da trug er ein T-Shirt mit der Aufschrift "Grimma". Es sollte ihm Glück bringen.

Er hatte nie etwas anderes werden wollen als Schauspieler. Es dauerte nur eine Zeit, bis er begriff, was das in diesem kleinen Land bedeutete. Er ging nach Leipzig auf die Theaterhochschule und später nach Chemnitz, das da noch Karl-Marx-Stadt hieß. Dort sah ihn Heiner Müller bei der Aufführung seines Stückes "Der Auftrag". Darin geht es um drei Männer, die während der Französischen Revolution vom Konvent nach Jamaika geschickt werden, um unter den Sklaven einen Aufstand anzuzetteln. Als sie ankommen, erfahren sie, dass es in Paris eine neue Regierung gibt und fragen sich, was sie nun tun sollen. Gilt ihr Auftrag weiter, auch wenn der Auftraggeber ausgefallen ist?

Ulrich Mühe spielte den Sasportas, einen ehemaligen Sklaven, der nicht verraten will, was mal als richtig erkannt hat.

Heiner Müller muss gefallen haben, was er sah. Er holte Ulrich Mühe nach Berlin, damit er der Schauspieler werden konnte, der er war. Bald spielte er fast alle großen Rollen, die Berliner Ensemble und Deutsches Theater zu vergeben hatten. Er war Egmont, Philotas und Hamlet. Mit ihm sahen klassische Helden aus wie zarte Männer, zu klein für die Verhältnisse, in denen sie bestehen sollten. Die Zuschauer haben das verstanden. Es passte zu dieser DDR, die immer Helden brauchte und doch nur Menschen hatte.

Mühe hatte nie darüber nachgedacht, die DDR zu verlassen

Es ist Beweis seiner Kunst, dass Ulrich Mühe genau deshalb bald an die Grenzen des kleinen Landes stieß. Mitte der achtziger Jahre meldete sich Bernhard Wicki bei ihm und gab ihm die Hauptrolle in seinem Film "Das Spinnennetz", das bedeutete Arbeiten im Westen. Mühe hatte nie darüber nachgedacht, die DDR zu verlassen, aber er wollte auch nicht in ihr eingesperrt sein. Nun sah es so aus, als ginge beides, gehen und doch bleiben. Er nutzte das Visum um in Westberlin Kino und Theater zu besuchen und merkte nicht, dass man ihn beobachtete. Irgendwann bekam er eine Vorladung zur Musterung.

Die Angst, schießen zu müssen, machte ihn krank: Lesen Sie weiter über Ulrich Mühes Zeit bei der NVA.

Ulrich Mühe war schon einmal bei der Nationalen Volksarmee gewesen, bei den Grenztruppen, die Angst auf einen Menschen schießen zu müssen, hat ihn krank gemacht. Zwei Drittel seines Magens ließ er im Lazarett, danach war er frei. Er hatte nicht geglaubt, je wieder eine Uniform tragen zu müssen, aber nun stand er in einem Wehrkreiskommando, Offiziere saßen ihm gegenüber und sagten, er wisse ja, dass sie ihn sofort hier behalten könnten. Als die Offiziere mit ihm fertig waren, brach er im Hof weinend zusammen, dann ging er zum Intendanten ins Theater und verlangte, dass das aufhört, sonst reise er aus. Es war nur ein Anruf, aber Mühe hat nicht vergessen, dass auch dies Willkür war, die Vorladung und der Anruf, beides. Es mag für andere Menschen andere Situationen gegeben haben, in denen sie erkannten, was für ein Staat die DDR war, bei ihm war es eben diese.

Märchen in der Diktatur

Als "Das Leben der Anderen" ins Kino kam, zog Ulrich Mühe mit dem Film durch Ostdeutschland. Er war unruhig, er wusste nicht, ob die Leute verstehen, dass es einen wie diesen Stasioffizier Gerd Wiesler nie gegeben hat. Es war ein Märchen, aber es hatte einen wahren Kern. "Diese DDR war eine Diktatur", sagte er, wenn die Vorstellung aus war und die Diskussion begann, "ich habe mich nach der Wende zwingen müssen, es beim Namen zu nennen, aber ich wollte es sagen, Diktatur." Für jemanden, der nicht in der DDR gelebt hat, mag es seltsam scheinen, wie einer mit sich kämpfen muss, etwas so Offensichtliches festzustellen. Aber jemanden, der mehr als die Hälfte seines Lebens darin verbracht hat, setzt sich damit einen Maßstab: Wenn dieser Staat eine Diktatur war, wer war ich eigentlich in ihr?

Man hätte denken können, dass Ulrich Mühe die DDR lange hinter sich gelassen hatte. Im Herbst 1989, am 4. 11., hatten er und andere vor einer Millionen Leuten auf dem Alexanderplatz gesprochen. Für einen Moment sah es so aus, als gebe es nochmal eine Sache, die alle anging, aber vielleicht war das damals schon Illusion. Fünf Tage später fiel die Mauer, danach kümmerte sich jeder um seine Angelegenheiten. Mühe verließ das Deutsche Theater, ging nach Salzburg, Wien, Hamburg, arbeitete mit Luc Bondy und Peter Zadek. Zum zehnjährigen Todestag Heiner Müllers inszenierte er das Stück, bei dem sie einander begegnet waren, so hatte er es ihm am Grab versprochen. Dann schien es auch für ihnen keinen Auftrag mehr zu geben, bis er auf einmal die Rolle des Hauptmanns Wiesler annahm.

Zur Wende trennten sie sich

In einem Begleitbuch zum Film gab er dem Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck ein Interview, in dem er auch davon erzählte, dass seine frühere Ehefrau Jenny Gröllmann, für die Stasi gearbeitet habe. Gröllmann war in der DDR eine sehr bekannte Schauspielerin gewesen, Mühe und sie galten als Traumpaar, zur Wende trennten sie sich. Mühe, der in Berlin nur einige hundert Meter von ihr entfernt wohnte, hatte immer gehofft, sie würde sich ihm offenbaren, aber sie sprachen nicht mehr miteinander, und als das Interview heraus war, sprachen nur noch ihre Anwälte. Gröllmann stritt ab, Inoffizielle Mitarbeiterin gewesen zu sein. Am Ende mussten die Gerichte entscheiden, da lebte Gröllmann schon nicht mehr, sie starb im vergangenen August an Krebs.

Heute ist es leicht zu sagen, dass kein Mann einen Prozess gegen eine Frau gewinnt, die im Sterben liegt. Ulrich Mühe hat damals nur gedacht, er könne sich die Freiheit zu sagen, was er für richtig hält, nicht mehr nehmen lassen. Er wollte der DDR entkommen. Er hat es bis nach Hollywood geschafft, aber sie war immer dabei. Zuletzt als ein Märchen, von einem, der auf dem Dachboden sitzt und sich in dem, was er hört, aus den Verhältnissen befreit, die ihn klein machen und niederdrücken. Zum Glück ist es die Kunst, die dabei an einer Seite steht - wer sonst hätte das spielen sollen?

Wie gestern bekannt wurde, ist Ulrich Mühe am Sonntag in Walbeck in Sachsen-Anhalt an Krebs gestorben. Er wurde 54 Jahre alt.

© SZ vom 26.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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