Übertritte zum Islam:Mysterium Konversion

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Was geht vor in den Leuten, die der Verfassungsschutz genauer unter die Lupe nehmen soll? - Warum der Islam auch für Westler so verführerisch sein kann.

Stefan Weidner

Ist man wirklich tendenziell unzurechnungsfähig, wenn man der Versuchung erliegt, zum Islam zu konvertieren? Was geht vor in den Leuten, die der Verfassungsschutz demnächst genauer unter die Lupe nehmen soll? Was aber tun, wenn sich, um mit Freud zu sprechen, dann herausstellt, dass das Ich gar nicht Herr ist im eigenen Haus? Wenn am Ende in jedem von uns ein Trieb steckt, der sich nur durch die Konversion zum Islam befriedigen lässt?

Im Islam finden viele eine Geborgenheit, die sie im Christentum vermissen. (Foto: Foto: Reuters)

Die meisten, die sich mit dieser Religion auseinandersetzen, ahnen die Gründe, die für ihn sprechen könnten. Um zum Islam zu konvertieren, muss man weder einen seelischen Schaden haben, noch Hass gegen die eigene Herkunft hegen, wie es die Küchenpsychologen so gerne deuten.

Ich weiß ein wenig, wovon ich rede, denn fast wäre ich als junger Mann selber Muslim geworden. Der Islam verspricht, was viele im Christentum heute vermissen und was selbst der Buddhismus und all die anderen Alternativreligionen nicht bieten können, den furchtbaren und den anheimelnden Gott, das mysterium tremendum und das mysterium fascinans.

Versuchung zum Jawort

Diesen furchtbaren, drohenden, im Brustton der Überzeugung sprechenden Gott wird, wer empfänglich für Sprache ist, selbst durch die schlechteste Koranübersetzung herausspüren. Der Koran hat in dieser Hinsicht eine andere Kraft als die Bibel, in der einschlägige Passagen erzählerisch besser abgefedert sind, in der Gott selten so unvermittelt und absolut daherkommt.

Ein koranischer Vers wie "Wir schufen einst den Menschen und wissen, was ihm seine Seele einzuflüstern sucht: Näher sind wir ihm als seine Halsschlagader" lädt dazu ein, ihn unmittelbar auf die eigene Lebenssituation zu beziehen. Wie ein Donner aus heiterem Himmel mahnt er zur Umkehr. Früher hörten die Christen ähnlich Vehementes in der Predigt. Aber die Autorität eines Priesters, der im Namen Gottes mit Strafen droht, konnte angezweifelt und untergraben werden, weil er doch nur ein Mensch ist.

Im Koran wettert Gott selbst in seinen eigenen Worten. Zweifeln kann man sicherlich, aber man zweifelt dann gleich am transzendenten Prinzip und wird es sich gut überlegen.

Noch etwas hat Allah dem biblischen Gott voraus: Wer den Koran liest, fühlt sich öfter selbst angeredet, als wäre auch er ein Prophet. Das ist betörend und unheimlich zugleich. Der Appellcharakter ist entsprechend größer und ebenso das Versprechen der Geborgenheit, wenn man nachgibt und sich bekennt.

Man könnte den Islam mit dem Heiratsantrag eines äußerst viel versprechenden, obschon recht autoritären Typen vergleichen. Die Versuchung zum Jawort ist bei solchen Anträgen naturgemäß groß, selbst wenn der Verstand schüchtern ein paar Einwände macht.

Dies ist die Urszene jeder persönlich motivierten Konversion. Religionswissenschaft und Soziologie haben dazu nicht viel zu sagen. Der Verfassungsschutz gar nichts.

Die froheren Farben

Gewiss, für den Geborgenheit verheißenden Heiratsantrag ist scheinbar nur der anfällig, dem die eigene Kultur etwas Vergleichbares nicht oder nicht ausreichend bietet. Doch Hand aufs Herz: Wem bietet die eigene Kultur ausreichend Geborgenheit? Wer kann überhaupt je genug davon bekommen?

Nicht umsonst sind wir so vernarrt in alle Arten von Versicherungen. Das Versprechen lockt immer und alle, und der Islam bemüht sich, es einzulösen, nicht zuletzt dank eines Aspekts, den wir Demokraten am heftigsten kritisieren (und komischerweise als Christen nicht missen): Dass Religion und Gesetz, Staat und Moschee ein Ding sind.

Schluss mit den ewigen Persönlichkeitsspaltungen, verheißt der Islam, Schluss mit dem first, dem second, dem third und so weiter life! Die Demokratie verlangt von den Bürgern, Gesetze ständig zu überdenken, zu verändern, zu verbessern. Sie macht es schwer, sich mit dem Status quo zu identifizieren, und so droht sie uns zu überfordern.

Mit dieser Überforderung macht die Konversion Schluss, selbst wenn der Verstand wieder einwendet, dass der Konvertit ja nicht im islamischen Mittelalter, sondern meist nach wie vor in einer westlichen Demokratie lebt.

Das Anheimelnde des Islams, sein tremendum fascinans, ist in diesem Beispiel bereits berührt. Wagen wir, was in der laufenden Debatte niemand wagt, und reden wir übers Herz. Welche Herznahrung offeriert das heutige Christentum oder selbst der Buddhismus? Bietet nicht in Wahrheit die säkularisierte Gesellschaft in dieser Hinsicht viel mehr als die meisten Religionen?

Nur der Islam kann auf emotionalem Feld mit der westlichen Konsumgesellschaft konkurrieren. Wie schwer sein Stand im Wettkampf um die Seelen ist, erkennen wir am Konsumrausch, der die Muslime ergreift, sobald sie es sich leisten können, erkennen wir am Bauboom in den arabischen Emiraten, an den riesigen Shopping Malls von Dubai, Abu Dhabi, Riad.

Der Vorteil des Islams besteht einzig darin, dass für den Konsum Geld benötigt wird, der Glaube an Allah hingegen kostenlos ist. Die Konversion ist in der Tat eher eine Sache für weniger Bemittelte oder diejenigen unter den Geldhabern, die die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse über den Konsum ablehnen.

Bliebe, um die Konversion zu erklären, die Frage, worin die Herznahrung des Islams genau besteht. Für die meisten Konvertiten und für fast alle, die in die Versuchung geraten, sich bekehren zu lassen, sind die Muslime selbst dieser Grund. Nicht umsonst sind die meisten deutschen Konvertiten keine zornigen jungen Männer, sondern Frauen, die Muslime geheiratet haben oder heiraten wollen.

Wie problematisch auch immer sich Freundschaften oder Ehen mit Muslimen wie mit allen anderen Menschen entwickeln kann, wie wenig dies mit der Religion selbst auch zu tun haben mag: Muslime (gleich ob gläubig oder nicht) sind rein statistisch betrachtet umgänglicher als der durchschnittliche Mitteleuropäer. Vom Charme, den muslimische Gastgeber in ihrer Heimat gegenüber Fremden entwickeln können, gar nicht zu reden.

Sowieso kann, wer in der islamischen Welt reist, leicht der bekannten südlichen Faszination erliegen. Mag das mit dem Islam alles wenig zu tun haben, das stärkere Licht, die froheren Farben, die intensiveren Gerüche tragen zu seiner Aura unleugbar bei.

Zu streng mit diesem Gott

Das vom geistigen Standpunkt aus stärkste Argument für die Konversion haben wir aber noch gar nicht erwähnt. Es ist die gottsucherische Seite des Islams, jene die sich mit dem überlieferten Religionsgesetz nicht zufrieden gibt, es oft nicht einmal wörtlich nimmt. Hier zeigt sich der Islam als eine Religion, die in Wahrheit ein großer, sich immer neue Einflüsse einverleibender Synkretismus ist.

Jüdisches, Christliches, Buddhistisches, Altarabisches (wie die Wallfahrt nach Mekka), lokale Volksreligionen und sufisch-mystische Orden bilden ein kaum entwirrbares Gemisch, in das die neuen Islamdenker noch modernes westliches Gedankengut integriert haben. In einem solch universalem Islam kann jeder Gläubige nach seiner Façon glücklich werden, dabei Wein trinken wie die muslimischen Dichter und dennoch durch gelegentliches Blättern im Koran jederzeit an der göttlichen Allgegenwart teilhaben.

Den Fundamentalisten ist das ein Dorn im Auge, aber keine Religion macht so einfach glücklich wie dieser nach Lust und Laune interpretierte Islam. Und seine Verbreitung ist groß.

Wer daher glaubt, dass er gegen die Versuchung, Muslim zu werden, allezeit gefeit ist, dürfte nicht tief in die eigene Seele geschaut haben. Was aber mich betrifft, sollte ich vielleicht verraten, warum ich trotzdem nicht konvertiert bin.

Nun - ich kann einfach keine autoritären Typen ausstehen, selbst wenn sie Allah heißen. Aber manchmal frage ich mich, ob ich nicht zu streng bin mit diesem Gott und den Fehler der Fundamentalisten begehe, nämlich alles, was Er angeblich gesagt hat, wörtlich zu verstehen.

Stefan Weidner ist Schriftsteller und Übersetzer. Er hat Islamwissenschaft studiert und mehrere Bücher verfasst, darunter "Mohammedanische Versuchungen. Ein erzählter Essay."

© SZ v. 8./9.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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