Udo Jürgens tourt:Der Sonnenkönig des Pop

Lesezeit: 4 min

Der letzte Entertainer alter Schule: Udo Jürgens startet seine 40. Deutschland-Tournee in Köln. Fulminant - muss man wohl sagen

Oliver Fuchs

Zur Vorbereitung auf ein Konzert mit dem erfolgreichsten deutschsprachigen Unterhaltungskünstler, kann man sich glatt 2,4 Gigabyte seiner Lieder auf den i-pod laden. Oder 4,6 Gigabyte Archivmaterial lesen. Das Tolle an einem Udo-Jürgens-Konzert ist ja, dass man vorher schon alles zu wissen glaubt. Tipptopp und klar. Klar wie Kloßbrühe, würde er selbst vermutlich sagen. Weil ¸¸Kloßbrühe" ein so nahe liegendes Wort ist. Ja herrjeh, alte Schule. ¸¸Udo "80" hat die Republik ebenso im Fernsehen gesehen wie ¸¸Udo "75" und ¸¸Udo "85".· Donnerstag, ZDF, 19.30 Uhr. Den Eltern hat es gefallen, den Großeltern nicht so. Weil manche Lieder zu frech waren. Der Opa mochte ¸¸Mit 66 Jahren" überhaupt nicht. Es sei doch gar nicht wahr, dass das Leben mit 66 erst anfange. Drei Jahre später ist er gestorben. Mit 66 Jahren. Klingt ausgedacht, ist aber die Wahrheit.

Großer Jubel, ein Pulk von Verehrern stürmt zur Bühne, und es sind keineswegs nur mittelalte Sekretärinnen und Sachbearbeiterinnen (wie es auch immer hieß). (Foto: Foto: Reuters)

Udo Jürgens steht pünktlich um 20 Uhr auf der Bühne der riesengroßen Köln-Arena, und zwar als Schattenriss hinter einer himmelblauen Leinwand, also so wie auf dem Cover seiner neuen CD. Es ist das 50. Album, und die 40. Tournee, und zu der Platte wäre noch zu sagen, dass sie so gut ist, dass Udo Jürgens dafür in Frankreich (wo sie Leute wie ihn und Bécaud und Aznavour nicht nur lieben, sondern auch respektieren) einen Orden bekommen hätte. Udo Jürgens trägt einen schwarzen Anzug mit rotem Innenfutter, keinen Smoking (wie sonst immer zu lesen ist). Er setzt sich an einen schwarzen Flügel und nicht an den ¸¸berühmten Plexiglas-Flügel" (wie es sonst immer heißt).·Das ist schon mal die erste Überraschung des Abends.

Als der Vorhang fällt, sieht man die Pepe Lienhard Band, die in Wirklichkeit ein ziemlich großes Orchester ist mit Kontrabass, Geigen, Cello, Bläsern, Gitarre, zwei Sängerinnen - auch das alte Showschule. Man fragt sich, wie der Mann da vorne am Flügel in die Tasten greift: Wie ein Liebender ins Haar der Geliebten? Wie ein Notarzt beim Wiederbelebungsversuch an einem Schwerverletzten? Das wäre für den Formulierungskosmos des Udo Jürgens ein wenig zu konstruiert. Das Schöne liegt ja oft so nah, und man muss sagen: Er liebt zwar große Worte, aber Wortgeklingel ist ihm fremd.

Erst gibt es fast nur neue Lieder und entsprechend überschaubaren Applaus. Darunter ¸¸Auch kleine Steine ziehen große Kreise". Ein Allgemeinplatz, könnte man sagen, eine Binse. Dass kleine Steine mitunter auch große Kreise ziehen, lässt sich ebenso schlecht leugnen wie die von ihm besungene Tatsache, dass die Sonne immer, immer wieder aufgeht und den Schnaps sehr wahrscheinlich der Teufel gemacht hat.

Kurz vor der Pause dann der erste Hit: ¸¸Ein ehrenwertes Haus". Großer Jubel, ein Pulk von Verehrern stürmt zur Bühne, und es sind keineswegs nur mittelalte Sekretärinnen und Sachbearbeiterinnen (wie es auch immer hieß). Viele sehen eher aus wie Studenten. Einige sehr Junge, viele Alte. Überhaupt dürfte das Publikum einem repräsentativen Bevölkerungsschnitt sehr nahe kommen.

Staunenswert: Wie jeder Einsatz in diesem Konzert millisekundengenau kommt, wie das Orchester gleich einem Schweizer Uhrwerk funktioniert. Dazu sagt man wohl: Handwerk. Oder auch: Hingabe. Keine Ahnung, ob Udo Jürgens und sein Bandleader Pepe Lienhard· ¸¸Vielen Dank für die Blumen" und ¸¸Es wird Nacht, Senorita" nun schon zum 5000. oder bereits zum 50 000. Mal gemeinsam spielen. Sie tun es jedenfalls mit großer Anteilnahme.

Von Zeit zu Zeit tritt auf ein Zeichen von Udo Jürgens jemand aus dem Orchester vor und spielt ein Solo. Und tritt dann wieder ab. Es sind sehr feine, aber klare Signale. Ein bisschen wie von einem absolutistischen Herrscher. Udo Jürgens, dies wird im Verlauf eines fast dreistündigen Abends, der vorbeirauscht wie aus dem Lehrbuch alter Entertainmentschule, deutlich, ist nicht der große Exzentriker und nicht der Gedankenzerfurchte - er ist der Sonnenkönig des deutschsprachigen Liedes: mit all seinem Lieben und Leiden ein armer Irrer wie wir alle, allein: mit was für einer Eleganz findet der Mann kleine Töne und knappe Gesten, wo seine vielen Nachfolger aus dem Show- und Schlagergewerbe immer nur kräftig auf die Pauke hauten. So einer ist nicht mit Marschmusik groß geworden, sondern mit Jazz, und wenn man sich davon überzeugen will, muss man Udo Jürgens eben doch auf der Bühne gesehen haben.

· ¸¸Aber bitte mit Sahne" mit dem scheppernden Beat und den schneidend scharfen Bläsern ist dann an diesem Abend in Köln fast Fusion-Funk-Rock. Ein weiteres Mal kulminiert der Abend bei ¸¸Ich war noch niemals in New York",· sanft umhüllt von Sinatras Ode an ¸¸New York, New York". Quasi Bastard-Pop. Das Lied ist aus den achtziger Jahren, denkt man erst, und vielleicht nicht mehr zeitgemäß. Mittlerweile gibt"s doch schon Flüge nach New York für 87 Euro. Andererseits stimmt es natürlich: Mit zerrissenen Jeans ist man noch nie durch München-Laim, geschweige denn San Francisco gelaufen. ¸¸Einmal verrückt sein und aus allen Zwängen fliehen", schön wär"s.

· Man hat aber nicht den Eindruck, dass Udo Jürgens jetzt lieber in Paris, Las Vegas oder eben New York wäre. Nein, Udo Jürgens gibt den Kölnern das Gefühl, dass Köln sehr okay ist. Er mag etwas von der Melancholie Aznavours haben und von der Virilität des Bécaud und von der Schlitzohrigkeit Sinatras - aber im Grunde verbindet er das Leichte mit dem Schweren und das Schwere dann wieder mit dem Leichten so, dass man sein Konzert jedenfalls stark bewegt verlässt und dabei auch noch das Gefühl hat, nicht für dumm verkauft worden zu sein.

Stehende Ovationen, tosender Applaus. Die Köln-Arena bebt und wackelt noch, als die zwei im Bademantel absolvierten Zugaben längst verklungen sind.

Wer nur Elias Canetti gelesen, aber nie Udo Jürgens gesehen hat, der hat von ¸¸Masse und Macht" wenig begriffen. Die 4,6 Gigabyte Archivmaterial hauen wir jetzt in die Tonne. In den Zeitungen und bunten Blättern steht ja wirklich fast nur Quatsch.·Er ist nun 71. Und so wie es aussieht, wird er noch eine Weile unser aller armer Irrer bleiben. Ein großer Abend.

Weitere Tourdaten (Auswahl): Leipzig 4. 2., Berlin· 7. 2., Bremen 11.2., München 16. 2., Stuttgart 17. 2, Frankfurt 20. 2., Dortmund 24. 2., Hamburg 25. 2.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.24, Montag, den 30. Januar 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: