TV-Schleichwerbung:Was lief wirklich in der ARD?

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Als im Ersten Schleichwerbefälle bekannt wurden, stellte die ARD sich als Opfer dar. Jetzt soll Achim Rohnke Chef der ARD-Tochter Bavaria werden. Was wusste er über die Pannen?

Hans-Jürgen Jakobs und Christopher Keil

Der Sommer 2005 war für die ARD eine schlechte Jahreszeit. Woche für Woche kamen neue Details einer schmutzigen Schleichwerbeaffäre heraus - in der Daily Soap Marienhof und in der Krimireihe Tatort waren über viele Jahre hinweg Produkte gegen Geld platziert worden. Als Schuldige identifiziert und gefeuert wurden rasch Manager des Münchner Produktionsriesen Bavaria. Die Firma gehört zum großen Teil dem Kölner ARD-Großsender WDR.

Vor zwei Jahren wurde ein WDR-Produzent wegen des Vorwurfs, an Schleichwerbung beteiligt zu sein, entlassen. Im März hat der WDR nun den Prozess gegen diesen Mitarbeiter erstinstanzlich verloren. Das Kölner Landgericht urteilte, der WDR habe etwaige Fälle von Schleichwerbung nicht substantiiert. Beim WDR weiß über Schleichwerbung niemand etwas, auch nicht ein Manager wie der abgebildete Achim Rohnke, der die WDR Media Group und die ARD Sales & Services leitet. (Foto: Foto: WWF/Herzau)

Die ARD-Vertreter hingegen stellten sich als Opfer dar. Besonders eloquent war Achim Rohnke, 50, Chef der WDR Mediagroup und der ARD Sales & Services. Der Mann, der für das öffentlich-rechtliche System Werbegelder akquiriert, erklärte: Die Mediagroup sei "doppelt geschädigt worden" - als Mit-Auftraggeber für den Marienhof und als Werbezeitenvermarkter. Da erschien es nur zu logisch, dass der Bavaria-Großgesellschafter WDR den Aufstieg Rohnkes zum neuen Mitgeschäftsführer der Bavaria förderte. Zum 1. Juli 2008, so ist es abgemacht, soll Rohnke den kaufmännischen Part bei der Bavaria übernehmen.

Bock zum Gärtner?

Die Frage ist: Wird damit der Bock zum Gärtner gemacht? Wie unbelastet ist Achim Rohnke in der Bavaria-Affäre? Und: Was lief wirklich in der ARD?

Nun sind in einem Prozess rund um die Schleichwerbeaffäre Dokumente aufgetaucht, die Fragen über den untadeligen Manager Rohnke nahelegen. Nachweislich hat er in drei Fällen schriftlich dem TV-Produzenten Georg Feil, der die Bavaria-Tochter Colonia Media in Köln geleitet hat, kommerzielle Partner angedient. So schrieb Rohnke am 6. März 2002, die Westfälische Provinzial in Münster sei "sehr an Kooperationen zum Thema Münster Tatort interessiert". Er habe dem verantwortlichen Manager der Versicherung die Adresse und Telefonnummer Feils gegeben, "so dass er sich mit Ihnen in Verbindung setzen wird".

Am 10. Oktober 2002 informierte der Diplom-Kaufmann Rohnke, der in Münster studiert hat, den Bavaria-Mann Feil über Avancen der Agentur Mediaplus aus München. Ihr sei für ihren Kunden WestLotto aus Münster sehr an Zusammenarbeit gelegen. Und schließlich teilte Rohnke fünf Wochen später generell mit, dass die Zuendel-Beratungsgruppe aus Nettetal für deren Klienten "an Kooperationen mit Colonia Media bzw. der Bavaria-Gruppe sehr interessiert" sei. Er habe dem Gesellschafter Zuendel ("der mir vom WDR vermittelt wurde") die Daten von Georg Feil übermittelt.

Die Korrespondenz lässt auf Musterbriefe schließen, auch wenn der WDR erklärt, es gebe nur diese drei Schreiben. Hat sich Akquisiteur Rohnke für Geschäfte bei der Bavaria, die später als anrüchig galten, selbst stark ins Zeug gelegt? Als langjähriger Mitarbeiter des Konsumgüterriesen Procter + Gamble (Ariel, Pampers) ist Rohnke Marketingspezialist. Mit Anfragen für Product Placement will er bei der ARD noch nie etwas zu tun gehabt haben. Dabei hielt beispielsweise ein Gutachten der Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young fest, dass bei TV-Filmen die Sender nicht alle Kosten tragen würden, sondern die Produzenten "bis zu 9,5 Prozent der Kosten zuschießen" müssten. Das Zusatzgeld kommt von werbewilligen Firmen.

An der Verkaufsfront

Rohnke hat andere Erklärungen. "Bis zum Bekanntwerden der Vorfälle bei der Bavaria hatten wir keine Kenntnisse von Product Placement", erklärt seine Firmensprecherin auf Anfrage. Bei den fraglichen drei Schreiben handele es sich "um die Übermittlung von Marketinganfragen zu Kooperationen im Off-Air-Bereich". Product Placement lehnten Rohnke und die WDR Mediagroup strikt ab. Schleichwerbung beeinträchtige auch die Qualität der Bavaria-Produktionen, lässt Rohnke in Bezug auf seine neue Arbeitsstelle erklären. Off air? Kooperationen jenseits der TV-Tatort-Filme? Was könnte die Versicherung aus Münster und die Lotto-Gesellschaft da gereizt haben?

Es sei angedacht gewesen, die TV-Kommissare in Werbekampagnen, Promotions an der Verkaufsfront ("Point of Sale") und beim Merchandising einzubinden, erklären die Macher vom WDR. Papp-Aufsteller also wie einst bei Tatort-Kommissar Manfred Krug für die Deutsche Telekom - die gleichwohl dann in einem Fall als Schleichwerber beim ARD-Krimi auffällig wurde.

Der WDR führt aus, der eigenen Revision sei Product Placement lediglich als "abstraktes Phänomen" bekannt gewesen. Der Begriff "Industriekooperation" sei "in diesem Zusammenhang ungeeignet und irreführend, da er allgemein anerkannt rechtmäßige Kooperationsformen - etwa im Off-Air-Bereich - und rechtswidrige Praktiken unzulässig miteinander vermengt", erklärt WDR-Justiziarin Eva-Maria Michel.

Tatsächlich legen weitere Unterlagen den Verdacht nahe, dass schon vor zwei Jahrzehnten ein geheimes Zusammenspiel zwischen der Bavaria Film GmbH und ihrem Großteilhaber WDR bestanden hat. In einer Aktennotiz ("Persönlich-vertraulich") hielt der damalige Bavaria-Produktionsleiter Lutz Hengst zum Beispiel 1986 fest, er habe mit dem seinerzeitigen WDR-Filmverantwortlichen Horst Schering im Laufe des Sommers 1985 telefoniert, "um über die Möglichkeiten von Product Placement in Bavaria-Produktionen für den WDR zu diskutieren".

Beim Spielfilm Zahn um Zahn habe man ja bereits Erfahrungen sammeln können. Bei einem Besuch in Köln seien dann die Weichen gestellt worden. Schering habe gebeten, Gespräche nur telefonisch zu führen und keine offiziellen Briefe mit dem WDR zu wechseln.

"Ein paar Hierarchien betroffen"

Daraufhin habe er rasch Kontakt mit Andreas Schnoor von der Agentur Kultur + Werbung aufgenommen, schildert Hengst - mit jenem Branchenexperten also, dessen Firma im Bavaria-Skandal 2005 auffällig geworden ist. Sind Mitte der achtziger Jahre die brisanten Dinge initiiert worden, die sich bis zu den Enthüllungen prima entfalten konnten?

1986 reiste eine Mitarbeiterin des WDR-Manns Schering aus Köln nach München. Über ein Gespräch mit der Emissärin fertigte Hengst am 19. März 1986 eine Aktennotiz an. Der Bavaria-Manager habe ihr demnach die Verträge vorgelegt, die mit der Agentur Kultur + Werbung für einen Tatort (Titel: "Bazooka-Bande") geschlossen worden seien. Bavaria-Mann Hengst führt weiter aus, dem Gast sei gesagt worden, "dass die Rohschnittabnahme durch die Vertragspartner der Industrie stattgefunden hat". Insgesamt stünden dem WDR aus den verbleibenden Erlösen genau 79 500 DM zur Verfügung.

Hat sich damals ein klandestines System eingeschwungen, von dem mancher wusste? Ein System, in dem Zahlungen stets über den Ableger Bavaria Sonor abgewickelt wurden?

Der WDR bestreitet das. Schering sei lange kein Mitarbeiter mehr. Auf Nachfrage habe der frühere Chef von WDR International die Darstellung des 1999 verstorbenen Produktionsleiters Hengst abgestritten und versichert, dass er Product Placement "nie sanktioniert oder genehmigt habe". Wie kam es aber, dass just 1986 ein anderer Tatort - "Paroli" mit Götz George als Schimanski - Aufsehen erregte?

Damals lutschte der Kommissar Hustenbonbons einer bestimmten Marke. Der seinerzeitige WDR-Intendant Friedrich Nowottny gestand, es habe von höchster Stelle "Zustimmung für diesen einen Film" gegeben: "Hier sind ein paar Hierarchen betroffen." Der damalige WDR-Fernsehdirektor Günter Struve, heute ARD-Programmdirektor, hatte jedoch zuvor erklärt, es habe seitens der Redaktion "an einem klaren Hinweis" auf Schleichwerbung gefehlt

Offenbar hat es in der ARD oft an viel mehr gefehlt: an einer klaren Handhabe gegen die schon immer illegale Schleichwerbung. Wurde Realität ausgeblendet? Bavaria-Chef Dieter Frank, dessen Posten Top-Vermarkter Rohnke bald einnehmen soll, erklärt, weder die Branchenüblichkeit von Product Placement noch die Verwicklung des eigenen Produktionsbereichs seien ihm bekannt gewesen: "In meinen Geschäftsbereichen gab es kein Product Placement." Die Jahresabschlüsse der Tochterfirma Colonia Media seien durch unabhängige Wirtschaftsprüfer testiert worden, es habe keinen Hinweis auf Unregelmäßigkeiten gegeben.

"Aktiv weggeschaut"

Nachdem vor zwei Jahren die Missstände öffentlich geworden waren, prüften die Revisoren des WDR. Sie erwähnen in ihrem geheimen Bericht Verträge über Placement, in denen Leistungen und Zahlungen genau fixiert waren: "Also kosteten bei Tatorten 15 bis 30 Sekunden im Bild 25 000 Euro plus Umsatzsteuer." Erneut ging es im Report der Revisoren um den Tatort aus Münster.

Es wurde eine Zahlung der Staatlichen Toto-Lotto GmbH für "Projektentwicklung" registriert. Der Bereich der Industrie-Kooperationen sei vom damaligen Colonia-Media-Chef Frank Döhmann geleitet worden, dessen einstiger Mit-Geschäftsführer Feil nach eigenem Bekunden "aktiv weggeschaut" habe. Die Placements seien nicht Teil des Drehbuchs gewesen, sondern erst am Set entstanden, so der WDR-Bericht.

Der Sender erstattete Anzeige gegen Döhmann und strengte eine Klage an. Am Landgericht Köln verlor der WDR im März - und kündigte an, in die Berufung zu gehen. Aber ganz sicher scheint sich der Sender nicht zu sein. "Wir weisen ausdrücklich daraufhin, dass wir beauftragt worden sind, die Berufungsaussichten zu überprüfen. Es steht noch nicht fest, ob die Berufung auch begründet wird", schreiben WDR-Anwälte.

Das Unternehmen habe keinen Anspruch auf Zahlung eines Schadensersatzes, hatte das Gericht geurteilt und den Kölner Sender kritisiert. So habe der WDR etwaige Fälle von Schleichwerbung nicht substantiiert - man gehe davon aus, dass sie "bei nur oberflächlicher Prüfung der Jahresabschlüsse und der Buchhaltung offensichtlich gewesen" wären. Zudem sprachen die Richter von "Sittenwidrigkeit".

Döhmannn hatte im Prozess offenbart, hinter dem Buchungstext "allgemeine Produktionsberatung" hätten sich "tatsächlich vereinbarte und abgerufene Unterstützungsleistungen im Bereich des Product Placements versteckt", so die Urteilsbegründung.

Konnten solche Praktiken viele Jahre verdeckt bleiben? Nein, offenbarte Martin Buchhorn, langjähriger Fernsehspielchef des Saarländischen Rundfunks, in einem Interview mit Hörzu: "Schleichwerbung und Produktplatzierungen waren immer wieder Thema in den einzelnen Häusern, selbst in den Gremien, in ARD-Koordinationssitzungen. Und unter dem Strich stand immer: Macht's, aber tragt nicht zu dick auf!"

Programmdirektor der ARD ist seit 1991 der einstige WDR-Mann Struve. Bekannt wurde, dass ausgerechnet seine Abteilung bei Bavaria auf starke werbliche Präsenz der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) in der Serie Marienhof drängte. Struves junge Mitarbeiterin Swantje Wittstock informierte die Bavaria im Juli 2003, dass ein Ansprechpartner bei Wige-Kommunikation das benötigte Material für den Dreh besorge. Und: "Sämtliche Kosten, die dabei anfallen werden, übernimmt Opel." Anweisung in der Bavaria: "Die Daten, Geschichtenzusammenfassung und Form der Einbindung bitte schriftlich weitergeben an Frau Power von der ARD."

Das Auftauchen der DTM im Marienhof sei nicht Folge einer Einflussnahme Dritter gewesen, erwidert Manager Struve: "Es handelte sich dabei um eine Cross-Promotion-Aktion." Einen ökonomischen Vorteil durch Opel für die ARD habe es seines Wissens nicht gegeben - "die ARD-Werbung zahlt an die Bavaria nach einer Kalkulationsprüfung ein Staffelhonorar für eine feste Stückzahl."

Doch der langjährige Bavaria-Chef Thilo Kleine, der wegen der Marienhof-Vorfälle gehen musste, machte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung öffentlich, dass ihm ein leitender Mitarbeiter Struves bedeutet habe, der ARD-Programmchef wolle für TV-Filme "Zusatzfinanzierung durch Product Placement". Danach hätten, mit Struves Wissen und Billigung, Gespräche mit der auf Product Placement spezialisierten Agentur Content AG stattgefunden. Nach Erscheinen des Interviews kündigte Struve rechtliche Schritte gegen Kleine an, ohne dass dies zu großen Ergebnissen geführt hätte. Jetzt sagt Struve, die Content AG habe damals "ihren ganzen Leistungskatalog vorgestellt, der vom klassischen Sponsoring über die Formatentwicklung bis zur Filmfinanzierung reichte".

Neue Tatorte

Aber auch nachdem die Praktiken in der Bavaria rund um den Marienhof offenbar wurden, gab es in der ARD neue Tatorte. So wurde im Oktober 2006 bekannt, dass die Sportredaktion des Bayerischen Rundfunks (BR) fürs ARD-Vorabendprogramm mehrere Zwei-Minuten-Filme zum Deutschland-Walk gefertigt hatte, der wohl mehr dem Partner Unilever (Becel) als dem Zuschauer diente. Der BR ging gegen den verantwortlichen Redakteur vor.

Partner in dieser Nummer war ausgerechnet die von Rohnke geleitete Werbetochter ARD Sales & Services, die für 22 Sponsortrailer im Umfeld der "Programmchen" (ein ARD-Mitarbeiter) insgesamt 235 000 Euro kassierte. Das Konzeptpapier einer beteiligten österreichischen Agentur erwähnt "redaktionelle Beiträge als Good-Will von ARD ohne Berechnung". Rohnke will davon nichts gewusst haben - er habe die Sache sogar persönlich aufgedeckt, ein Mitarbeiter in München sei abgemahnt worden.

Dem ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf kostete die Sache den Kopf. Der Fachdienst epd medien, der die Bavaria-Affäre 2005 aufgedeckt hat, schrieb, die beteiligten ARD-Manager hätten die Konsequenzen aus der Bavaria-Affäre offenbar nicht ernst genug genommen: "Ein schrecklicher, ein gefährlicher Fall von Indolenz." NDR-Chef Jobst Plog wetterte: "Offensichtlich fühlte sich für die ARD Sales & Services niemand so recht verantwortlich." Das klingt nicht wie eine Vertrauenserklärung für Rohnke.

Ein anderer Fall, in dem Kurz-Filmchen in Verbindung mit Sponsortrailern zum Thema wurden, ist die Reihe Boot gegen Boot, die wieder Rohnkes ARD Sales & Services zusammen mit der damals von Boßdorf geleiteten ARD-Sportredaktion ersonnen hatte. Die netten Filme stimmten schon im vorigen Jahr auf die Segelregatta America's Cup ein, die derzeit in Valencia läuft und deren TV-Rechte ARD und ZDF halten. Die Sponsoren UBS, T-Systems und 1 & 1 warben in Spots rund um Boot gegen Boot mit Sprüchen wie: "Was macht T-Systems eigentlich, wenn sie nicht segeln?"

Rohnke hat wiederholt erklärt, nur "zulässige Kooperationen" einzugehen. Und doch taucht der Name des designierten Bavaria-Chefs immer wieder mal auf, wenn es um Geschäfte auf der Naht zwischen Programm und Werbung geht. Der WDR betont, keiner habe so gegen Schleichwerbung gekämpft wie der Kölner Sender. Eine Ahnung vom unlauterem Treiben will keiner gehabt haben.

Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt noch gegen den einstigen Colonia-Media-Chef und WDR-Partner Döhmann. In einer Verfügung vom 12. April 2006 hielt sie fest: "Nach den bisherigen Erkenntnissen waren die Schleichwerbungsaktivitäten und die damit verbundene Finanzierung von Film- und Fernsehproduktionen über Mittel aus der Industrie bei vielen Fernsehanstalten eine jahrelang gängige Geschäftspraxis."

Wie sagte der langjährige WDR-Intendant Fritz Pleitgen so schön im Krisensommer 2005: "Wir stehen vor einem riesigen Heuhaufen mit vielen Nadeln drin."

© SZ vom 30.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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