TV: "Liesl Karlstadt und Karl Valentin":Das Leben - ein Witz

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Ein dürrer Vorstadt-Casanova und ein anmutiges Fräulein, seltsam weichgespült - aber das macht nichts: Jo Baiers "Liesl Karlstadt und Karl Valentin", heute Abend in der ARD.

Benjamin Henrichs

Der Krieg ist vorbei, und nun könnte man wieder schwungvoll mit der Arbeit beginnen. Doch für den Mann und die Frau, die da in einem menschenleeren Biergarten schwermütig beieinandersitzen, kommt der schöne Frieden zu spät. Sie sind die vom Leben Besiegten: der geniale Komiker Karl Valentin und seine womöglich nicht weniger begnadete Partnerin Liesl Karlstadt.

Den Schauspielern Hannah Herzsprung und Johannes Herrschmann gelingt das Unmögliche: Sie werden wirklicher als das echte Komikerduo Karlstadt und Valentin. (Foto: Foto: BR/Walter Wehner)

Den Mann plagt das ewige Asthma und die Bitterkeit der alten Männer, die Frau ist von Liebesgram und Depression gezeichnet. "Du schaust nicht gut aus", sagt Liesl Karlstadt leise. Und Karl Valentin gibt lässig die Antwort: "Ich hab schon immer nicht gut ausgeschaut."

Wir schreiben das Jahr 1947, bald schon, im nächsten Winter, wird Valentin tot sein. Die letzte Szene des Films zeigt sein Begräbnis, es ist ein grauenvoll verregneter Tag. Also das absolut richtige Wetter für den finalen Auftritt eines Spaßmachers, der in seinen letzten, erfolglosen Lebensjahren immer wieder an die Apokalypse gedacht hat, in Versen wie diesen: "Wenn ich einmal der Herrgott wär / Ich glaub, ich käm in Wut / Weil diese Menschheit auf der Welt / Grad tut was sie gern tut / Ich schaute nicht mehr länger zu / Wenn's miteinander raufen / Ich ließe eine Sintflut los / Und ließ sie all ersaufen".

Alles aus

Im Biergarten, anno 1911, hatten die Bekanntschaft, der Künstlerbund und der Herzensroman zwischen dem seltsamen Herrn Fey alias Karl Valentin und dem drolligen Fräulein Wellano alias Liesl Karlstadt begonnen, im selben Biergarten geht die Geschichte, 36 Jahre später, zu Ende. Und es passt zum betrüblichen Finale, dass es an diesem Tag in der Gastwirtschaft nichts zu trinken gibt. Der Krieg ist aus, das Bier ist aus.

Das kann nicht gutgehen, dachte man, als man zum ersten Mal vom Projekt dieses Fernsehfilms hörte. Wie will man Valentins Leben ohne Valentin verfilmen? Wer auf der Welt soll denn diesen aberwitzigsten aller Witzemacher spielen können, den Knochenmann, das bayerische Gespenst?

"Dieser Mensch", so hat es der Valentin-Verehrer Bertolt Brecht gesagt, "ist ein durchaus komplizierter, blutiger Witz", also ist er wohl kein Mensch, dem man mit der Kunst der feineren Menschendarstellung näherkommen könnte. Das kann nicht gutgehen, denkt man, und wahrscheinlich haben das der Regisseur Jo Baier, die Drehbuchautorin Ruth Toma und die Schauspieler selber manchmal gedacht. Und sich vielleicht sogar vor ihrem Wagnis gefürchtet.

Doch jetzt, am Ende der Arbeit und der Ängste, kann man verblüfft konstatieren: Es geht vielleicht nicht. Aber es ist gutgegangen.

Manchmal gelingt ja dem Schauspieler, dem ewigen Nachmacher, das Unmögliche: Er wird wirklicher als der wirkliche Mensch, den wir zu kennen glauben. Anthony Hopkins zum Beispiel ist das gelungen, der am Ende von Oliver Stones Nixon-Film zwar Nixon immer noch nicht ähnlich sah, dafür aber alle Seelenfinsternisse des Unglücksmannes ans Tageslicht gebracht hatte.

Oder, ein ganz anderes Beispiel: Ausgerechnet vom norddeutschen Komiker Olli Dittrich gibt es eine Beckenbauer-Nummer, in welcher Beckenbauer noch sonniger, noch kaiserlicher, noch märchenhaft blödsinniger wirkt als der sogenannte richtige Beckenbauer. Die Übertreibung, das zeigen Hopkins wie Dittrich, muss keine Verfälschung, sie kann eine phantastische Richtigstellung sein.

Andere Wege

Was aber macht einer, der den Valentin spielen soll? Den Mann also, den man nicht übertreiben kann, weil er ja selber schon als Übertreibung, als Menschengespenst und Gespenstermensch, auf die Bühne trat?

Johannes Herrschmann sucht sich einen anderen, seinen eigenen Weg: Er hält Abstand zum Schauspieler Valentin, den wir aus den Valentin-Filmen kennen. Er versucht also erst gar nicht, noch bitterer als der Bittere, noch knochiger als der Knochige, noch grotesker als der Groteske zu sein.

Er zeigt uns vielmehr einen eher weichen, traurigen, dürren Mann, einen elegischen Vorstadt-Casanova - und nur, wenn er, in sehr kurzen, skizzenhaften Ausschnitten, Valentins berühmte Szenen nachspielt (den Firmling, die Orchesterprobe, den Ententraum), verschärft er seine komischen Mittel, doch auch dies nicht auftrumpfend, sondern mit vorsichtiger Meisterschaft.

Auch Hannah Herzsprung und Bettina Redlich, welche sich die Rolle Liesl Karlstadts teilen, entfernen sich behutsam vom historischen Vorbild. Besonders bei Hannah Herzsprung, der jüngeren Karlstadt, ist alles Münchnerisch-Kleinbürgerliche, alles Prosaisch-Bockige, das sich dem Irrwitz Valentins widersetzte, aus der Figur verschwunden.

So macht sie Liesl Karlstadt, die hartnäckig unterschätzte Partnerin und Muse des Komikers, zur zweiten oder sogar ersten Hauptfigur des Films: ein gescheites, anmutiges Fräulein aus der Vorstadt, das uns aus Karl Valentins grimmig karger und bitterkalter Welt für eine Weile wenigstens entführt - dorthin, wo zum Beispiel Schnitzlers Dramen spielen oder die Kinoromanzen von Truffaut.

Die Toten spielen mit

Fast jede Szene des Films wird von Konstantin Weckers Musik umspielt und oftmals süßlich weichgespült, aber seltsam: Es macht nichts. Die Farben sind dezent und dekorativ, und das ist der denkbar schärfste Kontrast zum grellen Schwarzweiß der historischen Filme, aber komisch: Es stört nicht. Daran sind die famosen Schauspieler schuld, ausnahmslos alle, nicht bloß die Protagonisten. Und ein Regisseur natürlich, der zeigt, dass Vorsicht und Kühnheit im Glücksfall zusammenkommen können.

Oftmals, wenn ein Leben verfilmt wird, werden dabei die Toten noch einmal getötet, in bester Absicht und aller Verehrung. Diesmal freilich kann man sagen: Die Lebenden spielen nicht falsch, und die Toten spielen mit!

Denn jeder, der Jo Baiers Liesl Karlstadt und Karl Valentin im Fernsehen gesehen hat, wird sie gleich danach unbedingt wiedersehen wollen, in den uralten, unsterblichen Filmen, unscharf und schwarzweiß: Karl Valentin und Liesl Karlstadt.

Liesl Karlstadt und Karl Valentin, ARD, 20.15 Uhr.

© SZ vom 10.12.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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