TV-Kritik: Joschka Fischer bei "Beckmann":Als ich mal ein Pinsel war

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Opa erzählt vom Krieg: Am Montagabend erinnerte sich Joschka Fischer an seine wilde Karriere als Rock'n'Roll-Politiker, und Reinhold Beckmann kam aus dem Staunen nicht mehr raus.

Christian Kortmann

In Abwandlung eines Aperçus von Woody Allen über Onanie, beweist der öffentliche Redner Joschka Fischer, dass ein Monolog ein Gespräch mit einem Menschen ist, den man liebt. Geht Joschka Fischer in eine Talkshow, duldet er niemanden neben sich: keinen anderen Gast, der seine Erzählungen stört, und auch keinen Talk-Master, denn Meister aller Rhetorik-Klassen ist er schließlich selbst.

Jeder macht den obersten Hemdknopf auf, dann kann's losgehen: Fischer & Beckmann. (Foto: Foto: dpa)

Was Fischer braucht, ist jemand, der ihm gegenüber sitzt, der wie ein Spiegelbild genauso viele Hemdknöpfe öffnet wie er selbst und der ihm noch mal all die Fragen hin fächert, die er sich im ersten Teil seiner Memoiren "Die rot-grünen Jahre" selbst hin gefächert hat: Er braucht ein Einzelgespräch bei Reinhold Beckmann.

Marathon-Mann Fischer über die epische Halbdistanz, 75 Minuten, da kann er alle Register ziehen, eine Talk-Symphonie inszenieren, mit Adagios, Paukenschlägen und verklärenden Chorälen. Von der staatsmännischen Gravität befreit, die seine bisherigen TV-Glanzauftritte wie den vor dem Visa-Untersuchungsausschuss ("Bin ich hier beim Arzt, der meine Erinnerungsfähigkeit testen will?") noch gebremst hatte, könnte Fischer sich nun voll dem post-politischen Polter-Entertainment widmen. Darauf hatte man sich gefreut, auf eine Late-Night-Show als Konkurrenz zu Stefan Raab und mit Beckmann als Elton.

Doch nichts von alledem: Am Anfang hoffte man noch, Fischers entspanntes Einverstandensein sei der Anlauf zu etwas Großem, ein Vulkan, in dem das Adrenalin langsam Druck aufbaut. Aber dann merkte man, dass Fischer tatsächlich so zufrieden zu sein schien, wie er wirkte. Auch von Beckmanns braven Provokationen ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen: Wenn die Grünen ihn politisch beerdigen wollten, sagte Fischer mit einem Schulterzucken, dann sollten sie das ruhig tun.

Man merkte auch, dass mit einem zufriedenen Fischer keine gute Fernseh-Unterhaltung zu machen ist. So beschlich einen schon nach zehn Minuten die altvertraute Langeweile, als schaute man eine gut abgehangene "Christiansen"-Folge, Jahrgang 1998. Denn um die Gegenwart ging es in Fischers Erzählungen kaum, er musste ja seine Memoiren an den Mann bringen.

"Der letzte Rock'n'Roller"

In "Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik - vom Kosovo bis zum 11. September" bereitet er die Zeit seiner größten Macht noch einmal auf. Dass er es für sieben Jahre ganz nach oben geschafft hat, ist für ihn eine permanente Bestätigung. Nachdem er als Gastprofessor den Studenten in Princeton von seiner Lebensleistung berichtet hat, widmet er sich nun in seiner Heimat der Verwaltung des politischen Erbes und sieht sich jetzt schon als Henry-Kissinger-Coverversion in der Rolle des Elder Statesman, dessen Rat begehrt ist: Joschka Fischer Consulting - so heißt seine neue Firma, es wäre aber auch ein passender Doppelname.

Ob Kosovo, Irak oder Fischers Kampf gegen die Kohl-Herrschaft: Opa erzählte von seinen Kriegen, deren Ausgang er natürlich immer präzise voraus gesehen hatte. Beckmann spielte Szenen aus der Vergangenheit ein: Fischer 1973 als prügelnder Autonomer oder Fischer 1999 vom Farbbeutel getroffen. Sehr deutlich wurde hier der Kontrast zwischen dem untersetzten grauhaarigen 59-Jährigen, der diese Stationen weise einordnete, und seinem Anspruch, der "letzte Rock'n'Roller" der Politik gewesen zu sein.

Fischer wirkte bei Beckmann nicht nur betulich, auch politisch-historisch ist seine Perspektive wenig erhellend: Man versteht das Buhei um dieses Buch nicht ganz, das nur aus dem Personenkult um Fischer resultiert und diesen zugleich weiter befördert. Denn Fischers Erfahrungen sind zu weit weg, um von aktuellem Interesse, und zu nah dran, um objektiv zu sein. Da haben etwa die Talkshow-Auftritte von Helmut Schmidt ein ganz anderes Gewicht.

Rache an den Journalisten

Reinhold Beckmann staunte darüber, dass das Gespräch nicht in Fahrt kommen wollte, und Fischer sich partout keine Meinung über Gerhard Schröders Engagement bei Gazprom entlocken ließ: "Woher kommt denn diese Diplomatie?", fragte er. "Sieben Jahre Übung!", gab Fischer schmunzelnd zurück. Selbst mit dem Vorwurf, er sei arrogant, hat Fischer seinen Frieden gemacht: "Das sagen so viele, da muss etwas dran sein." Als frisch gekürter Außenminister hätte er gar nicht anders gekonnt: "Anfangs musste man ein ganz schöner Pinsel sein."

Aufbrausend wurde Fischer nur ein einziges Mal, als ein despektierliches Statement von Hans-Ulrich Jörges eingespielt wurde. Oh, wäre dieser um keine Meinung verlegene Herr, der in allerlei TV-Sendungen so glaubwürdig den stellvertretenden "Stern"-Chefredakteur verkörpert, als Überraschungsgast geladen gewesen, dann wären die Wände des Beckmann'schen Studios womöglich doch noch im Allegro Con Brio einer Talk-Symphonie erzittert!

Statt dessen bemerkte Fischer in Erinnerung seines Furors als Bundestags-Redner: "Die Leute schalten ab, wenn Sie nicht zuspitzen." Stimmt, es sei denn, sie müssen drüber schreiben. Vielleicht ist das ja Fischers Rache an den ungeliebten Journalisten: Am Ende drohte er an, mit dem zweiten Band der Memoiren wieder bei "Beckmann" aufzulaufen - solo und ohne Paukenschläge.

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