TV-Kritik "Anne Will":Alles auf null

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In ihrer Talkrunde wollte Anne Will das System Lidl anprangern. Dumm nur, dass ihr niemand dabei half. Das Tribunal fiel aus.

Tobias Dorfer

Am Donnerstag vor einer Woche las Deutschland im Stern, dass bei Lidl Mitarbeiter mit Kameras bespitzelt wurden und eine gewisse Frau M. tätowierte Unterarme und 85 Cent Guthaben auf ihrem Handy hat. Einige Tage regierte Empörung, dann entschuldigte sich der Discounter mit großen Zeitungsanzeigen.

Bei Anne Will zeigten sich die Gäste diesmal unerwartet zahm. (Foto: Foto: AP)

Deutschland kümmert das wenig. Die Republik kauft weiter Buttermilch und Weichspüler bei Lidl und niemand spricht in diesen Tagen mehr von der "Lidl-Stasi". Nur Anne Will wollte es noch einmal versuchen.

Über Lidl wurde viel diskutiert, sagte die Moderatorin zu Beginn, doch das Thema sei noch nicht zu Ende diskutiert. Zum Glück gibt es dafür Anne Will. Die hart nachfragt und sich zu diesem Thema eine illustere Runde eingeladen hatte: Den Enthüllungsjournalisten Günther Wallraff und Ulrike Schramm-de Robertis, eine der wenigen Lidl-Betriebsrätinnen. Außerdem saß mit Oskar Lafontaine ein Politiker in der Runde, der eigentlich immer gegen alles ist und für den der Discounter Teufelszeug sein müsste.

Alles war bereit für das große Tribunal. Das Böse (Lidl) hätte vom Guten (Deutschland außer Lidl) vorgeführt und verurteilt werden können. Anne Will hätte Staatsanwältin und Richterin in einer Person sein können. Alles war bereitet für den großen Sieg - doch dann ließen die Zeugen die Moderatorin im Regen stehen.

"Keine Klagen gehört"

Die als Kronzeugin geladene Betriebsrätin einer Bamberger Lidl-Filiale wollte so gar nicht in den Aufstand der Anständigen einstimmen. "Lidl hat seinen Führungsstil verbessert", sagte Ulrike Schramm-de Robertis. Und: "Lidl ist in einer Phase zum Guten hin." In ihrer Filiale gab es übrigens auch keine Kameras. Der Betriebsrat hatte sie verhindert - und Lidl musste das hinnehmen.

Auf Michael Glos konnte Anne Will sowieso nicht bauen: Der Wirtschaftsminister sieht in den Vorfällen bei Lidl einen "Einzelfall". Mehr konnte er dazu nicht sagen, denn Michael Glos kauft nicht bei Lidl ein und muss deshalb auch keine Angst haben, dass die Pin-Nummer seiner EC-Karte ausgespäht wird. Immerhin wusste der fränkische CSU-Politiker, dass in seinem Wahlkreis ein Lidl-Lager gebaut wurde. Von dort habe er jedoch "keine Klagen gehört".

Von Hans Rudolf Wöhrl war schon gar keine Hilfe zu erwarten. Der Unternehmer lächelte viel und sprach davon, wie wichtig ein gutes Betriebsklima sei. Anne Will zitierte aus einem Schreiben Wöhrls an seine Mitarbeiter, wonach ein Betriebsrat bei der Wöhrl-Gruppe das gepriesene Betriebsklima verschlechtern würde.

Doch der Unternehmer lächelte den Vorwurf einfach weg: Als er die marode Airline dba übernahm, sei gerade der Betriebsrat dafür verantwortlich gewesen, dass die Sanierung so gut lief, schwärmte Wöhrl. Er, ein Gegner von Betriebsräten? Niemals.

Und selbst Oskar Lafontaine fand Kameras "vertretbar", wenn in den Filialen "Geld aus der Kasse kommt". Anne Will konnte bohren, wie sie wollte - niemand wollte Lidl so recht in die Pfanne hauen.

Fußballturniere und Detektive

Nicht einmal Günter Wallraff, der Meister des Anprangerns. Auch dem Journalisten gelang an diesem ARD-Talkshowabend kein entscheidender Schlag gegen das System Lidl. Lidl sei "kein Einzelfall" sagte Wallraff, und in der Tat: Berichte über ähnliche Vorfälle bei Plus und Edeka waren längst durch die Medien gegangen.

Anne Will musste also selber in den Ring steigen - und spielte ein aufgezeichnetes Gespräch mit Lidl-Geschäftsführer Jürgen Kisseberth ein. Ohne störende Zurufe aus der Talkrunde konnte der Manager problemlos die heile Lidl-Welt hervorheben.

Dass die Mitarbeiter über Tarif bezahlt werden. Dass Fußballturniere für die Angestellten veranstaltet werden. Und natürlich, dass die Spitzeleien ein Resultat "übereifriger Detektive" waren und man sich selbstredend von dieser Detektei getrennt habe.

Dann durfte Kisseberth der ratlosen Anne Will noch erzählen, dass der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte, Joachim Jacob, ein Überwachungssystem für Lidl entwickelt und dass der Discounter jetzt "alles auf null" stellt und neu anfängt. Zusammen mit den Mitarbeitern natürlich.

Nichts Böses aus dem Lidl-Reich, nur Gutes. Der Täter ist ertappt, geständig und gelobt Besserung - und auf Anne Wills verzweifelte Frage an den Wirtschaftsminister, ob er denn glaube, dass Kisseberth das alles ernst meine mit dem Auf-null-Stellen, sagte Michael Glos mit der ganzen Autorität seines Amts: "Ich habe keinen Zweifel daran, dass er es ernst meint."

35 Minuten lang dauerte der einsame Kampf der Anne Will gegen das System Lidl. Dann gab sie auf - und redete noch ein wenig über Zeitarbeit.

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