TV-Konsum:Sei kein Schaf

Lesezeit: 3 min

Fernsehwächter Norbert Schneider gibt Ratschläge, wie Konsumenten sich gegen schlechte Sendungen wehren und den TV-Sendern Kummer bereiten könnten.

Interview: Hans Hoff

Norbert Schneider ist Direktor der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalens. Sein Credo: Der Zuschauer kann sich aktiv gegen schlechte Sendungen wehren.

SZ: Sie haben gesagt, man müsse in der Debatte um schlechtes Fernsehen nicht nur auf die Sender schauen, sondern auch auf die Zuschauer. Warum?

Schneider: Wir sagen seit vielen Jahren: Der Sender denkt, und der Zuschauer wird bedacht. Der Sender handelt, und der Zuschauer wird verhandelt. Der Sender ist aktiv, und der Zuschauer ist passiv. Aber wir sind dabei, zu lernen, dass der Zuschauer eben nicht dieses passive Nullum ist, sondern sich wie ein Konsument verhalten muss.

SZ: Wie ein Kunde im Supermarkt?

Schneider: Der kümmert sich auch darum, dass das Essen, das er kauft, in Ordnung ist. Wenn der Winzer panscht, dann ist der Winzer dafür verantwortlich, aber wenn der Weintrinker zu viel Wein trinkt, dann ist er selbst dafür verantwortlich. Die Aufteilung der Verantwortung nach dem Motto, der Sender ist verantwortlich, und der Empfänger ist ein Nichts, das ist vorbei. Der Zuschauer ist aktiver Teil eines Kommunikationsmodells und hat dafür einen Teil der Verantwortung zu übernehmen.

SZ: Heißt das, der Sender trägt bei schlechten Programmen keine Schuld?

Schneider: Nein, jeder trägt Verantwortung. RTL bietet an, aber der Zuschauer kann das Angebot ablehnen.

SZ: Die Folge wäre: Es wird gesendet, und keiner schaut hin.

Schneider: Das ist ein Verantwortungsmodell, das den Sender in die Knie zwingen würde. Die Redeweise "man kann auch abschalten" muss man auch mal ernst nehmen.

SZ: Nun schauen Menschen derzeit bevorzugt Sendungen, in denen ihnen das eigene Elend und das ihrer Nachbarn vorgeführt wird.

Schneider: Der Zuschauer muss sich allmählich eine Intelligenz anlegen, die ihm erlaubt, nicht auf jede Behauptung reinzufallen. Im Falle von RTL und "Erwachsen auf Probe" finde ich beispielsweise die Behauptung, dass der Sender sozial tätig werden möchte, weit hergeholt. Da muss ein Zuschauer erkennen, wann er hinter die Fichte geführt wird. Um es mal etwas kalauerhaft zu sagen: Der Sender muss Publikummer spüren: Das muss ihm Kummer machen, dass er seinem Publikum etwas angeboten hat mit einer Behauptung, die nicht stimmt.

SZ: Wie wollen Sie den Zuschauer dazu kriegen, dem Sender Kummer zu bereiten?

Schneider: Es muss Spaß machen, herauszukriegen, ob ich hintergangen werde. Ich muss das Interesse wecken, dass ich beim Zuschauen Erlebnisse habe, die ich nicht vorhersagen kann. Wir werden bald Product Placement erlaubt bekommen, da fände ich es doch ein schönes Spiel, auf einem Zettel zu notieren, wer in einem Film so alles seine Produkte platziert hat. Zugucken kann wie ein Spiel sein. Wenn sich die Menschen nur zurücklehnen und sagen: 'Lass mal sehen', dann bin ich mit meinen Forderungen natürlich falsch.

SZ: Da sind wir wieder bei der früher so oft beschworenen Medienkompetenz.

Schneider: Kompetenz schon, aber nicht in dem Sinne, dass ich was lernen muss. Es muss Spaß machen, herauszufinden, wo ich einen Schauspieler zuletzt gesehen habe. Und wenn ich Reality sehe, habe ich doch erst recht die Möglichkeit, das, was ich sehe, mit dem zu vergleichen, was ich kenne, was ich weiß. Dann finde ich plötzlich raus: Das stimmt doch gar nicht. Mir schwebt ein Zuschauer vor, der aus dieser passiven Rolle, aus dieser Ohnmachtsrolle, aus dieser Sofarolle herauskommt.

SZ: Sie hoffen, dass er das tut.

Schneider: Ich bin nicht ganz hoffnungslos, weil andere Möglichkeiten des Kommunizierens diese eher interaktive Komponente fördern. Social Networks, Web 2.0, das geht alles in die Richtung, dass ich nicht mehr das Schaf bin, das herumsteht und wartet, bis irgendjemand kommt und dem Schaf das Fell über die Ohren zieht.

SZ: Könnte es sein, dass sich RTL bei der Kalkulation verrechnet hat, mit ein bisschen Skandal um "Erwachsen auf Probe" die Quoten zu steigern?

Schneider: Ja, mir fällt auf, dass immer mehr Leute fragen: Ist hier vielleicht etwas überzogen? Habt ihr es zu wild getrieben? Habt ihr das Publikum zu sehr unterschätzt? Das ist nach meiner Wahrnehmung der erste Fall in den letzten Jahren, bei dem man das Gefühl haben könnte: Da dreht sich was.

© SZ vom 30.5.2009/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: