Türkische Soap "Noor":Neue Männer braucht Arabien

Lesezeit: 2 min

Hysterie um einen emanzipierten Waschbrettbauch: Eine türkische Herz-Schmerz-Serie bricht im Nahen Osten alle Rekorde - und rüttelt mit ihrem modernen Familienbild die Frauen auf. Von Christiane Schlötzer

Ganz gleich, ob Kivanc Tatlitug seine wasserblauen Augen aufschlägt, das Tattoo auf dem rechten Oberarm zeigt oder züchtig im Hochzeitshemd mit Fliege erscheint: Der türkische Schauspieler kann tun, was er will - arabische Frauen bekommen nicht genug von den Auftritten des ansehnlichen 25-Jährigen in einer Herz-Schmerz-Serie, die in diesem Sommer von Tunis bis Gaza und von Riad bis Damaskus täglich etwa 50 Millionen TV-Zuschauerinnen begeistert hat.

Deine blauen Augen...: Kivanc Tatlitug macht die arabischen Frauen verrückt (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Nun, im islamischen Fastenmonat Ramadan muss "Noor" - so heißt das Liebes-Drama, das alle Rekorde bricht - Pause machen, aus Rücksicht auf die Religion.

Davor hatten islamische Autoritäten heftig gegen die "unmoralische" Soap gewettert, waren aber weitgehend machtlos gegen die Begeisterungsstürme, die sich weiterhin in unzähligen Internetforen niederschlagen. Und das liegt nicht nur am Waschbrettbauch des hübschen Helden. Denn in der türkischen TV-Serie wird ein Familienbild transportiert, wie es sich viele arabische Frauen offenbar sehnsüchtig wünschen.

Mohannad (gespielt von Tatlitug) ist ein gefühlvoller, zärtlicher Ehemann, der seine Frau Noor bei ihrem beruflichen Aufstieg als Mode-Designerin unterstützt. "Ich habe meinem Mann gesagt, er sollte von Mohannad lernen", erzählt die 24-jährige Palästinenserin Heba Hamdan. Sie wolle sich nun auch einen Job suchen, vertraute die Hausfrau Reportern in Ramallah an. Die Saudi Gazette schreibt, solche Männer, "die romantisch sind und ihre Frauen unterstützen", seien im Nahen Osten eben "selten vorhanden".

In dem Blatt macht sich auch die saudische Journalistin Sabria Jawhar Gedanken darüber, was aus all den inzwischen immer besser ausgebildeten Frauen in ihrem konservativen Land werden soll, wenn sie nicht bald mehr persönliche und berufliche Freiheiten erhalten? Immer mehr Frauen würden das Land, trotz "intensiver patriotischer Gefühle", für einen Job im Westen am liebsten verlassen.

Auch Tabuthemen wie Abtreibung und außereheliche Beziehungen berührt die Serie, alles untermalt mit vielen Tränen. Die Frauen tragen reichlich die schwarze Schminke Kajal um die Augen, aber keine Kopftücher. Auch für türkische Verhältnisse ist das hier präsentierte Familienbild idealisiert.

Zensierte Liebesszenen

Aber in der Türkei gibt es eine immer breitere Mittelschicht, die sich zwischen Tradition und Moderne arrangiert - die Serien-Helden fasten im Ramadan, nehmen aber auch einen Drink zum Dinner. Als die Serie 2005 auf einem heimischen Sender lief, war sie ein Flop. Nichts Sensationelles.

Der populäre Satellitensender MBC erwarb die Folgen günstig und ließ sie arabisch synchronisieren. MBC sendet von Dubai aus. Die Geldgeber sitzen ausgerechnet im besonders konservativen Saudi-Arabien, wo Großmufti Abdul Aziz al-Scheikh verkündete, Leute, die solche Serien produzierten, lieferten Frauen und Männer dem Teufel aus.

Manche Liebesszene wurden für die arabische Ausstrahlung beschnitten, weshalb auf YouTube Schnipsel des türkischen Originals auftauchten. Das wiederum forderte auch Kritiker heraus, stets anonym, wie im Internet üblich: "Die Türken sind eine Schande für die muslimische Welt", schreibt ein Kommentator, der sich "azizobo" nennt.

Zur Hysterie um "Noor" passt auch: Arabische Zeitungen berichten von Scheidungen, weil Frauen ihre eigene Ehe plötzlich trostlos vorkommt. In anderen Meldungen heißt es, Männer wollten sich scheiden lassen, weil sie eifersüchtig seien, auf Kivanc Tatlitug.

© SZ vom 12.09.2008/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: