Todesstrafe in den USA:Kopf unter Wasser

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Gang-Gründer, Todeskandidat, Kinderbuchautor: Wird Tookie Wiliams getötet, stirbt ein großes Vorbild der amerikanischen Schwarzen. Arnold Schwarzenegger hat es in der Hand.

Jonathan Fischer

Der Schauspieler Jamie Foxx hat zur Zeit nur einen Wunsch: Der Mann, den er 2004 in dem Film "Redemption" spielte, soll am Leben bleiben. Allein der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger kann Stan Tookie Williams' Exekution noch stoppen.

Gnadenerlass oder Urteilsvollstreckung: Gouverneuer Schwarzenegger hat es in der Hand. (Foto: Foto: Reuters)

Dazu müsste der "Terminator" einen Gnadenerlass unterschreiben. Tut er das nicht, wird dem Mitbegründer der Crips-Gang morgen Mittag um 12.01 das Gift injiziert.

Dass Foxx neben Rapstar Snoop Dogg, Jesse Jackson und den Friedensnobelpreisträgern Desmond Tutu und Mairead Corrigan Maguire um Gnade für den Todeskandidaten bittet, hat weniger mit den Verfahrensfehlern einer rein weißen Jury zu tun als mit Williams' fundamentalem Bewusstseinswandel: Glaubt man den Indizien, ist aus dem vermeintlichen Mörder während 24 Jahren hinter Gittern ein Mitleidender geworden, aus dem Verbrecher ein Vorbild.

Anfang der Neunziger hatte sich Williams öffentlich für die Gründung der Crips und das Leid, das die Gangs über ihre Mitmenschen brachte, entschuldigt. Aus der Todeszelle heraus vermittelte er Friedensschlüsse zwischen verfeindeten Gangs.

Darüber hinaus verfasst der Ex-Gangster Kinderliteratur: Seine Bücher, in denen er Jugendliche vor dem Abdriften in die Banden-Kriminalität warnt, gehören in vielen kalifornischen Schulen zum Unterrichtsmaterial.

Williams' Fall spaltet Amerika: Befürworter seiner Hinrichtung verweisen auf das "Monster", das er vor einem Vierteljahrhundert war. Die Bilder von damals zeigen einen Bodybuilder, dessen Muskelpanzer äußerlich verkörperte, was er mit dem"Recht des Stärkeren" verinnerlicht hatte. Der Staatsanwalt verglich ihn gar mit einem "Raubtier".

Williams hat zwar stets die ihm zur Last gelegten Raubmorde abgestritten, in seiner Biographie "Blue Rage, Black Redemption" aber gesteht er ein Leben voller mitleidsloser Gewalt. "Wir schwärmten wie die Heuschrecken aus und entledigten die Menschen ihrer Wertsachen - um genauso schnell wieder abzutauchen." Wer sich wehrte, riskierte sein Leben.

Die Hinrichtungsgegner verweisen ganz utilitaristisch auf den gesellschaftlichen Nutzen des Tookie Williams von heute: Wer verfüge über mehr Autorität als der 43-jährige Ex-Gangster, um sozial gefährdete Jugendliche zum Nachdenken zu bringen?

Die Webseite SaveTookie.org zählt allein 70.000 E-Mails, die dem Häftling für die Motivation danken, um mit dem Gang-Leben zu brechen. Najee Ali, ein Community-Aktivist und ehemaliges Gang-Mitglied gehört dazu: "So viele Priester, Politiker und Polizeibeamte sprechen ohne jede praktische Erfahrung davon, die Gewalt der Gangs zu beenden. Aber wenn du den Gründer der bekanntesten Gang der Welt auf deiner Seite hast, dann gilt sein Wort eine Menge."

Williams hat die Haft mit dem Lesen von Shakespeare, Spinoza, Sartre, den Lehren Buddhas und anderen philosophischen Schriften zugebracht. "Erst mit dem Studium dieser Bücher ist in mir ein Gewissen erwachsen, ein Schuldbewusstsein und die Sehnsucht nach Erlösung."

Bildung, das bekräftigt der mehrfach für den Friedensnobelpreis Nominierte immer wieder, sei das beste Mittel gegen die Gang-Kultur: "Im Zentrum der ganzen Straßengewalt liegt Selbsthass. Ein verinnerlichtes krankes Wertesystem führte dazu, dass ich keinerlei Hemmungen hatte, anderen Menschen, die genauso aussahen wie ich, Gewalt anzutun. Ich versuchte alles auszuradieren, was mich an meine eigenen Schwächen erinnerte."

Wandel hinter Gittern: Tookie Williams. (Foto: Foto: dpa)

Als 17-jähriger Gangster habe er erwartet, selbst irgendwann durch eine Kugel zu sterben. Doch als Rechtfertigung, einen zum friedlichen Mitglied der Gesellschaft gewandelten Mörder zu exekutieren, kann das wohl kaum herhalten.

Gewalttäter erwachsen aus misshandelten Kindern - Tookie Williams' Kindheitsgeschichte klingt wie eine Illustration dieser entwicklungspsychologischen These: Seine Mutter, so berichtet sein Biograph Walter A. Davis, habe zweimal versucht den zweijährigen Tookie zu ertränken. In den Familien beider Eltern sind Alkoholismus, Gewalt und sexuelle Nötigung an der Tagesordnung.

Mit neun Jahren schnüffelt der Junge Klebstoff, mit 17 wird er wegen Einbruchs verhaftet. Ein Jahr später vergewaltigt er eine 13-Jährige und versucht sie in der Badewanne zu ertränken. Der als Kind traumatisierte Täter erzeugt neue traumatisierte Opfer.

Und wenn Williams von den panischen Tagträumen spricht, in denen er flehend seine Mutter ansieht, während ihre Hände ihn unter Wasser drücken, dann glaubt man das eigentliche Gefängnis dieses Mannes nicht in der Zelle in San Quentin, sondern in den Bildern in seinem Kopf zu erkennen.

So könnte gerade ein Ex-Gangster, der von sich sagt, er sei "als Jugendlicher mit den negativen Stereotypen verschmolzen, die er über die angeblich unzivilisierte, kriminelle, gewalttätige und promiske Lebensweise schwarzer Menschen mitbekommen habe", den Konservativen als Beispiel für die positive Wirkung des Strafvollzugs dienen.

Schwarzenegger wird das weniger interessieren. Ihm geht es um seine politische Zukunft: Ein Gnadenerlass könnte den angeschlagenen Gouverneur auf seinem Ausgleichskurs mit den Demokraten voranbringen. Die Rechten allerdings würden Schwarzenegger jede Nachsicht bei der Todesstrafe verübeln - immerhin wurde in Kalifornien seit 1967 kein Todeskandidat mehr begnadigt.

Einer Frage aber wird sich Schwarzenegger stellen müssen: Wenn der Mitbegründer der Crips seine restliche Lebenszeit nutzt, um möglichst viele Jugendliche vom Gefängnis fern zu halten - wem könnte dann ein toter Tookie Williams nützen?

© SZ vom 11.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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