Theaterschauspieler Will Quadflieg ist tot:Der Fürsprecher des Menschlichen

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Der Schauspieler Will Quadflieg, einer der bedeutendsten Mimen deutscher Sprache, ist tot. Wie das Hamburger Thalia Theater mitteilte, starb der vielfach geehrte Künstler bereits am vergangenen Donnerstag im Alter von 89 Jahren. Die Beisetzung erfolgte auf Wunsch des Verstorbenen im engsten Familienkreis.

THOMAS THIERINGER

Will Quadflieg - das ist, in der Erinnerung, eine Stimme. Eine Stimme des Wohllauts, mit einem charaktervollen Knarzen - auch die Callas ist berühmt geworden wegen und trotz des Bruchs in ihrem Gesang. Er hätte immer Offiziere spielen können mit diesen Tönen der preußischen Entschiedenheit, die er allerdings für gewöhnlich milderte durch die freundlichere Sprach-Melodie, wie sie unter den Leuten im Ruhrpott üblich ist. Will Quadflieg, einer der bedeutendsten deutschen Schauspieler des vergangenen Jahrhunderts, stammte aus Oberhausen: Dort wurde er am 15. September 1914 geboren, dort erhielt er 1933 sein erstes Engagement, gleich nach dem Abitur, da er sich schon während der Schulzeit auf die Arbeit am Theater vorbereitet hatte. Der übliche Weg dann, der auch den so fraglos Berufenen nicht erspart blieb, durch die Provinz (Gera) - aber 1940 schon die Verpflichtung in die bald vom Krieg bedrohte Hauptstadt, wo Goebbels ein auserwähltes Spielervölkchen zur tröstlichen Erbauung versammelte. Heinrich George, der bis zuletzt durchhielt, wurde dort am Schiller-Theater sein Lehrmeister und Walter Felsenstein einer seiner wichtigsten Regisseure. Damals bediente man sich gerne im Repertoire der großen Klassiker, und Quadflieg wurde mit ihnen schnell ein Star, er spielte den feurigen Mortimer in "Maria Stuart", spielte Clavigo und den Mephisto in Goethes "Urfaust".

"Woran will man das Wesen, die Seele und die Innovationskraft eines Volkes messen, begreifen, wenn nicht an seiner Sprache?" (Foto: Foto: dpa)

Später dann wurde Faust seine Rolle; mit ihr wurde er auf Gastspielreisen und durch die spätere Verfilmung weltweit gefeiert. 1957 hatte Gustaf Gründgens am Hamburger Deutschen Schauspielhaus Goethes Drama inszeniert, hatte sich zu seinem zynisch-alerten Mephisto mit Quadflieg ein adäquat schillerndes Alter Ego erfunden. Auch da, in seiner drängenden Unruhe, in seinem prononcierten, zerrissenen Sprech-Gesang war Quadflieg ein Herr. Einer der die großen, die schönen Gesten liebte, der den eleganten, genau kalkulierten Auftritt mit Genuss zelebrieren konnte. In Erinnerung sind seine Augen, diese (auf den Fotos noch) sprechenden, suggestiven Blicke, in denen das Feuer der großen Gefühle aufleuchtete. Das war, von heute aus betrachtet, alte Schule, Theater, das in allen und mit allen Mitteln beherrscht wurde; dafür erfand man in der siebziger Jahren den Begriff "theatern" und hielt das für opportun.

Bis dahin hatte Will Quadflieg alle großen Rollen gespielt, in den ersten Nachkriegsjahren in Lübeck, in Zürich, dann von 1947 bis 1964 am Hamburger Schauspielhaus. Und immer war er, wie der legendäre, früh verstorbene Horst Caspar, der "Partitur der Dichtung" (des Stückes) verpflichtet, wie Günther Rühle Quadfliegs Auffassung seiner Schauspielkunst charakterisierte. Sieben Jahre lang war er der gepflegte, imposante Jedermann während der Salzburger Festspiele. Er war (in Hamburg) Don Carlos, Torquato Tasso, Hamlet und Othello, war Peer Gynt, Don Juan (Grabbe) und Orest (Goethe). Aber mit Gustaf Gründgens' Tod und dem Wandel hin zur "Politisierung" der Gesellschaft (des Theaters) geriet der bis dahin unangefochtene Schauspieler Quadflieg in eine Krise. Er ging in eine Art innere Emigration, entdeckte für sich die alte Disziplin des Vortragskünstlers. Er wurde zur Stimme, zu der Stimme der Dichter und Denker.

Mitte der siebziger Jahre entdeckte ihn der große Rudolf Noelte, der Quadflieg zum Protagonisten seiner edlen, stimmungsvoll gepflegten Inszenierungen machte. Es entstanden faszinierende, nicht unumstrittene Aufführungen von Molières "Menschenfeind" und O'Neills "Eines langen Tages Reise in die Nacht", wo er den trunksüchtigen James Tyrone gab und in dessen brechenden Despotismus etwas Unerschütterlich-Humanes mischte: Als "Einbruch des Menschlichen ins Theatralische", hat Günther Rühle seine neue Spielweise charakterisiert.

Noch einmal, mit Jürgen Flimm am Hamburger Thalia-Theater, kam eine große Zeit für den nun zum Grandseigneur avancierten Will Quadflieg; dort war er König Lear - die Rolle am Ende einer großen Schauspielerkarriere. Aber da Will Quadflieg, wie jeder zu Ruhm gekommene Schauspieler auch etwas von Striese hatte, spielte er noch in seinen späten Jahren in neuen Stücken kleinere Rollen. Und unermüdlich ging er bis fast zuletzt auf Lesesreise, suchte mit Inbrunst, mit seiner schönen, schnarrenden Stimme, mit großem (altmodischem) Ausdruck eine Fangemeinde von der Schönheit der Werke großer Dichter (Hölderlin, Thomas Mann) zu überzeugen.

Und einmal noch setzte er der ansehnlichen Reihe von Film- und Fernsehrollen ein selbstironisches Glanzlicht auf: In DieterWedels Vierteiler um die Rettung eines Kaufhauses "Der große Bellheim" spielte er einen aus dem Ruhestand reaktivierten Veteran mit solcher Komödiantenlust, wie man sie von einem so seriösen Großschauspieler nicht erwartet hätte. Will Quadflieg starb letzten Donnerstag. Das Thalia-Theater hat den Tod Will Quadfliegs erst am Mittwoch gemeldet. Er hatte sich diese Diskretion ausbedungen, blieb sich damit treu, sich vorm falschen Trubel zu schützen.

© SZ v. 04.12.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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