Theaterfestival:Mein Land, dein Land

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Gesichter der Warenwelt: In der litauischen Inszenierung "Have A Good Day!" sitzt ein Chor aus Kassiererinnen auf der Bühne. (Foto: Rugilė Barzdžiukaitė)

Beim Festival "Europoly" stellt sich die freie Theaterszene Europas an den Kammerspielen vor. Das Spektrum der Themen reicht von der Sozialstudie bis zur Zukunftsvision

Von Christiane Lutz

Das Wort "Krise" kann in Europa eigentlich keiner mehr hören. Deswegen waren die griechischen Theatermacher Anestis Azas und Prodromos Tsinikoris auch entschieden dagegen, das Festival an den Kammerspielen "Crisis Club" zu nennen. Zu lang schon wird von ihnen erwartet, sie mögen doch mal künstlerisch Stellung beziehen zur Finanzkrise, zu lang schon spiegeln sich deren Folgen in ihrem Alltag wider. Auch deswegen heißt das Festival jetzt "Europoly", was freilich eine Anspielung auf das kapitalistische Brettspiel "Monopoly" sein soll. Wer hat die größte Macht in Europa? Das meiste Geld? Wer drängt den andern an die Wand? Nach welchen Regeln spielen wir? "Europoly", ein Projekt der Kammerspiele und des Goethe Instituts, besteht zur Hälfte aus Kurzfilmen, zur Hälfte aus Theaterprojekten der europäischen freien Szene.

"Die Künstler der freien Szene", sagt Kuratorin Anna Mülter, "waren schließlich die ersten, die nach der Finanzkrise die Sparmaßnahmen ihrer Regierung zu spüren bekamen. Sofern sie überhaupt zuvor unterstützt wurden". Staats- und Nationaltheater haben, ähnlich wie auch in Deutschland, in Portugal oder Irland einen bevorzugten Status gegenüber der freien Szene. Eingeladen sind fünf freie Produktionen aus Deutschland, Litauen, Irland, Portugal und Griechenland. "Clean City" beispielsweise heißt das Stück aus Griechenland, in dem die Theatermacher Anestis Azas und Prodromos Tsinikoris, ähnlich der Methode von Rimini Protokoll, gewöhnliche Menschen auf die Bühne stellen. Diesmal Putzfrauen. Weil die rechte Partei "Goldene Morgenröte" immer wieder tönte, das Land "von Ausländern säubern" zu wollen, fragten die Regisseure konkret: Wer macht eigentlich tatsächlich unser Land sauber? "Putzen ist ein Job, der in Griechenland fast nur von Migrantinnen gemacht wird", sagt Kuratorin Mülter. "Dabei gibt es tatsächlich so etwas wie Hierarchien, die reichen Leute bevorzugen beispielsweise Putzkräfte von den Philippinen." "Clean City" erzählt anhand seiner fünf Protagonistinnen die Geschichte der Migration nach Griechenland. Alle kamen einst nach Griechenland, um dort ein besseres Leben zu führen.

Über zwei Jahre zog sich die Vorbereitung zu "Europoly" hin, Goethe Institut und Kammerspiele arbeiteten eng zusammen, Matthias Lilienthal als Hausherr der Kammerspiele verfügt bekanntlich über gute internationale Kontakte. Performance-Kuratorin Anna Mülter bereiste Städte in den Krisenländern und suchte nach den richtigen künstlerischen Partnern. "Manche von ihnen probten in unbeheizten Räumen", sagt sie, "da merkt man erst, wie gut wir es in Deutschland haben". Auch wenn sie nicht behaupten will, der freien Szene in Deutschland gehe es zu gut. Die Tatsache, dass die Welt heute schon eine ganz andere ist als vor zwei Jahren, als sie mit ihrer Recherche startete, dass viele Europäer heute bei dem Wort "Krise" an Flüchtlinge statt an Finanzen denken, steht für Mülter zur ursprünglichen Idee von "Europoly" in keinem Widerspruch. Kunst brauche eben auch Zeit, zu aktuellen Problemen eine Haltung zu entwickeln und diese auf einer Bühne umzusetzen. Eine gewisse Verzögerung gibt es immer.

Aus Berlin wird das Kollektiv Machina Ex kommen mit seinem Projekt "Lessons of Leaking". Deren Spezialität ist es, neue Theaterformate auszuhecken. In kleinen Gruppen müssen Zuschauer ein in die Realität übertragenes Videospiel bewältigen, Rätsel lösen, um Level für Level weiter zu kommen. Im Fall von "Lessons of Leaking" geht es darum, geheime Dokumente zu veröffentlichen und damit die deutsche Demokratie zu beeinflussen.

Ihren eigenen Weg, mit der Krise in ihrem Land umzugehen, hat Cláudia Dias gefunden. Die Portugiesin hatte es satt, immer nur von der "No future"- Generation zu hören und entwarf einen Siebenjahresplan, nach dem sie sieben Theaterprojekte in sieben Jahren machen will. Für "Monday" arbeitet sie mit dem spanischen Künstler Pablo Fidalgo Lareo zusammen und steigt in einen Boxring, Symbol des Kampfs, in dem sich junge Portugiesen befinden.

Zwischen den Performances wird es immer wieder Stunden für Kurzfilme geben, kuratiert von Dorothee Wenner. Deren Ausgangspunkt sind Statistiken, die europäische Länder in verschiedensten Kategorien wie Ausländerfeindlichkeit, Freizeitgewohnheiten oder Punkte beim Eurovision Song Contest vergleichen. Für die Filme trafen sich ein Filmemacher und ein Protagonist der jeweils oberen und unteren Enden der Statistiken, um gemeinsam einen Film zu machen. In "Last Place Ex Aequo" beispielsweise treffen sich junge Musiker, um den Song "E Depois do Adeus" neu aufzunehmen. Portugal landete damit beim "Eurovision Song Contest" im Jahr 1974 auf dem letzten Platz - keine Chance gegen Abba und "Waterloo". Auch eine Art europäischer Auseinandersetzung.

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Einen Stargast hat Kuratorin Anna Mülter auch herangeschafft: die ehemalige griechische Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou widmet sich bei einem um die Performances herum arrangierten Gespräch dem Thema "Doing Democracy: Societies in Movement." "Ich erhoffe mir einen regen Austausch", sagt Mülter in Ausblick auf die Woche, "einer, der den Blick aufmacht für andere Perspektiven und Bedingungen, gerade im übersättigten München".

Europoly, Mittwoch, 17. Februar bis Dienstag, 23. Februar, Kammerspiele, Kammer 2 und 3, Falckenbergstraße 2

© SZ vom 16.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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