Theater:Kugelblitz im Aktenkoffer

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Hollywood-Star John Malkovich inszeniert mit Terry Johnsons "Hysteria" ein Gipfeltreffen von Dalí und Freud.

Von Merten Worthmann

John Malkovich hätte es mittlerweile verdient, zum Ehrenbürger von Alteuropa ernannt zu werden. Zwar arbeitet er noch immer für Hollywood (dort wird er besser bezahlt), aber sein Herz schlägt für Projekte diesseits des Ozeans.

Er lebt nun vor allem in Südfrankreich, er spielt für Manoel de Oliveira, Liliana Cavani und Raul Ruiz, er hat Friedrich Wilhelm Murnau, Talleyrand und verschiedene historische Könige verkörpert, als nächstes kommt Gustav Klimt an die Reihe. Zwischendurch kehrt er außerdem zum Theater zurück. Damit hatte er einst angefangen, Mitte der siebziger Jahre in Chicago, und seine Gruppe hatte sich damals bereits einen sehr europäischen Namen gegeben: Steppenwolf.

Jetzt hat John Malkovich in Barcelonas Teatre Victoria das Stück eines zeitgenössischen britischen Dramatikers auf die Bühne gebracht. Terry Johnson erzählt in "Hysteria" von einem umnachteten Tag des Jahres 1938, an dem der greise Sigmund Freud, unlängst vor den Nazis nach London geflohen, zwei arge Quälgeister zu Besuch bekommt. Der eine ist Salvador Dalí, unterwegs als Herold des Surrealismus und des eigenen Genies; der andere ist eine vermeintliche Hysterikerin, Jessica, die hereinschneit, um Freud mit den fatalen Folgen einer früheren Analyse zu konfrontieren. Darüber hinaus tritt Freuds Leibarzt Abraham Yehuda auf und ab, stets besorgt um die Gesundheit seines berühmten Patienten, und stets befremdet von den Anfällen, denen dieser seitens seiner beiden kapriziösen Besucher ausgesetzt ist.

Historische Hommage zu Dalís 100.

Freuds Leben ist bereits vom nahenden Tod überschattet. Tatsächlich wird er 1939 an Krebs sterben. Mitunter scheint es deshalb, als sei überhaupt aller Trubel, den Johnsons Stück in Freuds Studier- und Behandlungszimmer vom Zaun bricht, nur eine fiebrige Halluzination, die der Analytiker einer schmerzlindernden Morphiumspritze verdankt. Andererseits ist die Begegnung 1938 mit dem jungen Dalí verbürgt - wenngleich sie bestimmt nicht so exaltiert verlief wie bei Malkovich. Im Übrigen hat wohl erst das neuerliche Treffen der beiden Traumdeuter in "Hysteria" dazu geführt, dass die Inszenierung nach Barcelona kam. Denn 2004 feiert Katalonien ein großes Gedenkjahr aus Anlass von Dalís 100. Geburtstag. So war der Boden bereitet für eine historische Hommage.

Doch man fragt sich zugleich, wie Johnson wohl Anfang der neunziger Jahre darauf verfallen sein mag, dieses Stück zu schreiben, und vor allem: es so zu schreiben. Denn nirgendwo spürt man darin den Ehrgeiz, die angespielten heißen Eisen aus der damaligen Zeit etwa in neuem Licht zu sehen, Freuds Erbe zu dekonstruieren oder aktuelle Psychomoden mit dem Ernst der Vorkriegszeit zu konfrontieren. "Hysteria" ist ein seltsam zeitloses Kabinettstückchen aus dem Geiste der Gemütlichkeit.

Gepflegte Bildungsbürgerbelustigung, leicht bitter im Abgang, denn immer wieder einmal wird der alte Mann Freud ernsthaft bedauert, oder Jessica durchlebt aufs Neue einen schweren kindlichen Missbrauch. Plötzlich sollen wir ergriffen sein. Der komische Kobold Dalí wird für die entsprechende Zeit von der Lichtregie in den Schatten gestellt - damit die Tragik fünf ungestörte Minuten hat. Dann springt Dalí wieder in die Szene hinein und stiftet neue Lacher.

Die Guckkastenbühne ist liebevoll auf Epoche dekoriert. Mindestens ein halbes Dutzend Perserteppiche, Regale voller Bücher, ein mächtiger Schreibtisch, Sessel und Diwan für das traditionelle Analyse-Doppel, und nach hinten hinaus die Fensterfront zur Terrasse, durch die das Tageslicht stimmungsvoll variiert werden kann. Freud, gespielt von Abel Folk, sitzt zu Beginn still im Sessel und sagt zum Publikum gewandt: "Rechnen Sie nicht damit, dass ich das Schweigen breche. Dieses Schweigen ist Ihr Schweigen, und es ist viel beredter, als Sie annehmen."

Das ist ein ordentlicher, sogar ein vielversprechender Anfang, weil er suggeriert, dass man hier etwas zu verarbeiten, zu schlucken bekäme, etwas, dass durchaus die eine oder andere Schweigeminute wert sein könnte. Schließlich aber verhält sich das Stück den Zuschauern gegenüber eher wie ein historischer Roman: Man lernt ein bisschen was (falls man's noch nicht wusste: über zwei, drei Werke Freuds und die Unbill seiner späten Jahre); Hauptsache aber, man unterhält sich gut. Es ist, als stimmte der Immigrant Malkovich im selbstgewählten Exil plötzlich das Hohelied der alten Heimat Hollywood an.

Dalí - der Mann für den Unterhaltungswert

Glücklicherweise ist Dalí genau der richtige Mann für den Unterhaltungswert. Immer gewesen. Und sein Darsteller Enrique Alcides stolziert und springt und schleicht und aalt und zittert derart elastisch und energetisch über die gesamte Bühne; grimassiert und deklamiert derart überspannt in den Raum hinein, dass fast alle Biederkeit des Stückes gerechtfertigt erscheint - weil der Kugelblitz Dalí vor dem matten Fond umso greller Funken sprüht.

Doch Dalí ist nicht die Hauptfigur. Und Johnson will ja auch nicht auf den Ernst verzichten. John Malkovich mag ihm da nicht in die Parade fahren. Also wechselt er, wie vom Autoren vorgeschrieben, brav hin und her zwischen Drama und Burleske. Gibt jedem das Seine. Nur bringt er die beiden Temperamente nicht zusammen, sondern hält sie getrennt. Das führt zu einem doppelten Unbehagen: Sollen wir jetzt heulen? (Wo steckt Dalí?) Und jetzt, nur noch Schenkelklopfen? (Wie geht es Freud?)

Es heißt, der Theaterregisseur John Malkovich lasse den Schauspielern viel Raum, um sich selbst ihre Rollen zu erschließen. Womöglich ist das seine eigene Adaption der alten Analytiker-Taktik: Nix vorgeben, alles kommen lassen. Das hätte seine innere Logik. Was beim Patienten der Leidensdruck auslöst, erledigt bei den Schauspielern der Ausdruckszwang. Doch mit den Zuschauern funktioniert der Trick nicht auf vergleichbare Weise. Denen muss der Regisseur schon von sich aus etwas Substanzielles vorlegen. Etwas, das ihr Schweigen bereichert, jenseits der Lacher. Da weiß Malkovich nicht weiter und bleibt, zwischen Perversion (Dalí), Projektion (Jessica), Resignation (Freud) und Indignation (Yahuda) den Mehrwert schuldig.

© SZ vom 17.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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