Theater-Festival:Fiese Medusa

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Eva Bay und Maximilian Kraus in "Café Populaire" aus Zürich. (Foto: Barbara Braun)

Zur Eröffnung von "Radikal jung"

Von Egbert Tholl, München

Am Samstag hat die diesjährige Ausgabe von "Radikal jung" begonnen und gleich am ersten Tag konnte man mit drei Produktionen annähernd die ganze Bandbreite zeitgenössischen Theaters erleben: performatives Mitmachtheater von The Agency, rasantes Sprachkabarett von Nora Abdel-Maksoud, versponnene Poesie von Camille Dagen. Die Varianz sorgt auch dafür, dass man den Tag mit drei Aufführungen hintereinander gut überlebt, alles ist aufregend, neu.

Und auch ein bisschen anstrengend. Allerdings kann man sich bei The Agency damit behelfen, dass man den Akteurinnen zuschaut und allein schon vom Anblick der Körper in trainierender Bewegung selbst fit wird. Gedacht ist "Medusa Bionic Rise" potenziell durchaus auch als Gelegenheit zur eigenen Ertüchtigung; tatsächlich machten, so erzählen Mitwirkende, an anderen Orten Zuschauer begeistert mit. 2017 kam die freie Produktion in Basel heraus, seitdem tourt sie, fand in München den dafür extrem gut passenden Raum, den Common Ground in der Zschokkestraße. Dort haben die vier Frauen, die The Agency sind, ein leicht futuristisches Fitnessstudio mit neben dem körperlichen auch geistigen Gesamtoptimierungsanspruch hineininstalliert. Musik wabert, als legte Vernon Subutex auf, man kann Proteindrinks zu sich nehmen, die mit ihrer milchklumpigem Süßlichkeit eine ganz starke Sehnsucht nach dem heimischen Weinkeller auslösen, dessen Gesamtpromille-Gehalt von etwa 13 900 dem hier herrschenden Selbstoptimierungsgedanken eklatant zuwiderliefe.

Aber Medusa ist ohnehin fies. Als Mythos schon garstig, breitet die hier für zwei Stunden behauptete Realität ein schleichendes Unwohlsein aus. Der Körper ist eine Option, von seinem Inhaber selbst genutzt (oder nicht), ist Ersatzteillager, ist Verpflichtung zu einer Hochglanzsexyness, bis alles zerfällt, die optimierten Körper kaputtgehen und nichts bleibt, weil außer dem Körper nichts auf Vordermann gebracht wurde.

Leicht verdattert steht man danach auf der Straße und wird bald darauf im Volkstheater selbst von Nora Abdel-Maksoud und ihren vier Darstellenden überrollt. "Café Populaire" ist eine von Abdel-Maksoud selbst erdachte, beinhart durchgebimste Kabarettnummer mit vier schonungslos brillanten Menschen auf der Bühne, die mithilfe des hier herrschenden Spracheinfallsreichtums den Lack vom Gutmenschentum abschlagen, worauf das Böse durchbricht. Entscheidend ist der letzte Satz: "Warum man hier so gut Witze über Arme machen kann? Weil die sich die Karten eh nicht leisten können." Die Produktion kommt vom Theater Neumarkt in Zürich, da weiß man über so etwas Bescheid. Nach München passt sie eh.

Man könnte es auch so empfinden: Erst wird der Körper zur Disposition gestellt, dann die soziale Klasse, dann kommen die Franzosen. "Durée D'Exposition" von Camille Dagen beginnt ganz schüchtern als Nachdenken über die einfachen Mittel des Theaters und wird dann zu einem zauberhaften Bühnengedicht, getragen von der freien Aura der beiden Darsteller auf der kleinen Bühne, Hélène Morelli und Thomas Mardell. Zwei Stränge führen zur Einzigartigkeit eines Moments. Der eine stammt aus Racines Stück "Bérénice" und zielt auf die Liebe und die Unmöglichkeit, sie festhalten zu können, der andere kommt von der analogen Fotografie und der Entscheidung für einen Augenblick. Früher hatte man im Urlaub einen Film dabei, 36 Bilder, jedes war unendlich wertvoll. Heute schafft man selbst einen digitalen Wegwerffundus, für den die Liebe aber viel zu wertvoll ist.

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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