"The Who" in München:Talking 'bout their generation

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Das Original ist besser als jede Kopie. In der Münchner Olympiahalle spielten The Who vor 6000 Fans: Zehn Lehren aus einem fulminanten Zwei-Stunden-Konzert.

Hans-Jürgen Jakobs

Also erzählte der schlanke, kahlköpfige Mann mit dem Zauberergesicht, dass sie sich freuten, wieder in Deutschland und in München zu sein. Er erzählte von damals, von 1972, als sie schon einmal da waren und Bomben explodierten: "Das war der Beginn des Terrorismus. Aber das ist alles Geschichte." Pete Townshend hat seine eigene, etwas schrullige Sicht, die Welt zu betrachten. Heute würden sie einige eigene Bomben mitbringen, ergänzt der Gitarrist, Komponist und Co-Sänger der 1964 gegründeten Rockband The Who. Er meint die Musik.

Achtung, Ansage: The Who mit Frontmann Roger Daltrey in der Olympiahalle. (Foto: Foto: ddp)

Und dann spielt Townshend am Mittwochabend in der Münchner Olympiahalle vor 6000 Zuschauern. Es war, als flössen Sechziger-Jahre-/Siebziger-Jahre-/Achtziger-Jahre-Shows ineinander. Zehn Lehren aus einem fulminanten Zwei-Stunden-Konzert.

1. Ältere Männer sind nicht zu unterschätzen. Townshend mag 62 Jahre alt sein und der Sänger Roger Daltrey, 63, sogar noch einige Monate älter, aber in diesen Säulenheiligen des Rock steckt mehr Kraft als in mancher Jüngelchen-Band des aktuellen Rockgeschäfts. Offenbar macht es den beiden Spaß, dies ihrer Umwelt zu beweisen. "Endless Wire" heißt denn auch ihre aktuelle CD.

Besser als die Gitarristen in mancher Jüngelchen-Band: Pete Townshend, 62. (Foto: Foto: ddp)

10. Am Ende: good old boys. Oft genug in ihrer Karriere haben sich Townshend (der intellektuelle Kopf) und Daltrey (der charismatische Frauenschwarm) gegenseitig ihren Ruhm vorgeworfen. Sie zickten. Nun spielen sie auf dem Konzert manchmal im Duett, und alles wird gut. Daltrey schaut mit Seemannsblick ins Publikum, sagt nach 115 Minuten, nun hatten wir unsere Zeit und wir verschwinden. Am Schluss ihres Münchner Konzerts stehen Roger Daltrey und Pete Townshend, die ewigen Freundfeinde, Arm in Arm auf der Bühne. Sie lassen mit einer Ballade unplugged enden. Zwei Musiker, eine Generation.

2. Wenn nichts hilft - "back to the roots". Zum Konzept gehört, immer wieder Songs aus ihren ersten Jahren einzustreuen, Songs aus Swinging London und der Beat-Ära. Die Who begannen ihr Münchner Konzert mit "Can't Explain", später brachten sie etwa "Substitute". Das klang wie bei den alten Beatles oder den Small Faces oder den Kinks, nur die Gitarren und Verstärker ließen die beiden auf der Bühne in intaktem Zustand, anders als in ihrer wilden Zeit. Da war es Teil des destruktiven Konzepts, die Anlage zu demolieren.

Intellektueller Kopf der Who, Überlebender der wilden Jahre: Pete Townshend. (Foto: Foto: ddp)

3. Am Anfang war Rock 'n' Roll. Die Veteranen Townshend und Daltrey machen, was die Veteranen vor ihnen gemacht haben: Sie orgeln den Blues der Weißen, und das mit Ausdauer. Recht soft ist der Song "Real Good Looking Man" (2004), eine Hommage an Elvis Presley, der auf der Bühnenleinwand ausgiebig gezeigt wird. "Als wir anfingen, wollten alle so sein wie er", erzählt Daltrey, der ehemalige Blechschweißer.

4. Jedes Zitat ihrer selbst ist erlaubt. Immer wieder zeigen die Who bei ihrer Show Bilder von alten Konzerten und aus dem England der sechziger Jahre: Bobbies, alte Eisenbahnen, Roger Daltrey mit Locken, Instrumente gehen zu Bruch. Bilder aus dem Film "Quadrophenia" sind zu sehen, der einige Jahre nach ihrer 1973 veröffentlichten LP in die Kinos kam. Es ist ein Film über die Mods, die die Who immer verehrt haben. Es wirkt, als ob The Who im Jahr 2007 gegen die eigene Vergänglichkeit anspielen wollen, oder besser: sie zeigen wollen, was bleibt. Diese Tournee ist ein Nachruf zur Lebenszeit.

5. Das Original ist besser als jede Kopie. Viele Hits der Who sind nachgespielt worden von anderen Bands, und wurden zum Teil dadurch erst richtig berühmt. Zum Beispiel "Behind Blue Eyes" in der Version von Limp Bizkit. Spätestens, als Townshend und Daltrey den Song in München anstimmen, haben sie ihr Publikum - Generation 50plus - auf ihrer Seite. "My Generation", die Hymne von 1965, wiederum hat in der Interpretation der aktuellen Who nichts von der lodernden Aggressivität eingebüsst. So schön die derzeit vielbesprochene Version der Altersheimband The Zimmers ist - bei Daltrey klingt es nun mal so, wie es klingen muss.

6. Der Trotz der Jahre. Ihr Symbol - drei farbige Kreise - zeigen die Who abwechselnd mit dem Peace-Zeichen, dem Regenbogen und einem Herzen. Sie singen von Pfaffen ("A Man in a Purple Dress") und holen aus ihrem unvergleichlichen "Won't Get Fooled Again" viel alterskräftigen Trotz heraus. Die Wellenverläufe dieses ekstatischen Songs begleitet Daltrey mit Mundharmonika; ersetzt so die Violine der Originalaufnahme. Townsend sagt vor dem Song: "Go ahead and cry" zu seinen Fans, was aufmunternd gemeint sein soll.

7. Zwei sind sechs sind vier. Von der Urbesetzung der Who sind nach dem Medikamenten-Tod des legendären Drummers Keith Moon (1978) und dem Ableben des Bassisten John Entwistle in einem Hotelzimmer (2002) nur die beiden Stars Townshend und Daltrey übrig. Zak Starkey, Sohn des Ex-Beatles-Drummers Ringo Starr, trommelt sich aber mit Moons Verve durch die Jahrzehnte und wird von Townsend als "Mann am Polyester" vorgestellt. Pino Palladino zupft einen markanten Bass. Petes Bruder Simon Townshend und der Keyboarder John Bundrick komplettieren die Band. Zu Bundricks Arbeitsgerät merkt Townshend an, es sei "von Johann Sebastian Bach erfunden" worden.

8. Trau keinem über 60! Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung hatte der einst drogenabhängige Townshend gewitzelt, er selbst sei gesundheitlich gut drauf, während Daltrey aber doch einige körperliche Probleme habe. Tatsächlich ist der muskelbepackte Frontmann im T-Shirt, der augenscheinlich keine Kraftmaschine auslässt, gut bei Stimme. Er lässt das Mikro sausen - vorne herum, hinten herum -, fängt es am Schluss mit einer Hand auf. Townshend wiederum lässt wie gewohnt den gestreckten Arm auf die Saiten kreisen, eine Spielart, die sie "windmill" (Windmühle) nennen. Nun, der Mann macht noch immer viel Wind. Er lässt sich im flotten Wechsel die Gitarren reichen, dreht selbst am Verstärker rum. Auch zu zwei Sprüngen reicht es.

9. Das Leben, eine Oper. Sie spielten viele ihrer zahlreichen Hits, von "The Seeker" über "Baba O'Riley" bis zu "Who Are You". Zur Zugabe halten sie es noch einmal mit ihrer Groß-Erfindung, der Rockoper, und hier mit dem Meisterwerk "Tommy". Daltrey schmettert "Pinball Wizard" ins weite Rund der Olympiahalle, und sie singen: "See Me, Feel Me". Das Leben der Rockband The Who ist selbst eine große Rockoper, gegen die der Aufstieg und Fall der irgendwie kostümiert wirkenden Rolling Stones eine eher fade Angelegenheit ist. Die Who, das die Nachricht des Tages, sind die Who geblieben. Authentisch, ursprünglich, proletarisch. Ihre Botschaft: Wir haben nur uns, unser Leben, unsere Musik.

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