Tenor:Die Versuchung eines reinen Tors

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Jonas Kaufmann singt die Titelpartie im Parsifal, der Eröffnungspremiere der Opernfestspiele 2018.

Interview von Rita Argauer

Voller Mut zur Düsternis hat sich die Bayerische Staatsoper mit ihrem Motto "Zeig mir Deine Wunde" in dieser Saison präsentiert. Nun beginnen die Münchner Opernfestspiele, und mit der großen Premiere von Wagners "Parsifal" löst sich der Wahlspruch der Spielzeit noch einmal ein. Diese Oper, die Wagner selbst als "Bühnenweihfestspiel" bezeichnet, kreist um die Themen von Sünden, Wunden und letztendlicher Erlösung. Da gibt es auf der einen Seite Amfortas, dessen Wunde nicht heilt und der nicht sterben kann. Und auf der anderen Parsifal, den jungen, reinen Tor als ungeahnten Heilsbringer.

Für die Sonderbeilage der Süddeutschen Zeitung zu den Opernfestspielen haben sich mitwirkende Sänger, Dirigenten und Tänzer in Kurzinterviews zu ihren "Wunden" geäußert und ob es auch eine Art von Stärke ist, diese ab und an zu zeigen. Manche erzählen von der einen oder anderen Verletzung, die sie sich schon bei ihrer künstlerischen Arbeit zugezogen haben. Doch das heitere Programm, etwa die zweite Premiere der Festspiele, Haydns "Orlando Paladino" in der Regie des Kino- und "Tatort"-Experimentierers Axel Ranisch wird ebenfalls vorgestellt, ebenso die Festspielwerkstatt, in der mit der traditionellen Opernregie gebrochen wird. Hinzu kommt eine Premiere des Bayerischen Staatsballetts, in der explizit junge Choreografen zum Zug kommen. Einer von ihnen ist das Ensemblemitglied Dustin Klein.

Zwei Wochen vor der Premiere probt Jonas Kaufmann gut gelaunt den düsteren "Parsifal" (Regie: Pierre Audi), obwohl sein Sommer vor Terminen überquillt. Bei den Münchner Opernfestspielen ist er beinahe jedes Jahr dabei, heuer singt er auch in der "Walküre". Hinzu kommen im Juli Konzerte in Madrid, Barcelona und Berlin. Doch jetzt geht es erst einmal zum Friseur...

SZ: Gleich werden Ihnen die Haare geschnitten. Der Parsifal in der Münchner Inszenierung von 2018 trägt kurze Haare. Warum?

Jonas Kaufmann: Fragen Sie mich nicht. Parsifal ist ja ein Knabe oder ein Junge. Ein reiner Tor, der sich noch nichts zu schulden kommen lassen hat. Der von nichts etwas weiß und der sich keinen Kopf macht. Mit dieser Unbedarftheit überwindet er jedoch Schwierigkeiten, die all die anderen, die schon so stark vorbelastet sind mit der Geschichte, nicht bewältigen können. Und diesmal soll er halt kurze glatte Haare haben.

Und dafür müssen Ihre Locken fallen?

Glatt, das funktioniert mit meinen Haaren nicht, da kann man reinschmieren was man will, in so einem Fünf-Stunden-Abend schneckerln die sich immer wieder auf. Also haben wir gesagt, dann machen wir sie eben möglichst kurz, weil sich die Locken dann nicht wirklich eindrehen. Mal schauen.

Wie wird denn die Inszenierung generell?

Es ist eine sehr minimalistische Regie, denn es gibt diesen einen großen Protagonisten und das ist das Bühnenbild. Das ist ein sehr beeindruckendes Kunstwerk in drei Teilen geworden. Dazu gibt es von Georg Baselitz auch Entwürfe zu den Kostümen, die die Kostümbildnerin umgesetzt hat und die ebenfalls sehr ungewöhnlich sind. Die Regie muss sich dementsprechend zurücknehmen und wird dadurch etwas weniger aufwendig und zwingend.

Was leistet die Regie, wenn die Ausstattung so mächtig ist?

Es muss dann eher etwas Reduziertes sein. Wir sind da auch immer noch ein bisschen am Suchen in der Sprache der Regie. Sie soll dezent genug sein, um nicht zu sehr im Vordergrund zu stehen, aber intensiv genug, um den Abend zu tragen und dem Publikum zu helfen, die einzelnen Situationen zu verstehen. Eine Gratwanderung.

Thematisch steht bei Parsifal die Erlösung im Mittelpunkt. Wie funktioniert ein solches hochreligiöses Thema für die heutige Gesellschaft?

Erst einmal losgelöst von der ganzen religiösen Thematik: Ich glaube, dass Wagner nicht unbedingt als Religionsfanatiker verschrien war. Aber trotzdem hat er diese Musik mit einer Intensität versehen, einem Drängen und einem Leiden und letztlich einem Loslassen, die das Stück für uns als Gläubige und als Nichtgläubige gleichermaßen zu einer spirituellen Erfahrung machen. Christus, die Symbolik des Grals und die Erlösung der Sünden der Kundry, die am Kreuz Christi gelacht hat und seitdem im ewigen Kreislauf ein Leben nach dem anderen lebt, um endlich weinen zu können, das ist auf den ersten Blick ein hochreligiöses Thema. Aber ich habe es immer wieder erlebt, ob das jetzt in New York war oder wo auch immer, dass Leute allen Glaubens oder Nichtglaubens gleichermaßen bewegt und berührt davon sind. Das kann einen nicht kalt lassen. Dieses Stück hat einen magischen Sog.

Der auch heute noch funktioniert?

Die Sehnsucht nach Erlösung in irgendeiner Form gibt es immer. Nach Erlösung von der Arbeit, von der Mühe des Tages, oder von den Sorgen und den vielen Problemen, die viele Menschen überall auf der Welt haben. Diese Musik ist gut für all diese Erlösungsmomente. Im Prinzip funktioniert das also selbstverständlich noch.

Die Welt verändert sich gerade sehr. Religionen werden wieder stärker. Hat sich Ihr Blick darauf in den 15 Jahren, in denen Sie den Parsifal nun singen, geändert?

Generell ist Oper wieder mehr im Kommen. Das liegt wohl auch daran, ähnlich wie bei Religion, dass sie ein Zufluchtsort ist, an dem man seine Sorgen loswerden kann. In der Oper kann man sein Leid vergessen und mit dem Leid, das die Figuren empfinden, letztlich über das eigene Mühsal besser hinwegkommen. Das hat sich in der Vergangenheit auch immer wieder bestätigt. Obwohl aus ökonomischer Sicht in einer Krise weniger Geld für Freizeitbetätigung da sein sollte, ist aber das Gegenteil der Fall. Für mich persönlich hat sich das nicht so sehr geändert, weil ich das schon vor 20 Jahren als extrem starke Musik empfunden habe. Aber in der allgemeinen Wahrnehmung wird etwas wie diese Oper wieder mehr gebraucht.

Abseits vom Inhaltlichen: Welche Herausforderung birgt diese Partie stimmlich?

Die ist sehr speziell, weil sie eigentlich gar nicht so lang ist. Wenn man all die Stücke zusammenzählt, die der Parsifal zu singen hat, ist das gar nicht viel. Die Schwierigkeit ist letztlich die Konzentration. Der Parsifal ist sehr viel auf der Bühne, singt wenig, hört viel zu, singt dann für 40 Minuten gar nicht mehr, ist aber immer dabei. Das ist anstrengend. Im zweiten Akt ist viel mehr zu singen, aber dadurch ist es auch viel einfacher, weil es eine normale Opernpartie ist. Da bleibt man immer drin. Der dritte Akt ist wieder schwierig. Da tritt man auf, singt wieder minutenlang gar nicht, dann kommen wenige Einwürfe, die aber zum Teil sehr heftige Ausbrüche sind. Da ist die Frage: Wie schaffe ich es, sieben Minuten nichts zu singen und dann aber die zartesten, feinsten Töne perfekt zu treffen?

Und wie schafft man das?

Der Energiehaushalt ist das Entscheidende. Aber auch die Erfahrung spielt eine große Rolle. Man muss ruhig bleiben, braucht Selbstsicherheit. Es ist wichtig, dass man dabei Vertrauen in die Stimme hat und nicht ständig vor sich hin summt, sondern die Stimme kommen lässt wie sie kommt. Das fiel mir am Anfang viel schwerer als es heute ist. Vergangenes Jahr habe ich den Parsifal in drei konzertanten Aufführungen gegeben. Das ist viel einfacher, plötzlich merkt man, wie wenig diese Partie eigentlich wirklich ist. Die größte Schwierigkeit ist die Zeit, die man still auf der Bühne verbringt, bis die nächste Phrase kommt.

Parsifa l, Premiere: Do., 28. Juni, 16 Uhr , Nationaltheater, Max-Joseph-Platz 2, Live-Übertragung auf BR-Klassik

© SZ vom 21.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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