Tanztheater:Öffentliche Körper

Lesezeit: 2 min

"Kein Applaus für Scheiße": Florentina Holzinger und Vincent Riebeek zu Gast in den Kammerspielen

Von Egbert Tholl, München

Vor zwei Jahren waren sie schon einmal in München, Florentina Holzinger und Vincent Riebeek. Damals zeigten sie, unter Zuhilfenahme anderer Performer-Körper, "Wellness", eine schonungslose, verstörende und gleichzeitig überaus faszinierende Abrechnung mit Körperkult im weiteten Sinn. Nun sind die beiden mit ihrer ersten Performance zu Gast an den Kammerspielen, und "Kein Applaus für Scheiße" besitzt nicht nur einen grandiosen Titel, es ist auch eine ganz und gar freundliche Veranstaltung. Bei deren Besuch es allerdings nicht schadet, ein klein bisschen hartgesotten zu sein.

Im Grunde sind die beiden ja Tänzer und Choreografen, und "Kein Applaus" haben sie vor eine paar Jahren entwickelt, als sie noch studierten, an der Amsterdamer School for New Dance Development. Im Zauber des Zusammenkommens, künstlerisch und privat, liegt auch der Glanz, der diese Darbietung überwölbt. "Kein Applaus für Scheiße" ist auch ein Manifest, ein Abarbeiten an Vorbildern, was den beiden ohnehin oft innewohnt in ihrer künstlerischen Arbeit: Ein wenig erinnert das, was das Duo treibt, immer an die Siebzigerjahre, an jene Zeit also, als theatralische Umtriebigkeit alles erkundete, was auf einer Bühne möglich sein könnte.

Auch die Musik, die sie verwenden, während sie singen, tanzen oder absonderliche Dinge mit ihren Körpern veranstalten, wurzelt in den Siebziegern, teils im Original, teils in Klangderivaten, in einer Art Ragga-Disco-Rap. Und wenn Holzinger Whitney Houstons "Greatest Love of All" singt, dann wohnt diesem Song ja auch die Reminiszenz an große Zeiten vergangener Musik inne. Überhaupt, in diesem Lied liegt ein Kern des Abends, wenn Holzinger eben singt, dass die größte Liebe, die es zu entdecken gibt, die zu sich selbst sei. Das hat bei Houston ja nichts Narzisstisches, das ist die Überwindung depressiven Selbsthasses durch das positive Kennenlernen des eigenen Ichs. Passend dazu Passagen aus dem hier verkündeten Manifest der beiden: Ein Künstler soll nicht Selbstmord begehen. Aber auch keine Kompromisse eingehen, Freund und Feind schätzen.

Es ist sehr süß, wenn Vincent Riebeek, ein auf der Bühne faszinierendes Wesen von allumfassender sexueller Attraktion, verkündet, sie hatten nie im Sinn, jemanden zu provozieren. Ihm scheint dies angeraten, offenbar, weil sie sich ja gerade im Werkraum der Kammerspiele und nicht bei einem abgefahrenen Festival befinden. Aber was er und die nicht minder körperlich faszinierende, schillernde Florentina Holzinger mit ihren Leibern machen, aus denen Manches herauskommt, was man so nicht erwarten würde, in die man aber auch Manches hineintun kann, ist letztlich nichts anderes als ein Hohelied der Liebe. Das braucht eh keine Entschuldigung. Auch wenn hier Privatheit öffentlich wird.

Im Programmzettel der Kammerspiele ist zu lesen, dass dies der Beginn einer Zusammenarbeit mit den beiden ist. Darauf freut man sich, und die Ensemblemitglieder des Hauses können an ihrem freien Abend auch zugucken.

© SZ vom 17.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: