Tanz:Spitze auf Spitze

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"(R)evolution", ein Ballettabend in Augsburg

Von Eva-Elisabeth Fischer, Augsburg

Einen gemischten Ballettabend unter ein Motto zu zwingen, zielt meistens daneben. So auch just in Augsburg, wo man vier Stücke von vier höchst unterschiedlichen Choreografen mit "(R)evolution" überschrieben hat, obgleich an diesem Abend keinerlei (ästhetisches) Aufbegehren erkennbar und eine nennenswerte (stilistische) Fortentwicklung allenfalls in einem Fall zu verfolgen wäre. Das ändert nichts daran, dass das Programm im Brechttheater eine runde Sache und damit äußerst gelungen ist. Und dies nicht nur, weil man an diesem Spielort ohne Rampe das Bühnengeschehen hautnah erlebt und ziemlich schnell beginnt, regelrecht mit den Tänzern zu atmen. Andererseits sind diese gnadenlos kritischen Blicken ausgestellt, denn hier versendet sich nicht der geringste Wackler. Und so steigt die Achtung für dieses kleine, ungemein flexible Ensemble von Minute zu Minute.

Ballettchef Robert Conn hat selbst eine außerordentliche Tänzerkarriere hinter sich beim American Ballet Theatre, beim National Ballet of Canada und beim Stuttgarter Ballett und weiß am besten, was Bühnenpräsenz bedeutet. Der grundsympathische Künstler und Mensch hat da eine 16-köpfige Truppe von Tänzerinnen und Tänzern auf sich eingeschworen, für die eine hervorragende Technik das ist, was sie sein soll: die selbstverständliche Grundlage für die Rollengestaltung. Dank Conns internationalen Verbindungen kommen seine Choreografen von überall her. Entscheidend ist die Qualität - es müssen ja nicht unbedingt Uraufführungen sein.

Das erste und das letzte Stück bilden in ihrem neoklassischen Grundtenor eine Klammer, wobei das "Adagio & Scherzo" des polnischen Choreografen Krzysztof Pastor zum zweiten und dritten Satz des weltweit schon fast totgetanzten Schubert-Streichquintetts in C-Dur in seiner konservativen Formenstrenge doch einigermaßen abfällt gegen das expressiv aufgeladene Entree des Programms mit Lode Devos "Brel-Suite". Der Flame lässt Tische hereintragen und eindecken, an denen das Ensemble als angeregte Gesellschaft Platz nimmt. Auch wenn Jacques Brel dort nicht wie in seiner Brüsseler Stammkneipe sein Bier trinkt, ist er präsent durch zehn hochdramatische, aber auch gauklerhafte Lieder, endend mit dem herzzerreißenden "Ne me quitte pas". Seine Lieder geben den fröhlich Feiernden Gelegenheit zu ekstatischen, emotional schillernden Soli, Duetten und Trios, die allesamt kongenial zu den Texten um Freundschaft, Liebesleid und Verlust kreisen. Devos lässt auf Spitze tanzen, aber beredte Arme und Oberkörper machen reines freies Tanztheater, das der Neoklassik jeden Anflug von Akademismus austreibt.

Moderne als Akrobatik auf Spitze, wie sie der Leipziger Ballettchef Mario Schröder versteht, legen die hinreißende Yun-Kyeong Lee und ihr hingebungsvoller Partner mit dem Pas de deux "Pour un clin d'oeil" als Akt hoch konzentrierter, geschmeidiger Equilibristik hin. Und schließlich verkettet die Frankokanadierin Dominique Dumais mit "My Desert, my Rose" zu "The Sound of Silence" faszinierend- mysteriös zwei Männer und Frauen herum um einen Ast im sonst leeren, fahl beleuchteten Raum.

© SZ vom 20.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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