Tanz:Akademische Intimität

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Das neue Stück der Choreografin Anna Konjetzky

Von Rita Argauer, München

Intimität zu zeigen, ist so reizvoll wie schwierig. Besonders auf Theaterbühnen. Gelingt es, dass sich ein intimer Moment ins Publikums überträgt, kann das herrliche Affekte auslösen. Gelingt es nicht, entsteht eine Situation, die oft ins Fremdschämen kippt. Die Münchner Choreografin Anna Konjetzky hat sich in ihrem neuen Stück "About a Session" die Intimität zum Thema gemacht.

Die Falle der schlecht gespielten Zweisamkeit umgeht sie dabei jedoch schon im strukturellen Ansatz des Stücks. Indem sie es als "Session" bezeichnet, lenkt sie den Fokus weg von der fertigen Aufführung und stellt vielmehr den Entstehungsprozess in den Vordergrund. In einer Session, in der sich die Künstler erst einmal öffnen müssen und Sachen ausprobieren, die vielleicht auch schief gehen können, herrscht ein Klima, das eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Konjetzky lädt die Zuschauer also ein, an dieser zweifelsohne intimen Atmosphäre teilzuhaben. Doch der strukturelle Rahmen allein reicht bei "About a Session" nicht aus. Denn auch als Inhalt wählt Anna Konjetzky das große Thema menschlicher Intimitäten: Sex.

Also beobachtet man in der Kammer 2 der Münchner Kammerspiele über eine gute Stunde hinweg die vier Tänzer Sahra Huby, Maxwell McCarthy, Quindell Orton und Victor Perez Armero, wie sie zuerst in vorher aufgezeichneten Interviews ihre liebsten Sex-Stellungen beschreiben und diese später - mal tänzerischer, mal naturalistischer - nachstellen. Dazu gibt es eine Art gottgleiche Anweisungsstimme, die das Geschehen auf Englisch vom Band kommentiert oder voraussagt. Anna Konjetzky hat in ihr Stück ein paar solcher Brechtscher Distanzierungs-Tricks eingebaut, in denen der Zuschauer zwischen erklärter Realität und ausgestellter Künstlichkeit schwankt.

Toll funktioniert das, wenn die Tänzer schon weit fortgeschritten sind in der Offenbarung ihrer Sex-Bewegungen, ihre Körper aber mit Kontaktmikrofonen versehen sind und so zu astreinen Sample-Pads werden: Rubbeln am Hintern, ein Beat ertönt. Schlag auf die Brust, der Beat stoppt. Reiben am Bein, elektronisches Knistern erklingt und die Tänzer-Körper werden quasi zu masturbierenden Cyborgs. Doch letztlich überwiegt das Akademische dieser Vertraulichkeiten, unterstützt von Video-Einspielern, in denen etwa Judith Butler mit Pamela Anderson gegengeschnitten wird. Überraschend ist Butlers Gender-Analytik in diesem Kontext nicht, und sinnlich oder gar erotisch und intim wirken die Trocken-Beischlafübungen nur selten.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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