SZ-Serie: Kulturreferenten (1):Der Etat bin ich

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SZ-Serie Kulturreferenten (1): Münchens Sonnenkönigin Lydia Hartl ist nicht zu fassen

ALEX RÜHLE / CHRISTOPHER SCHMIDT

Wie kann man noch Festspiele ausrichten, wenn kein Geld mehr da ist? In einer kleinen Serie porträtieren wir die Kulturreferenten der großen deutschen Städte und fragen uns, wie sie ihren Job in Zeiten des Sparens meistern.

Wenn sie einem ihre Entscheidungsverschleppungen als besondere Sorgfalt umdeutet, erinnert sie an Lewis Carrolls "Alice hinter den Spiegeln", die in eine Parallelwelt eintaucht, in der common sense und Logik außer Kraft gesetzt sind. (Foto: N/A)

Das "Ministry of Fear" liegt in der Münchner Burgstraße 4, direkt hinter dem Rathaus. Früher war hier das so genannte Kulturreferat untergebracht, heute steht am Klingelschild zwar noch immer Kulturreferat, aber es kommt keine Kultur mehr heraus aus dem Referat. Sondern Chaos, heiße Luft und angstvolles Schweigen. Ruft man dort an, so legen die Mitarbeiter wahlweise auf, sagen, sie könnten leider nichts sagen oder brechen in Tränen aus. Intern wird die Etage, auf der Lydia Hartl residiert, nur noch die "Geisterbahn" genannt.

Schon das Büro der Kulturreferentin wirkt wie eine Dekoration. Möbliert ist es mit Leihgaben des Stadtmuseums aus dem Nachlass des Schrift stellersJosef Ruederer. Dessen Stück "Die Morgenröte" schildert das Aufbegehren der Münchner Bürger gegen König Ludwig I. während der Revolution von 1848. Der König hat die Tänzerin Lola Montez in den Adelsstand erhoben. Als "Gräfin von Landsfeld" mischt sie sich in die Politik ein, entlässt Professoren und besetzt Ministerposten nach Gutdünken. Für die Münchner steht fest: "A Ruah kriang mer koane mehr, solang des Mensch no do is." Die aufgeheizte Stimmung entlädt sich in einem Aufstand, Lola Montez wird vertrieben, der König dankt ab. Ruederers Stück fiel damals der Zensur zum Opfer. Und weil das bezeichnend sei für das engstirnige Klima ihrer Geburtsstadt, so Lydia Hartl inmitten ihrer Schriftstellerkulissen, habe sie Lola Montez einmal als Vorbild genannt. So benutzt sie das Münchner Kultur klima als Rechtfertigung dafür, dass sie ihre groß angekündigten Neuerungen, um deretwillen sie den Job der Kulturreferentin bekam, immer noch nicht vorangebracht hat.

Aus dem Amt gejagt wurde Lydia Hartl noch nicht. Aber kein Kulturreferent hat es bisher geschafft, sich in so kurzer Zeit so viele Feinde zu machen wie sie. Und dies, obwohl sie doch ihren eigenen Worten zufolge die letzte "eigentliche" Kulturreferentin ist. Nur die fetten Jahre hätten charismatische Referenten hervorbringen können, Gestalter, nicht Verwalter. Heute, da auch in München Sparbeschlüsse durchzusetzen sind, ist eher der banausische Sparkommissar gefragt, der blasse Verwalter des Mangels. Im Gegensatz zu solchen Klarsichthüllenmenschen ohne Visionen, "Realpolitikern" und lebenden Aktenordnern sieht sie als Quereinsteigerin sich in der Tradition der Montez'schen "Paradiesvögel".

Wahrscheinlich hat sie einfach nicht gewusst, was dieses Amt bedeutet, als sie vor knapp zwei Jahren einflatterte. Kulturreferenten sind Beamte in einem komplexen Apparat, sie müssen vor allem kommunizieren und delegieren können. In der Theorie stimmt dem auch Hartl zu: "Die Schwierigkeit besteht nicht darin, einsame Vorschläge zu machen, die Beifall bekommen, da hätte ich unendlich viele Ideen. Man muss sich abstimmen und kommunizieren." Genau diese Fähigkeit zur Kommunikation wird ihr in der Praxis aber abgesprochen.

In einem Offenen Brief brachten 40Mitarbeiter ihrer Behörde ihre "große Sorge" darüber zum Ausdruck, dass sich das Arbeitsklima "rapide verschlechtert" habe, die Atmosphäre sei vergiftet, die Arbeitsbeziehung zerrüttet. Kollegen würden ohne ersichtlichen Grund kaltgestellt oder strafversetzt.Spricht man Lydia Hartl auf diesen Brief an, sinkt die Raumtemperatur auf Minusgrade, und ihre Königsgemächer werden zum Eispalast. Nicht sie verderbe die Stimmung, sondern die schwierige finanzielle Situation der Stadt. Außerdem mache man sich durch die unter ihrem Vorgänger Julian Nida-Rümelin begonnene Strukturreform eben unbeliebt, weil "Köpfe rollen". Genau so wie die Kunstszene aufheule, wenn man ihr den Geldhahn zudrehen muss, und die Leidtragenden ihr übel nehmen, dass sie ihre Pfründe verloren haben. Dann aber erklärt sie, das Durchschnittsalter in der Kulturverwaltung sei ja nicht gerade niedrig. Soll heißen: Die Referatsmitarbeiter sind allesamt zu alt, um ihre Visionen nachvollziehen zu können, und schreiben rufschädigende Briefe über angebliche Säuberungen im Referat.

Der Brief bestätigt nur, was auch die gesamte Münchner Kulturszene beklagt: Dass Lydia Hartl nicht mit den Leuten spricht, Personen behandelt wie Verschiebemasse, Gelder umleitet und selbstherrlich Institutionen schließt wie weiland Gräfin von Landsfeld. Sie gilt als wetterwendisch und unberechenbar. "Wie sie einen einwickelt mit ihren Samtblicken, sich dann umdreht und die Messer wetzt, das hat schon Shakespearesches Format", sagt eine ehemalige Mitarbeiterin des Kulturreferats. Kaltblütig und mit offener Lust am Zerstören könne sie Untergebene absägen, Kritiker wegbeißen und das Fußvolk der Kulturszene abstrafen. Während sie anderen vorzugsweise Wagenburgmentalität vorwirft, igelt sie selbst sich mit einem kleinen, er gebenen Kreis in der Geisterbahn ein, eine Kultur-Domina hinter Panzerglas.

Hartl stellte sich den Posten wohl eher wie den einer künstlerischen Intendantin vor, sechs Jahre Regentschaft mit Günstlingswirtschaft: Der Etat bin ich, und deshalb bestimme ich allein, was damit gemacht wird: Nichts. Lydia Hartl setzt sich mit aller Kraft für Projekte ein, um sie dann nicht umzusetzen: Um ihr mittlerweile gescheitertes Medienprojekt "Lab21" machte sie ewig ein raunendes Geheimnis. Befragt nach ihrem Konzept für die Kunst im öffentlichen Raum, spricht sie noch immer von einer "Pilotphase" - was nach zwei Jahren im Amt bedeutet, dass München den langsamsten Piloten der Welt hat. Dass sie eine Million Euro verfallen ließ, weil sie nicht in der Lage war, beizeiten ein Konzept vorzulegen, und dann Juroren bestallte, von denen einige zugleich Antragssteller waren, ist eine Ungeheuerlichkeit.

Von der konkreten Kulturarbeit wirkt Hartl so weit entfernt wie Madame Pompadour vom hungernden Volk: Sollen sie halt Visionen essen, wenn es kein Brot mehr gibt. Sie aber, Lydia I., Kultursonnenkönigin von Christian Udes Gnaden, hat nur das große Ganze im Sinn und lebt die Kultur als freien Austausch hübscher Thesen. Beim Amtsantritt sagte sie, München sei quirliger als das "traditionelle Paris". Statt dann aber Versailles zu bauen, gab es nur Luftschlösser, zu denen das improvisierte Wohnen aus geliehenem Mobiliar passt.

Wenn sie einem, schwarz gekleidet, hoch über den Dächern der Sachzwänge und kulturpolitischen Realien Wolkiges erzählt und ihre Entscheidungsverschleppungen als besondere Sorgfalt umdeutet, erinnert sie an Lewis Carrolls "Alice hinter den Spiegeln", die in eine Parallelwelt eintaucht, in der common sense und Logik außer Kraft gesetzt sind. Man jagt der schwarzen Königin durch deren Labyrinth nach, ohne vom Fleck zu kommen, hat es mit Logeleien und unlösbaren Rätseln zu tun, weil alles darin zwei Bedeutungen hat.

Hartl, die zuvor an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung einen Lehrauftrag für Wahrnehmungspsychologie hatte und behauptet, am Job der Kulturreferentin habe sie gereizt, "zu sehen, wie die Realität aussieht", hat ein angespanntes Verhältnis zu eben dieser Realität: In den Redaktionsschreibtischen der Münchner Zeitungen liegen stapelweise autorisierte Interviews, die sie im Nachhinein als erfunden bezeichnet hat. So hat wahrscheinlich auch unser Gespräch gar nicht stattgefunden. Die beiden Redakteure bilden sich nur ein, sie hätten mit Lydia Hartl gesprochen, von ihr erklärt bekommen, was es etwa auf sich hatte mit ihrem peinlichen Abstecher nach Linz, wo sie sich auf eine Professur bewarb, hier sagte, sie wolle selbstverständlich bleiben, dort sagte, sie wolle selbstverständlich kommen, und sich noch heute wundert, dass ihr die gesamte Stadt den Vogel zeigte: In ihren Augen war das Ganze lediglich ein Pflichtritual, um mal wieder ein akademisches Lebenszeichen zu geben. Da ist es wieder, das Doppelspiel und double bind, das das Bild verspringen lässt, Rebus und Wahrnehmungstäuschung, womit wir auch wieder bei der Kulisse wären. Denn so, wie sie jeden Flop in einen Erfolg umzudrehen weiß, ist man bei ihr nie ganz sicher, was nun eigentlich gilt.

Das Vexierbildhafte prägt auch den Werdegang der doppelt promovierten Medizinerin und Medienwissenschaftlerin: Christian Blechinger vom Medienforum lacht, wenn man ihn auf die Medienexpertin Hartl anspricht: "Medienexpertin? Das ist so, als wäre ich Vorsitzender des Chirurgenverbandes." Umgekehrt sagt ein Münchner Mediziner, der beruflich mit Hartl zu tun hatte, sie sei auf medizinischem Gebiet "eine Blenderin", deren akademisches Dekor in krassem Gegensatz zu ihren "klinischen Defiziten" stünde. Ihre Patchworkbiographie ist von schroffen Brüchen und kalten Abschieden geprägt. Aber ob nun am Max-Planck- Institut oder an der Hochschule in Karlsruhe - immer schien es, als könne Hartl ihre Vergangenheit leichten Herzens hinter sich lassen, sobald sie die nächste Karrieresprosse erklommen hat.

Auch in ihrem jetzigen Job geht sie unsentimental zu Werke: Lydia Hartl geht vor wie eine Stadtplanerin, die in einer Altstadt erst mal alles abreißt, und dann sehen wir weiter. Bestehende Infrastrukturen, etwa in der Medienkunst, interessieren sie nicht, alles muss neu erfunden werden, nur im Glanz von Neugründungen kann man sich schließlich sonnen. Geradezu zwanghaft mutet es an, dass sie in Zeiten, in denen Stadtbibliotheken geschlossen, Orchester abgewickelt und Festivals gekürzt werden, verbissen an ihrem "Lab 21" festhält, das in seiner Unausgegorenheit besser "Läppisch 03" heißen sollte. Die Fixierung auf dieses nie konkret werdende Prestigeprojekt erklärt, warum sie in anderen Bereichen so drakonisch zu sparen bereit ist.

Ludwig I. musste wegen der Hochstaplerin Lola Montez abdanken. So weit wird es in München nicht kommen. Lange hat Ude der Intima seiner Gattin die Stange gehalten; erst wenn schlimmste Verwerfungen drohen, zieht er die Notbremse, um etwa hinter den Kulissen darauf zu drängen, dass die stockenden Verhandlungen mit Christian Thielemann endlich zu einem Abschluss kommen.

So wenig sich Lydia Hartl greifen lässt, zwei Dinge sind unbestreitbar: Ihre Unfähigkeit zu kommunizieren und ihre Planlosigkeit. So wie es nach zwei Jahren Hartl aussieht, ist es ein Unglück für München, dass der Posten des Kulturreferenten nur alle sechs Jahre vergeben wird.

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