SZ-Serie: Die Stunde der Dichter, Teil 1:Künder eines kurzen Traums

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Welche Rollen Münchner Autoren damals spielten - eine Einführung

Von Antje Weber, München

Es ist der 8. November 1918. Die Münchner Schriftstellerin Annette Kolb erfährt im Exil: "In Bayern ist Republik." Ihr erstes Gefühl: "kein gelinder Schrecken". Wie wird die Sache ausgehen? Immerhin, so wird sie aufschreiben, "hatte man in diesen Tagen die Illusion, am Anfange einer besseren Zeit zu stehen, ob es sich auch nur um eine einzige, schnell aufgehaltene Stunde handeln sollte".

Ein bisschen länger als eine einzige Stunde dauerte die Revolution zwar schon, doch aufgehalten wurde sie tatsächlich recht schnell. Die Ereignisse sind in diesem Jubiläumsjahr schon oft erzählt worden: In der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 hatten der Sozialist Kurt Eisner und seine Mitstreiter den Freistaat ausgerufen, die Wittelsbacher abgesetzt. Eine turbulente erste Phase der Republik endete am 21. Februar 1919 tragisch - mit Eisners Ermordung. Auch eine zweite, radikalere Phase der Revolution war bald vorbei; verschiedenste Truppen, von Reichswehrminister Noske beauftragt, zogen gegen den von ihm so genannten "Karneval des Wahnsinns" ins Feld. Anfang Mai endete die Räterepublik mit Erschießungen und einem massiven politischen Rechtsruck.

So weit zu den Fakten, die man vielfach nachlesen kann, zum Beispiel in Volker Ullrichs "Die Revolution von 1918/19" oder Michael Appels umfassender neuer Darstellung "Die letzte Nacht der Monarchie"; Norbert Göttler hat unter dem Titel "Roter Frühling" sogar einen "Roman der Räterepublik" verfasst. Das Thema bewegt und inspiriert offensichtlich bis heute. Es standen ja auch Ideen hinter den revolutionären Ereignissen; es ging um nichts weniger als eine neue, vom Volk mitgetragene, gerechtere Gesellschaft. Diese Ideen wurden in München nicht zufällig von Schriftstellern miterdacht und umgesetzt. Waren sie nur "Träumer", wie es ein Buch Volker Weidermanns zuspitzt? Unbestritten jedoch war es ein "Wintermärchen", wie ein Band von Ralf Höller vorschlägt.

Wie man es auch bewerten mag: Man kann die Räterepublik gut anhand der Schriftsteller erzählen, die hier lebten, mitmischten oder auch nur mitredeten, in Briefen, Tagebüchern, Romanen; München mit seiner weithin berühmten Schwabinger Boheme bot in diesen Jahren einen Nährboden für Ideen aller Art. Einige der Schriftsteller will nun eine Serie vorstellen; angefangen mit Erich Mühsam, der als Anarchist endlich seine Zeit gekommen sah. Natürlich darf Oskar Maria Graf nicht fehlen, der mit seinem Malerfreund Georg Schrimpf durch Straßen und Lokale zog. Neben Eisner bekleideten Ernst Toller, Gustav Landauer und Felix Fechenbach politische Ämter. Heinrich Mann ließ sich in einen Rat wählen, was seinem Bruder Thomas unverständlich war; selbst Rilke ließ sich dazu hinreißen, politische Versammlungen zu besuchen. Ret Marut, später als B. Traven bekannt, gab eine anarchistische Zeitschrift heraus. Ricarda Huch und Victor Klemperer beobachteten mit distanziertem Interesse. Als Gegenstimmen zur Revolution verstanden sich Simplicissimus-Autoren wie Ludwig Thoma.

Natürlich könnte man die Kreise noch weiter ziehen. Man könnte aus dem Revolutionstagebuch des Lehrers Josef Hofmiller zitieren. Man könnte sich mit Lion Feuchtwanger beschäftigen, der an der Revolution der Kollegen später "das Fehlen praktischer politischer Psychologie" kritisiert. Man könnte sich fragen, warum Hermann Hesse gerade jetzt vor der Wirklichkeit ins Tessin flüchten muss. Franziska zu Reventlow hatte sich schon Jahre zuvor in die Schweiz abgesetzt und ihren Sohn zur Desertion aus dem Militär angestiftet. Von der Schweiz aus musste auch Annette Kolb, in Bayern wegen "pazifistischer Umtriebe" in Ungnade gefallen, die Ereignisse zu deuten versuchen. Immerhin verdanken wir ihr eine der besten Beschreibungen Kurt Eisners, den sie im Februar 1919 bei einer Internationalen Arbeiter- und Sozialistenkonferenz in Bern beobachtete.

Und so soll Annette Kolb, wenn sie schon nicht mit eigenem Porträt in unserer Serie vorkommen kann, zumindest in diesem Text das letzte Wort haben. Über Eisner, der ganz in Schwarz mit Schlapphut beim Kongress erschien, urteilte sie: "Halb Wotan, halb Konfirmand". Doch dann fing er an zu reden, "und mit jedem Worte wurde sein tonloses und dabei scharfes Organ gebieterischer. Es war unerhört, wie Eisner jetzt über sich selbst hinauswuchs. So buchstäblich war der Geist über ihm, dass seine Person nur mehr wie ein von ihm verlassener und vergessener Schatten die Tribüne behauptete. Was nun verlautete, war ein Plädoyer für Deutschland, wie es niemals ergreifender formuliert wurde." Doch die kurze Stunde der Revolution war fast schon vorbei.

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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