SZ-Serie: Aufmacher (XXI):Die Preußin

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SZ-Serie über große Journalisten (XXI): Marion Dönhoff

HAUG VON KUENHEIM

Herbert Riehl-Heyse, der große Reporter und gute Geist dieser Zeitung, zitierte in seinem Nachruf auf Marion Dönhoff "Die Gräfin Courage" einen Satz von ihr: "Nicht nur der Erfolg ist entscheidend, sondern der Geist, aus dem heraus gehandelt wird." Er fügte hinzu: "Ein Satz, wie er auch gut über den Schreibtischen von Journalisten hängen könnte."

"Also Abschied von Preußen? Nein, denn das geistige Preußen muss in dieser Zeit materieller Begierden weiterwirken - sonst wird dieser Staat, den wir Bundesrepublik nennen, keinen Bestand haben." (Foto: / SZ v. 28.04.2003)

Vor einem Jahr, im März 2002, starb Marion Gräfin Dönhoff. 92 Jahre alt wurde sie. "Die Deutschen haben eine wegweisende Mitbürgerin verloren", schrieb damals Helmut Schmidt, der Altbundeskanzler, und Altbundespräsident Weizsäcker meinte: "Mit ihrer Unbeugsamkeit und Unabhängigkeit, ihrer menschlichen Klugheit und ihrem Gewissen hat sie uns zum aufrechten Gang angehalten und unter den Staaten und Völkern Ansehen für uns wiedergewonnen."

Große Worte. Die Trauerfeier im Hamburger Michel versammelte die Spitzen der Politik und eine riesige Gemeinde ihrer Anhänger und Bewunderer. Wer sie nicht kannte, mochte meinen, eines Übermenschen wurde gedacht. Das war sie nun keineswegs. Aber eine Ausnahmeerscheinung des Journalismus im Nachkriegsdeutschland war sie gewiss.

Als sie in den ersten Frühlingstagen des Jahres 1945 nach einem wochenlangen Ritt durch Eis und Schnee im Westfälischen von ihrem Fuchswallach stieg, schüttelte sie ihr erstes Leben ab. Ostpreußen lag hinter ihr. Die junge Landlady, die dort die Dönhoff'schen Familiengüter verwaltet hatte, begann ein zweites Leben, das sie durch Zufall in den Journalismus führte. Sie hatte ein Memorandum für einen britischen Besatzungsoffizier verfasst, das auf unerklärliche Weise in die Hände der Mannschaft geriet, die sich in Hamburg anschickte, Die Zeit ins Leben zu rufen. Die Gruppe ist angetan von dem entschiedenen Ton des Schriftstücks und beordert Marion Dönhoff ins Pr essehaus, das fortan bis zu ihrem Tod, 57 lange Jahre, zu ihrer zweiten Heimat wurde.

Sie wurde nicht der geniale Blattmacher, wie Henri Nannen, der dem Stern von der ersten bis zur letzten Seite seinen Stempel aufdrückte oder wie Rudolf Augstein, der vorschrieb, was dem Spiegel frommt. Marion Dönhoff machte Die Zeit auf andere Weise zu ihrer Zeit: Sie legte Maßstäbe fest, unerbittlich, und ließ keinen Zweifel, was in ihren Augen guter Journalismus sei, der mehr mit Moral als mit Marketing zu tun hatte, mehr mit Überzeugung, als mit Zielgruppen- Anpasserei, mehr mit Schwarzbrot als mit Milchbrötchen.

Sie verlange Augenmaß, Toleranz und die Bereitschaft, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Die von vielen an der Zeit so geschätzte Debattenkultur geht auf Marion Dönhoffs Haltung zurück, Meinungsverschiedenheiten offen und kämpferisch auszutragen, den Leser entscheiden zu lassen, welchen Argumenten er folgen will. "Wegen solcher Debatten", schrieb Riehl-Heyse, "hat eine ganze Generation junger Leute die Zeit gelesen."

Im Übrigen hielt Marion Dönhoff sich an einige wenige Maximen: die Vorstellungen der Menschen von den Tatsachen seien stärker als die Tatsachen, also müsse man auf ihre Vorstellungen einwirken. Jede Gesellschaft brauche Bindungen, nicht nur Freiheiten. Menschlicher Anstand sei wichtiger als die Reinheit irgendeiner Lehre, hämmerte sie ihren Kollegen ein. Und: das öffentliche Wohl habe oberste Priorität.

Marion Dönhoff war nicht unbedingt eine brillante Schreiberin, keine der modernen Edelfedern. Aber ihre Schilderungen der ostpreußischen Landschaft haben eine fast literarische Qualität, ebenso wie ihre frühen Reportagen aus der Dritten Welt. Einen der vielen journalistischen Preise hat die mit Ehrungen überhäufte Journalistin bezeichnenderweise nie bekommen. Allein wichtig war ihr, mit einer auf Fakten gestützten, pointierten Meinung zu wirken.

Marion Dönhoff schrieb für den Tag. Was heißt, sie war, wie jeder Journalist, nicht frei von Irrtümern und Fehleinschätzungen. Sie selbst war überrascht, als sie in den Achtzigerjahren unter dem Titel "Weit ist der Weg nach Osten" ihre alten Beiträge als Buch herausbrachte und feststellte, "mit welch starken Gefühlen, mit welcher Ungeduld und Verzweiflung man damals auf alles reagierte, was sich einer Wiedervereinigung in den Weg stellte, auf die alles ausgerichtet wurde - jede Konferenz, jede Note." Unbestritten bedeutsam bleibt Marion Dönhoffs ferventer Einsatz für eine Aussöhnung mit den östlichen Nachbarländern und Russland. Dennoch brauchte die Gräfin einige Zeit, bis sie innerlich akzeptierte, dass das Land jenseits von Oder und Neiße unwiederbringlich für Deutschland verloren ist.

Als 1959 de Gaulle apodiktisch feststellte, dass die neue Grenze unabänderlich sei, setzte sie ihm ein Nein entgegen. "Niemand, der aus dem Osten kommt, wird auf Land verzichten", schrieb sie 1964 und ein Jahr später: "Ohne Übertreibung und ganz kühl überlegt: Wenn man mir heute sagte, ich würde in drei Tagen tödlich verunglücken, würde ich damit wesentlich leichter fertig werden, als mit dem Verlust meiner ostpreußischen Heimat."Die inneren Vorbehalte hinderten sie nicht, einen intensiven ostpolitischen Dialog in Gang zu setzen.

Als 1970 Willy Brandt nach Warschau fährt, um den Deutsch-Polnischen Vertrag zu unterschreiben, der die Oder-Neiße-Grenze zur endgültigen macht, schrieb Marion Dönhoff ihren Leitartikel "Ein Kreuz auf Preußens Grab", in dem sie sehr persönlich auf den schwierigen Prozess eingeht, den Verlust der ostpreußischen Heimat zu akzeptieren. Sie war anfangs sogar bereit, den Bundeskanzler nach Warschau zu begleiten. Zwei Tage vor dem Reisetermin sagte sie ab.

"Zwar hatte ich mich damit abgefunden", schrieb sie später, "dass meine Heimat endgültig verloren gegangen ist, aber selber zu assistieren, während Brief und Siegel darunter gesetzt werden und dann ein Glas auf den Abschluss des Vertrages zu trinken, das erschien mir plötzlich mehr, als man ertragen kann." Sie fragte in jenem Leitartikel: "Also Abschied von Preußen?" Ihre Antwort: "Nein, denn das geistige Preußen muss in dieser Zeit materieller Begierden weiterwirken - sonst wird dieser Staat, den wir Bundesrepublik nennen, keinen Bestand haben." Zum "geistigen Preußen" zählt sie auch die Männer des 20. Juli. Sie wurde nicht müde, Jahr für Jahr in der Zeit an diesen Tag des Jahres 1944 zu erinnern. Es blieb ihr unbegreiflich, dass ein so "einzigartiger Aufstand des Gewissens nicht stärker in das Bewusstsein der Deutschen eingegangen ist". Sie mag es geahnt haben: eine junge Historiker- Generation wird den Widerstand des 20. Juli, seine Beteiligten und Zeitzeugen anders, kritischer wohl, bewerten.

Eines Tages vielleicht werden Journalisten fragen: Marion Dönhoff? Die Zeit? Mythos? Legende? Gottlob, noch scheint der Tag fern.

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