SZ-Serie: Aufmacher (XVIII):Lieschen Müller eingefangen

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Henri Nannen machte den "Stern" zur beliebtesten Illustrierten der Nachkriegszeit

ANNETTE RAMELSBERGER

Er muss die Männer verrückt gemacht haben - nicht die Frauen. Die Frauen hat er charmiert, umworben, erobert oder mit seinen Popo-Titelbildern so gereizt, dass sie gegen ihn vor Gericht zogen. Aber bei den Männern, da muss er etwas angerichtet haben, das viel tiefer ging. Das nagte und fraß und gestandene Journalisten langsam zerbrechen ließ. Männer, die am Abend kündigen wollten und am nächsten Morgen fasziniert einer neuen Idee von ihm folgten. Die sich quälen ließen und dennoch wussten, dass kein anderer mehr Instinkt für das hatte, was sie alle machen wollten: den Stern, die meistgelesene Illustrierte der Nachkriegszeit. In den 70er Jahren druckte sie jede Woche 1,9 Millionen Exemplare. Dafür lohnte es sich zu leiden. Männer waren das, die fühlten wie Stern-Redakteur Günther Dahl, der sagte: "Ich möchte ihn ermorden und dann an seiner Bahre weinen."

(Foto: SZ v. 07.04.2003)

Henri Nannen, der Mann, der die Gefühle aufwallen ließ, war einer dieser Siegfried-Typen, denen kein Hagen etwas anhaben konnte. Einer, der erzählen, schreiben, Blatt machen konnte, einer, der groß war, blond und schön. Der vor Kraft strotzte, seinen Hintern wie selbstverständlich auf den Schreibtisch von Leonid Breschnjew im Kreml pflanzte und natürlich in der ersten Reihe stand, als Konrad Adenauer 1955 auf Staatsbesuch in Moskau war. Einer, der einfach alles hatte: Frauen, Erfolg, Macht, Geld, Einfluss und den Stern, sein Lebenswerk.

Viele seiner Weggefährten berichten, wie sie sich quälten mit diesem Mann, der alles konnte und das alle spüren ließ. Wie in seiner Nähe "mancher journalistische Adler zum Suppenhuhn verglühte" (Manfred Bissinger). Und den, in später Genugtuung, seine Stern-Kollegen im Interview zum 80. Geburtstag endlich fragen durften: "Müssen Chefredakteure Tyrannen sein?"

Er war ein Tyrann. Perfektionistisch bis zum Anschlag, einsatzfreudig bis zum Andruck, einfallsreich bis zum Asbach. Legendär seine Idee, mit der er den Anzeigenboykott des Weinbrandherstellers brach. Im wöchentlich erscheinenden Fortsetzungsroman ließ er einem Gast nun immer etwas zum Trinken anbieten. Mit den Worten: "Mögen Sie einen Asbach oder darf's was Besseres sein?"

Herbert Riehl-Heyse, selbst einmal für kurze Zeit Nachfolger Nannens auf dem Stuhl des Chefredakteurs nennt ihn "eine Art Hans Albers des deutschen Journalismus, sehr unerschrocken, sehr selbstbewusst, sehr mächtig". Ein Chefredakteur, der nicht Zahlen jonglierte, sondern Schicksale, der nicht Reisekosten nachrechnete, sondern Strohballen - die in den Scheunen des damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson. Ex-Zeit- Herausgeber Theo Sommer verglich einmal seine Arbeitsweise mit der von Nannen. Als beide seinerzeit auf der Ranch von Johnson in Texas waren, wollte Sommer vor allem über Politik reden. Nannen dagegen recherchierte dazu, wie viel Ballen Heu der Großbauer Johnson in den Scheunen hatte und wie er seine Hirsche mit Zigaretten der Marke True fütterte.

Nannen wollte das ganze Leben, nicht nur einen Teil davon, auch wenn der noch so gewichtig war. Er setzte auf die Überzeugungskraft von Reportagen und Bildern mehr als auf die Argumente in Kommentaren. Wenn er selbst kommentierte, dann schrieb er sie "ganz anders als wir Kopfmenschen", erklärte Sommer: "erst das Anekdotische, dann das Sachliche, schließlich das Urteil, oft genug vernichtend".

1948 hatte der ehemalige Kunststudent aus Emden von den Alliierten die Lizenz für die Jugendzeitschrift Zickzack erhalten, aus der er bald den Stern machte. Verleger blieb Nannen nicht lange: Er musste seinen Anteil an den finanzstärkeren Gerd Bucerius verkaufen. Der wurde reich mit dem Stern, Nannen aber wurde mächtig. Er blieb bis 1980 Chefredakteur - mit fast uneingeschränkten Rechten.

Henri Nannen war der Kraftprotz des deutschen Nachkriegsjournalismus - privat und beruflich. Nicht so ziseliert wie Marion Gräfin Dönhoff von der Zeit, nicht so intellektuell wie Rudolf Augstein vom Spiegel. Er war der Mann, der nicht die Oberstudienräte als Leser anvisierte, sondern Lieschen Müller einfangen wollte. Lieber noch Otto Müller. Dafür griff er ins pralle Leben. Das pralle Leben stellte er auch gern auf der Titelseite aus, so häufig und unverhüllt, dass am Ende eine Koalition von Inge Meysel bis zu Alice Schwarzer gegen den Stern vor Gericht zog.

Und doch wollte Nannen nicht nur einen "Musikdampfer" steuern. Er bestückte den Dampfer mit journalistischen Torpedos, harten Rechercheuren, erfahrenen Politikreportern. Und er hatte genug Geld, um für Informationen auch zu zahlen. Er zahlte gut. Der Stern mischte sich ein in die Politik der Nachkriegsrepublik "mit heute kaum noch vorstellbarer Wucht" (Riehl-Heyse). Im Stern bekannten 374 Frauen: "Ich habe abgetrieben", das war 1971, als solche Bekenntnisse noch tabu und vor allem strafbar waren.

Der Stern schrieb mit an der Ostpolitik von Willy Brandt, der Stern fragte: "Brennt in der Hölle wirklich Feuer?" und ärgerte damit den Vatikan. Er stand für ein Stück Reformgesellschaft. Und am Ende wollte er auch noch Geschichte schreiben. Zumindest umschreiben. Kühn behauptete das Blatt 1983, nun müssten die Geschichtsbücher umgeschrieben werden. Denn es hatte die angeblichen Tagebücher Adolf Hitlers erstanden - für elf Millionen Mark. Sie waren gefälscht und der Stern erholte sich nie wieder von der Blamage. Nannen war damals nur noch Herausgeber, seine Gedanken zielten bereits auf sein Leben nach dem Journalismus, auf seine Kunstsammlung in der Heimatstadt Emden - doch er hat sich diesen Fehler nie verziehen. "Ich habe damals journalistisch und politisch versagt", erklärte er.

1996 starb Nannen, 82 Jahre alt. Ein Mann, der ein Magazin gemacht hat, ein Mann, der Hildegard Knef beflirtet hat, ein Mann, der 22 Millionen Mark für hungernde Kinder in Äthiopien gesammelt hat. Ein Mann, der ein Journalist gewesen ist. Sein alter Freund und Konkurrent Rudolf Augstein verfasste einen Nachruf. "Ich weiß nicht, wer er war", schrieb Augstein. "In jedem Fall ein Stoff für Orson Welles." Der Vergleich mit dem Kino-Epos Citizen Kane von Welles über den erfolgreichsten Blattmacher Amerikas musste es schon sein. Drunter hätte es Henri Nannen nicht gemacht. Das wusste Augstein.

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