SZ-Kultursalon:Digitaler Kolonialismus

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Ralf Wintergerst sorgt sich um das Gleichgewicht in der Welt

Dass in der Halle mehr als 25 Jahre Geld gedruckt wurde, ist ihr nicht mehr anzumerken. "Hier standen große Maschinen und Aggregate, viele Milliarden Banknoten wurden an diesem Ort hergestellt", beschrieb Gastgeber Ralf Wintergerst das frühere Aussehen des Raums. Vier Jahre ist es her, dass Giesecke+Devrient nicht mehr in München druckt, sondern nur in Leipzig und Malaysia. Damals sorgte die Entscheidung für wenig Freude. Aber wenn solche Schritte notwendig seien fürs Überleben des Unternehmens, müsse man sie tun und vorwärtsschreiten, sagte der Vorsitzende der Geschäftsführung. Auch wenn sie keinen Spaß machen.

Der Konzern hat sich auf Sicherheitstechnologien spezialisiert, die das Leben vor allem in der digitalen Welt sicherer machen sollen. "Wenn wir Kryptotechnologien herstellen, die das Kanzleramt absichern sollen, müssen wir potenziellen Hackern immer einen Schritt voraus sein, um den Schutzmechanismus so gut wie möglich zu bauen", erläuterte Wintergerst. Aber Sicherheit sei bloß temporär möglich.

Der ehemalige Karate-Europameister, der neben Betriebswirtschaft Politik und Philosophie studiert hat, setzte sich kritisch mit der Frage auseinander, wem die gesamte Digitalisierung nützt. "Wir leben schließlich in einer Welt, die vor massiven Veränderungen steht." An Brennpunkten nannte er die sich verstärkende Kluft zwischen den USA und China, den Brexit, das mit seiner eigenen Rolle unzufriedene Russland, das mit sich selbst uneinige Europa, Venezuela, Korea und so fort. Gleichzeitig entwickle sich die Digitalisierung so rasend schnell, dass er sich schon sorge, wie das alles noch in ein Konzept zu bringen sei. "So, dass wir noch ein gutes Leben haben, in dem wir nicht an jeder Stelle beobachtet werden, nicht ständig unsere Daten ausgewertet werden, in dem wir noch eine eigene Identität haben können."

Für die Entwicklung dieser Technologien gäben die führenden Industrienationen 85 Prozent aller Kosten aus; im Umkehrschluss bedeute dies, dass an die 180 Länder kaum etwas investierten. "Ich sehe daher eine Welt vor uns, die zweigeteilt ist in eine sehr entwickelte und eine völlig abgehängte." Digitaler Kolonialismus also, "das macht mir Sorgen".

Dass in der früher streng abgeriegelten Druckerei aber jetzt Begegnungen mit Künstlern stattfinden können, freute Ralf Wintergerst. "Das ist doch ein Zeichen, dass wir uns öffnen."

© SZ vom 16.05.2019 / srh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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