Sumo:Ein Sport für die Götter

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200 Kilo Lebendgewicht, Yakitori und eine Stimmung wie beim Baseball: Beim Großen Sumo-Wettbewerb in Tokio werden die Massen bewegt.

Von Doris Kuhn

Wenn man die U-Bahn verlässt beginnt der Regen, das ist Tradition in Japan. Deshalb stehen an den Bahnausgängen in Tokio auch Servicebehälter mit weißen Regenschirmen, die man benutzen darf und am nächsten Tag zurückbringt. Falls man tatsächlich keinen eigenen dabei hat, denn auch das Schirmtragen ist Tradition.

Autsch! Die zwei Sumo-Kolosse Kotonowaka (links) und Aminishiki bewegen die Massen in der Ryogoku Kokugikan Sumo-Arena in Tokio. (Foto: Foto: AP)

Auch in der Sonne, um sich den Weg etwas schattiger zu machen, auf dem Fahrrad und in manchen Fällen schlicht als Ausdruck einer Geisteshaltung, der Schirm punkbritisch kariert oder als niedlicher Frosch.

Wir verlassen also Ryogoku Station, und es fängt an zu nieseln. Das Stadion ist nirgends zu sehen, aber unkoordiniertes Losrennen ist erfahrungsgemäß eher kontraproduktiv. Kommt dazu, dass wir spät dran sind. Alle Wege dauern länger, immer dauern sie länger als man plant, obwohl die Bahn schnell ist und die Planung großzügig.

Die Begleiter eilen in Geschäfte und lassen sich den Weg weisen, er führt zwischen schmalen Häusern an einer Hochbahntrasse entlang. Seltsamerweise ist der Boden weiß gekachelt, die Horden entgegenkommender Salarymen glitschen mit gesenktem Kopf vorbei.

Starke Männer, ganz gelassen

Auf der anderen Seite der Bahn aber ist die Straße breit und freundlich, an Bambusstangen wehen Fahnen in Knallfarben, und überall stehen Grüppchen von dicken Männern und plaudern.

Vielleicht sind das schon Rikishi, starke Männer, wie hier die Sumokämpfer heißen, mit 100 oder auch 200 Kilo Lebendgewicht. Sie tragen ihr Haar in zwei Schüppeln auf dem Kopf, Holzschlappen an den Füßen und sonst bloß blau bedruckte Yukatas, die japanische Version eines Bademantels, der nur luftiger und insgesamt weniger verschlafen wirkt.

Diese plötzliche öffentliche Gemächlichkeit mitten in einer Stadt, die sonst dem urbanen Professionalismus hörig ist, wirkt seltsam, aber die Besucher, die im Tokioter Standard-Stechschritt vorbeieilen, nehmen sie kaum wahr.

Erst das hohe, helle, weitläufige Ryogoku Kokugikan kehrt die Schubkraft seiner Besucher schon in der Eingangshalle um: Alles wird auf einmal langsam.

Blicke und Bewegung passen sich der Schwere des Spektakels an. Dies ist das Haus des Sumo, und Sumo verbreitet, von den Momenten des Kampfes abgesehen, eine gut gelaunte Behäbigkeit, die sofort auf die Zuschauer übergreift.

Kurze Explosion

In die Sporthalle passen 13.000 Menschen. Die Zuschauer sitzen auf dem Boden, der in kleine Seki, traditionelle Sitzboxen, geteilt ist.

Sie sind voneinander durch dicke Stangen wie kleine Geländer getrennt. In den Vierecken der Boxen liegen vier Kissen, darauf sitzen die Besucher. Rasch lernen wir die Stangen zu schätzen, sie sind der einzige Halt in der bewegten See von Menschen, die sich hier einem Ereignis widmen, dessen Atmosphäre an Sommernachmittage beim Baseball erinnert.

Sumo ist ein Sport, der Konzentration verlangt. Man muss den dicken Männern ins Gesicht und auf die Füße sehen, auf die Bewegungen achten, wenn sie ihren Gegner herausfordern, wenn sie zusammenstoßen, wenn sie zu Boden gehen.

Sumo ist ein Kampf, in dem schnelle Entscheidungen fallen, und wer den Blick einmal abwendet, hat das Beste oft verpasst.

Die Umstände aber, unter denen man die Wettkämpfe sieht, sind darauf ausgerichtet, aufmerksame Beobachtung zu verhindern. Nicht nur durch die Unbequemlichkeit der engen Sitzplätze.

Der mongolische Großmeister Asashoryu (rechts) besiegt Gegner Tochinonada. (Foto: Foto: AP)

Traditionell kostümierte ältere Herren bringen tütenweise Leckereien mit und stopfen sie in die Boxen, so dass keine Bewegung mehr möglich ist, ohne sich gegenseitig Sojasoße in den Ausschnitt zu schütten.

Das sieht man im Fernsehen nicht

Stunden müssen vergehen, viel Yakitori und viel Bier wollen konsumiert sein, dann erst naht der Moment, in dem man sehen kann, was im Ring passiert.

Klar kennt man das aus dem Fernsehen, alle kennen alles aus dem Fernsehen, aber sitzt man mal mittendrin, entdeckt man, wie viel das Fernsehen auslässt: Das erstaunlich lustige Vorgeplänkel zwischen den Gegnern. Die Enge des Rings, der mit Salz beworfen und mit wogendem Hüftschwung durchschritten wird.

Den Ernst, den alle Kämpfer trotzdem zeigen, und der sich durchsetzen muss gegen die Amüsierlaune des Publikums. Und schließlich die Gewalt, die in ihrem Kontrast zur fröhlichen Umgebung plötzlich viel auffälliger wird als in einer Großaufnahme.

Wenn die Sumoringer aufeinander prallen, lassen sie die anfängliche Behäbigkeit vergesssen. Da hauen sich die Dicken auf Gesicht und Hals, rammen ihre Köpfe aneinander und schmeißen sich um, gelegentlich auf ein paar Zuschauer.

Die Techniken sind zahlreich und raffiniert, der erfahrene Sumo-Freund kann sie erkennen und benennen. Für alle anderen bleibt eine kurze Explosion, ein Blick auf etwas unerwartet Wildes, das zu schnell vorbei ist, um den Nachmittag nachhaltig zu stören, aber aufregend genug, um das Publikum bei Laune zu halten.

Das Geschrei, wenn die Rikishi sich auf den harten Sandboden knallen, die Inspektion ihrer blauen Flecken, das Taxieren ihrer Masse, die Klugschwätzerei - Sumo hat etwas Ansteckendes.

Ständig zittern klagende Laute durch die Halle, sind jedoch nicht als Klage, sondern als Anfeuerung gedacht und die Kampfnamen der Ringer, ein bisschen lautmalerisch in die Länge gezogen. Die Begleiter erzählen, dass in der Box nebenan über Erotik geredet wird.

Vier junge Frauen bestaunen dort jeden neuen Kämpfer und bewundern die Männlichkeit der riesigen Körper. Im Hintergrund schreit einer von vier älteren Herren offenbar Unflätiges, rundherum gibt es Gelächter, die Begleiter kichern entzückt.

Der kenne sich aus, der wisse Bescheid über die Sponsoren, und sobald deren Firmennamen auf bunten Fahnen um den Ring getragen werden, rufe er gemeine Kommentare.

Geschäftsleute führen hierher Geschäftspartner aus, in anderen Boxen sitzen Großväter mit ihren Enkeln, auf den Stehplätzen gegenüber schreien beifällig ein paar Teenager. Dennoch erklären die Begleiter, der Sport verliere an Zuschauern. Sumo sei altmodisch, zu den Wettkämpfen kämen nur noch verträumte Rentner.

Der kleine, dicke Großmeister

Selten merkt man einem Nationalsport so viel Nationales an wie dem Sumo, das ungefähr 1500 Jahre alt sein soll und, wie so vieles in Japan, ursprünglich eine Zeremonie für die Götter war.

Im 8. Jahrhundert wurde es am Kaiserhof eingeführt, dort später zur Schulung der Krieger genutzt, inzwischen ist es halbwegs globalisiert, offen für Nicht-Japaner und eine Disziplin mit Unterhaltungswert.

Aber immer noch gibt es einen Ehrenpreis für den besten Kampfgeist, und immer noch gehen traditionelle Rituale den Kämpfen voraus. Die Kämpfer reichen sich am Rand des Rings eine Kelle mit Wasser um den Mund auszuspülen, das Salzwerfen dient der symbolischen Reinigung.

Die dramatischen Angeberposen vor jedem Kampf, der großspurige Wechsel von Verachtung und Eitelkeit, sollen den Gegner verunsichern und hatten ursprünglich eine unbegrenzte Dauer.

Inzwischen müssen die Gegner schon nach vier Minuten zur Sache kommen, was gelegentlich schade ist. Sobald der Schiedsrichter neben ihnen seinen Fächer senkt, beginnt der Kampf. Er endet, sobald ein Ringer mit einem Körperteil den Boden berührt oder über den Ring hinausgetrieben wird.

Die Ringer gelten als Ozeki oder als Yokozuna, als Meister oder Großmeister, je nach der Zahl ihrer aufeinander folgenden Siege, sie kämpfen einmal täglich. Es gibt sechs Honbasho, sechs nationale Turniere im Jahr, und jedes dauert 15 Tage.

Es ist kurz vor sechs am elften Tag des Summer Grand Sumo Tournament, und der letzte Kampf naht. Ein freundlicher kleiner Mann steht im Ring, streicht sich über den schwarzen Lendenschurz, hebt die Beine und klopft sich auf den Bauch. Es ist der Yokozuna Asashoryu, Mongole und Favorit, der von den vergangenen zehn Kämpfen jeden gewonnen hat.

Die Dickmach-Suppe

In der Halle kehrt Ruhe ein. Asashoryus Gegner ist der Bulgare Kotooshu, riesenhaft und eher mittelsympathisch. In einem Augenblick ist alles vorbei. Asashoryu befördert seinen Gegner so schnell über die Strohbegrenzung des Rings, dass die Zuschauer so überrascht sind wie Kotooshu selbst.

Und dann, nach einem Moment freudigen Beifalls, stürzen die Massen auch schon aus der Halle, ohne den hübschen Bogentanz zu beachten, der den Tag beendet. Ein Besuch im Restaurant rundet das Ereignis ab, bei Chanko-Nabe, der Dickmach-Suppe, von der die Sumo-Kämpfer angeblich so dick werden.

In der großen dunklen Stadt donnern Motorräder vorbei, Bahnen tuten, aus einem Auto dröhnt Musik, eine Punkrock-Krachband, so was wie Exploited auf japanisch. Die vier Jungs im Auto wippen mit den Köpfen dazu, das ist gar nicht einfach.

Der Rest des Tournaments lässt sich im Fernsehen verfolgen. Asashoryu hat gewonnen, fünfzehn Kämpfe ohne Niederlage. Fröhlich ist er mit seinem mannsgroßen Emperor's Cup abgezogen, ein dicker kleiner Großmeister im seidenen Lendenschurz.

© SZ vom 17.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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