Stuttgarter Oper:Fundament einer großen Leere

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Von links: Ksenia Dudnikova (Eboli) und Olga Busuioc (Elisabeth). (Foto: Matthias Baus)

Lotte de Beer inszeniert Guiseppe Verdis "Don Carlos" in Stuttgart. Cornelius Meister dirigiert, verlangt viel und kriegt das meiste auch.

Von Egbert Tholl

Nach der Pariser Uraufführung des "Don Carlos" im Jahre 1867 verkündete Verdis Kollege Georges Bizet, er selbst sei erschlagen von der Aufführung und Verdi kein Italiener mehr, sondern gebärde sich wie Wagner. Nüchtern betrachtet ist das natürlich fabelhafter Unsinn, doch nach der Stuttgarter Premiere von Verdis längster und großartigster Oper fühlt man sich erstens gleichermaßen durchgenudelt und zweitens wurde man Zeuge davon, wie man mit der Musik, also dem Orchester allein, weite Teile dieser Oper erzählen kann. Das ist ja dann durchaus ein bisschen wagnerisch-musikdramatisch.

Cornelius Meister, Generalmusikdirektor der Stuttgarter Oper, hat sich seine eigene, französische Fassung zusammengebaut. Im Kern ist es Verdis letzte, wie sie 1886 in Modena aufgeführt wurde. Allerdings nimmt Meister die erste, schon vor der Uraufführung gestrichene und eher selten gespielte Szene mit hinein, in der Elisabeth Zeugin der Not des Volkes wird, sich barmherzig zeigt und mithin eine stärkere Motivation für ihre Heirat mit König Philipp erzeugt wird - sie verzichtet auf ihre Liebe zu Carlos, um Krieg und Leid zu beenden. Meister spielt auch das meist eliminierte Ballett zu Beginn der dritten Akts, das hier aber nach wenigen Minuten in eine Komposition von Gerhard E. Winkler abdriftet. Dessen "Pussy-(r)-Polka" soll auf die kirchenkritischen Damen von Pussy Riot verweisen, bringt aber letztlich nichts außer einem neuen Betätigungsfeld für das Orchester.

Dieses glänzt mit fabelhaften Bläsern, vor allem das Blech ist an diesem Abend sensationell. Meister fordert viel und kriegt das meiste auch, leuchtende Nebenstimmen und orchestrale Wucht. Er lotet die Dynamik der Partitur aufs Feinste aus, und er kann erzählen: Posas Bericht von den Gräueln in Flandern findet, da Björn Bürger lange braucht, um die Angst vor seiner Debütpartie zu überwinden, ausschließlich im Graben statt, dort aber erschütternd. Ebenso kündet der dunkle Mahlstrom, der die Auftritte des Großinquisitors begleitet, von viel mehr Unheil als es Falk Struckmann in der Rolle tut - stimmlich ist er großartig, darstellerisch ein Geck. Meister geht mit Überdruck ans Werk, da klappert und wackelt zu Beginn noch Einiges, aber das Risiko zahlt sich aus. Dem Personal auf der Bühne macht er es nicht durchgängig leicht, in der Lautstärke geht er da an Grenzen. Allerdings hat das auch etwas Wohltuendes.

Massimo Giordano geht seine Carlos-Partie ähnlich aufgekratzt an wie Meister sein Dirigat, begibt sich in intonatorische Abenteuer und neigt zum Brüllen; in den beiden letzten Akten geht ihm zum Glück ein wenig die Kraft aus - dann spielt er verblüffend gelungen einen an der Liebe irren Prinzen. Goran Jurić zeigt den König Philipp erst einmal als Operettendiktator, gewinnt aber in den intimen Szenen Kraft. Überhaupt gilt das für die ganze Inszenierung von Lotte de Beer: Die Grundanlage ist eine große Leere, auf der verpasste Chancen zu beobachten sind - ein amorpher Flüchtlingschor in der Eingangsszene - oder ein bedeutungsschwangerer Keil, der unentwegt auf der Drehbühne vorbeigefahren kommt. Das erweiterte Ballett nutzt de Beer zu surrealem Kinderspuk à la Hanekes "Weißes Band", das Autodafé wirkt so bedrohlich wie der nächtliche Karneval in Kubricks "Eyes Wide Shut".

Aber: Die Zweierszenen formt sie zu Emotionsballetten. Carlos wird irre, Philipp brutal, die Eboli von Ksenia Dudnikova ist eine ungeheure, immerwährende Beunruhigung und Olga Busuiocs Elisabeth ist Spiegel und Abbild aller Not. Zwar macht sie auch viel Theater, aber gut, und singt fabelhaft.

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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