Studie zur "Kulturwirtschaft":Was nützt uns die Kunst?

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Gutachten der Bundesregierung: Die "Kulturwirtschaft" ist die drittgrößte Branche der Bundesrepublik - viele Künstler können trotzdem nicht von ihrem Einkommen leben.

Stephan Opitz

Das Bundeswirtschaftsministerium hat, in Abstimmung mit dem Beauftragten für Kultur und Medien, ein Gutachten mit einem sehr trockenen Titel veröffentlicht - "Kultur- und Kreativwirtschaft: Ermittlung der charakteristischen Definitionselemente der heterogenen Teilbereiche der ,Kulturwirtschaft' zur Bestimmung ihrer Perspektiven aus volkswirtschaftlicher Sicht". Verfasst wurde die Studie von Michael Söndermann in Zusammenarbeit mit Christoph Backes, Olaf Arndt und Daniel Brünink.

Bloßgestellt: Künstler machen zwar einen beträchtlichen Teil der deutschen Wirtschaft aus, verdienen aber oft sehr wenig. Eine Fotocollage der Künstlerin Annegret Soltau in der aktuellen Bonner Ausstellung "Kunst des Alterns". (Foto: Foto: dpa)

Die Sache ist interessanter, als es dieser Titel vermuten lässt: Nimmt man alle kulturellen Aktivitäten zusammen, entsteht ein Wirtschaftszweig mit einem jährlichen Umsatz von 132 Milliarden Euro. Das entspricht 2,6 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts, was die Kultur nach dem Maschinenbau und der Autoindustrie zur drittgrößten Branche macht. Fast eine Million Menschen sind in 238 000 Unternehmen beschäftigt, die in vielen Fällen Ein-Mann-Betriebe sind. Die Bruttowertschöpfung beträgt 63 Milliarden Euro oder 2,5 Prozent der Gesamtwirtschaft. Die Tendenz ist leicht steigend.

Das Thema "Kultur- und Kreativwirtschaft" ist zum ersten Mal in den neunziger Jahren in kulturpolitische und volkswirtschaftliche Debatten geraten. Seitdem haben die Bundesländer Kulturwirtschaftsberichte vorgelegt wobei die Federführung mal bei den Wirtschaftsressorts, mal bei den Kulturzuständigen liegt. Nachdem in den sechziger und siebziger Jahren "Kultur für alle" gerufen wurde und in den achtziger und neunziger Jahren jedermann von "Kulturmanagement" und "Event" redete, ist es nun eben die "Kulturwirtschaft", die der Kultur nicht nur die öffentliche Form, sondern auch einen großen Teil ihrer Legitimation verleihen soll.

In sechzig Jahren Bundesrepublik ist eine umfassende, konzentrierte Kulturdebatte noch nicht geführt worden. Parolen wie "Kultur ist ein Lebensmittel" oder Plädoyers für eine Verankerung der Kultur im Grundgesetz sind eher dazu angetan, eine ernsthafte Diskussion zu verhindern als sie zu fördern. Da mag das Gutachten helfen: Es ist ergiebig, vertiefend, genau, perspektivisch. Das Kernproblem, die Heterogenität dessen, was man Kultur nennt, ist mit den inzwischen elf europaweit akzeptierten Teilbranchen (Musik, Literatur, Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Film, Design, Architektur, Kulturelles Erbe, Rundfunk, Werbung, Software/Games) definitorisch beschrieben.

Die Autoindustrie zum Beispiel kann sich trotz ihrer hohen Komplexität auf ein Produkt beziehen - das Auto. Das kann Kulturwirtschaft nicht. Und doch machen die Verfasser des Gutachtens einen verbindenden Kern jeder kultur- und kreativwirtschaftlichen Aktivität aus: Den schöpferischen Akt. So setzen sie eine klare Grenze zu Richard Floridas "Creative Class", deren 3 "T"s - "talents", "technology", "tolerance" - gegenwärtig alle Regionalentwickler umtreiben.

Augenmerk auf den gewinnorientierten Sektor

Die elf Teilbranchen der Kulturwirtschaft und ihr ästhetischer Kern sind aber auch (eine Besonderheit, welche nur der Gesundheitssektor noch kennt) gleichmäßig in allen drei gesellschaftlichen Sektoren mit Produkten, Dienstleistungen, Wertschöpfungen verankert: im privatwirtschaftlichen oder gewinnorientierten, im öffentlichen und im gemeinnützigen Bereich. Darauf macht die Studie aufmerksam, widmet sich dann aber ausschließlich den Kennziffern des privat-gewinnorientierten Sektors. Dies ist kein Widerspruch, sondern ein perspektivischer Befund: Denn hier werden die Anforderungen wachsen.

Wer genauer in die Studie einsteigt, wird bemerken, wie klein- und kleinstteilig in der Kulturwirtschaft gearbeitet wird. Damit verbunden sind Patchwork-Existenzen, häufig am Rande des sozial Machbaren - die Künstlersozialkasse wird auf Dauer keine ausreichende Struktur für eine Alterssicherung in der Kulturbranche bieten können. Und noch etwas wird nicht übersehen: Kulturwirtschaftliche Unternehmungen brauchen wie alle anderen Geld - das setzt bei Banken ein Wissen um immaterielle, symbolische Werte voraus. Die Studie liefert auch hier die ökonomischen Grundlagen für einen angemessenen Umgang mit kulturellen Aktivitäten.

Was ist die Wertschöpfung?

In den Zahlen sind die etwa acht Milliarden Euro, die in jedem Jahr aus Steuermitteln in die Kultur fließen, nicht enthalten. Gemeinnützige, öffentliche Kultureinrichtungen sind weitgehend von der Umsatzsteuer befreit, also umsatzstatistisch nicht erfasst. Bilanziert und evaluiert wird selten. Das Gutachten legt also auch nahe, die gewonnenen nationalökonomischen Erkenntnisse auf die Verankerung der elf kulturwirtschaftlichen Teilbranchen in allen drei Gesellschaftssektoren anzuwenden. So wird dann hoffentlich bald zu erkennen sein, welche Wertschöpfungen aus Bibliothek, Theater, Volkshoch- oder Musikschule, Archiv oder Museum hervorgehen - zum Vorteil der Kultur.

© SZ vom 18.02.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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