Streit um die Ground Zero-Entwürfe:Die Freiheit nehm ich dir

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Die wichtigste Schlacht um den Wiederaufbau von Ground Zero ist geschlagen. Doch Daniel Libeskinds Entwurf für den "Freedom Tower" wurde im monatelangen Streit zerpflückt.

Der "architektonische Atomkrieg" ist vorbei, die wichtigste Schlacht um den Wiederaufbau von Ground Zero ist geschlagen. Nach monatelangen Kämpfen hinter den Kulissen wurde am Freitag in New York der unter brachialem Zeitdruck entstandene Entwurf für den "Freedom Tower" vorgestellt, das höchste Gebäude des neuen Viertels.

Das Überraschende daran: Die zur "Zwangsehe" verdonnerten Architekten Daniel Libeskind und David Childs leben noch. Man hätte auch Wasser und Öl mischen können: Childs' Architekturkonzern SOM steht für gesichtslose Kommerzbauten, Libeskind für emphatische Architektur-Kunst mit Hang zur Esoterik.

Angesichts dessen wurde der nun vorgestellte Turm mit einiger Erleichterung aufgenommen. Die unteren 60 Stockwerke des sich nach oben verjüngenden und in sich verdrehten Gebäudes werden wie im Originalentwurf als Büros genutzt.

Eine Aussichtsplattform schließt in 335 Meter Höhe den bewohnten Teil ab. Darüber setzt sich der Turm mit einer bis auf 457 Meter Höhe reichenden, halboffenen Struktur fort, die mit Windturbinen zur Stromerzeugung gefüllt ist.

Auf diesem Gebäuderumpf steht ein 84 Meter hoher Sendemast, gestaltet als schlanke Skulptur. Berechnet man diese Nadel mit ein, beläuft sich die Höhe auf 1776 Fuß oder 540 Meter. Damit wäre der Freedom Tower das höchste Gebäude der Welt.

Libeskind hatte im Februar den städtebaulichen Wettbewerb gewonnen, das wichtigste Architekturereignis der letzten Jahre. Seine aufstrebende Spirale von kristallin angesplitterten Wolkenkratzern und seine Idee, das Denkmal für die Toten in den leeren WTC-Fundamenten anzusiedeln, begeisterten die New Yorker Öffentlichkeit.

Doch die beeindruckenden Simulationen vom Ground Zero der Zukunft ließen vergessen, dass es bei diesem Wettbewerb nur um Gebäudehöhen und -standorte, um Straßen und Grünflächen, nicht um die architektonische Ausarbeitung gegangen war. Die architektonischen Details, die man in diesen Entwürfen sehen konnte, waren nicht mehr als illustrierende Platzhalter.

Doch wie es jeder Architekt getan hätte, nutzte Libeskind das Missverständnis aus, um sich als Architekt für das prominenteste Gebäude zu empfehlen, als dessen designierter Erbauer er ja in der Öffentlichkeit längst galt.

Nur eben nicht bei dem Pächter Larry Silverstein. Der sprach Libeskind, der nie höher als fünf Stockwerke gebaut hat, die Kompetenz für das Mammutprojekt ab und engagierte seinen Hausarchitekten Childs. Schließlich war das World Trade Center, seit es die New Yorker Hafenbehörde kurz vor dem 11. September an Silverstein verpachtet hatte, de facto ein privates Gebäude. Silverstein hätte innerhalb der Vorgaben von Libeskinds Masterplan bauen können, was ihm gefiel.

New Yorks Gouverneur Pataki, der Herrscher über das Projekt, erkannte das drohende Desaster: Entweder würde er mit einem Developer dastehen, der sich weigert, mit Libeskind zu arbeiten; oder mit einer brüskierten Öffentlichkeit, die nach dem vielen Reden vom demokratischen Prozess den symbolträchtigsten Bauplatz der Welt von einem einzigen Mann gekapert sähe.

So zwang er Libeskind, den Symboliker, und Childs, den Pragmatiker, zur Zusammenarbeit. Schließlich wollte er sich auf dem New Yorker Parteitag der Republikaner kurz vor der Präsidentschaftswahl mit einer malerischen Großbaustelle empfehlen.

Gärten zu Windfarmen

Nach der offiziellen Sprachregelung war diese erzwungene Kooperation ein voller Erfolg. Von Libeskind stamme die "Idee", Childs habe ihr die "Form gegeben", verkündeten die LMDC-Offiziellen, glücklich über ihre Formulierung.

Tatsächlich bleibt ja manches übrig von Libeskinds Entwurf: der rombenförmige Grundriss, die Nadel an der Spitze und die Höhe von 1776 Fuß, die an das Jahr der Unabhängigkeitserklärung erinnert. Doch es sind nicht zufällig Libeskinds schwächste Ideen. Dass der Freedom Tower sehr hoch werden soll, ist nur zu begrüßen.

Dass die Fußzahl identisch sein soll mit einer historischen Jahreszahl, ist ein unsinniger architektonischer one-liner. Was hat die Höhe mit einem historischen Datum zu tun, was der 11. September mit Amerikas Unabhängigkeit? Ähnlich verhält es sich mit der asymmetrisch auf das Dach gepflanzten Spitze. Als architektonisches Echo der benachbarten Freiheitsstatue ist sie ein Denkmal für ein Denkmal.

Die Verdoppelung wird die pathetische Geste von Lady Liberty nicht stärker machen, sondern beide lächerlich erscheinen lassen. Weil es Silverstein letztlich egal ist, ob die Antenne rotweiß-gestreift ist wie die auf dem World Trade Center oder zur Skulptur dekoriert, durfte Libeskind sein symbolisches Spielzeug behalten.

Es war nicht die Zahlensymbolik, auch nicht die spitze Form, die Libeskinds Entwurf so populär machte. Es war sein Versuch, ein Hochhaus zu bauen, das die latente Banalität der Gattung zu überwinden suchte. Wenn an diesem Ort noch einmal ein Wolkenkratzer entstehen sollte, so fanden die meisten, dann nur so.

Viele der anderen Finalisten hatten dasselbe versucht: Sie entwarfen Hochhäuser mit horizontalen Querverbindungen. Sie hängten Gebäudepartien wie Regalbretter in ein leeres Gestell.

Libeskinds Bau war architektonisch konventioneller aber programmatisch am radikalsten: Sein "Garten" im obersten Gebäudeteil füllte die Stockwerke, die wegen der Angst vor einem neuen Anschlag nicht vermietbar sein würden; er stellte eine Art Denkmal dar für die in dieser Höhe gestorbenen Menschen; es wäre eine vertikale Version des Central Parks geworden: eine utopische Ideallandschaft mitten in der Zivilisation.

Childs' Windfarm, die als ebenbürtige Variante zu Libeskinds Garten verkauft wird, leistet nichts dergleichen. 20 Prozent des von dem Gebäude verbrauchten Stroms soll sie erwirtschaften - ein Plakat im Fahrstuhl, das dazu auffordert, nachts Licht und Computer auszuschalten, würde mehr bringen. In Wahrheit sind die Turbinen nicht mehr als Füllstoff für den toten Raum, der als Kulisse für die Skyline gebraucht wird.

Noch im Juli, nachdem ihm Childs vorgesetzt worden war, hatte Libeskind dieser Zeitung gegenüber die besondere Qualität seines Gebäudes gerühmt: "Es wird ein Turm, wie es noch nie einen gab.

Ein Turm, der sich an seiner Spitze in einen öffentlichen Garten verwandelt. Daran arbeiten wir und das werden wir auch realisieren. Ich verspreche, dass wir genau das bauen werden, was die Öffentlichkeit auf den Plänen gesehen hat."

Dieses Versprechen konnte Libeskind nicht halten. Der neue Freedom Tower wurde um Teile des symbolischen Zierrats reduziert, aber auch um seine einzige originelle Idee. Nun entsteht in New York ein solider, aber ganz gewöhnlicher und sehr hoher Wolkenkratzer.

SZ vom 22.12.2003

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