Steven Soderberghs "Solaris":All, das Schöne

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George Clooney in Steven Soderberghs wunderbarem Film "Solaris"

SUSAN VAHABZADEH

Das Gedächtnis ist ein Betrüger - wir reden uns gern ein, wir könnten irgendwo in unserem Hirn die Wirklichkeit dokumentieren, aber Erinnerungen sind nur subjektive Wahrnehmung, Zerrbilder, denen man entnehmen kann, was einem wichtig war in einer bestimmten Sekunde, wie wenig man manchmal von anderen weiß, wieviel sich übersehen und verdrängen lässt - und vielleicht spiegeln unsere Erinnerungen am Ende mehr unsere Träume als das, was wirklich war ... Stanislaw Lem hat sich Solaris ausgedacht, eine Art Ozean im All, der untersucht wird von Wissenschaftlern in einer Raumstation, die Prometheus heißt: Solaris lässt dort Geschöpfe entstehen aus der Erinnerung, den Menschen gleich, die denen wichtig sind, die sie heimsuchen. Es kommt ein unverständlicher Hilferuf auf der Erde an, und der Psychiater Kelvin wird zur Prometheus geschickt, um herauszufinden, was da oben los ist.

(Foto: SZ v. 05.03.2003)

Andrej Tarkowskij hat den Stoff 1972 verfilmt, Steven Soderbergh hat sich nun einen viel emotionaleren Reim darauf gemacht, er fühlt der Mechanik des Bewusstseins nach, will wissen, was Liebe ist. Es ergibt sich eine filmische ménage à trois, Kelvin und seine erinnerte Frau Rheya und Soderbergh, der, selbst an der Kamera, die beiden spielen und zweifeln lässt und ihnen fragend dabei zusieht. Einmal versucht Kelvin, wach zu bleiben aus Angst um Rheya, verfällt in jenen Dämmerzustand zwischen Erinnerung und Wachtraum, bis nicht mehr zu unterscheiden ist, was er sieht und was er halluziniert. So hat Soderbergh den ganzen Film gemacht, was ganz großartig und bewegend ist - als dämmernden Traum, in dem die Fiktionen zum Leben erwachen. Das Leben, so ein schöner Satz von Claude Lelouch, ist ein Schlaf, und die Liebe ist der Traum darin.

"Solaris" ist Soderberghs dritte Arbeit mit George Clooney, und auf sehr spielerische, lockere Art, scheinen die beiden das Kino neu erfinden zu wollen: "Don't blow it", mit diesem Satz verzaubert Rheya Kelvin, und er findet sich wieder in Clooneys von Soderbergh produziertem Regiedebüt "Confessions of a Dangerous Mind", der wenige Wochen nach "Solaris" bei uns starten wird. Clooney spielt Kelvin sehr glaubwürdig, den eine Aura der Melancholie und der Leere umgibt, als habe er den Kontakt zum Leben verloren, unten auf der verregneten kühlen Aluminiumerde und auf der in eisiges Blau getauchten Raumstation - eine ganz andere Kälte als bei Tarkowskij. Soderberghs Figuren suchen Halt, überall, in allen Räumen sind Gitter und Raster, an den Wänden und Decken. Soderbergh entdeckt diese Muster in den Straßen und auf den Fassaden, als wären die Bilder auf der Suche nach der Struktur, die die Menschen nicht finden können.

Oben angekommen lassen Kelvin die beiden letzten Überlebenden der Station, Gordon und Snow, selbst herausfinden, was vorgeht auf der Prometheus - er wacht nachts auf neben Rheya (Natascha McElhone) und entsorgt im ersten Schrecken dieses Wesen ins All, das nicht Rheya sein kann, die lang schon tot ist. Sie kommt wieder, und dann will er wissen, ob sie ein Mensch ist, ob er einer sein kann ohne sie, was Leben ausmacht. Er kann der Verlockung einer zweiten Chance nicht widerstehen, kann sie nicht halten, weil ihr bewusst wird, dass sie ein Geschöpf ist, das seinem Bild von Rheya entstammt. In seinen Erinnerungen setzt sich nach und nach zusammen, was damals geschehen ist, sie geben die Struktur des Films vor. Ein Gedicht von Dylan Thomas hat er ihr zitiert - "though lovers be lost love shall not ... and death shall have no dominion".Sie war nicht glücklich, den letzten Hilfeschrei vor ihrem Selbstmord hat er nicht hören wollen.

"Solaris" steckt voller filmhistorischer Anleihen, Resnais und Antonioni und Kubricks "2001", die man nicht unbedingt braucht, um auf diese Reise ins All der Gedanken zu folgen - man muss sich aber darauf einlassen wollen, dass Soderbergh tausend Fragen stellt, auf die es keine Antwort gibt. " There are no answers", heißt es mal, "only choices", was, wenn es um die Existenz Gottes und die einer Seele geht oder um die Möglichkeit, im Tod nicht zu verschwinden, einer Antwort am nächsten kommt. Die Kunst, fand Henry Miller, lehrt uns nichts außer der Bedeutung des Lebens ...

Soderbergh ist genau der richtige, um diese Geschichte noch einmal zu verfilmen. Schon weil sonst kaum einer die Fähigkeit hat, sie in ihrer Düsternis zu erzählen, ohne dabei den Sinn für Humor zu verlieren; dem zappeligen Snow (Jeremy Davies) fällt zu Kelvins wiedergefundener Liebe vor allem die Frage ein, ob Solaris' Traumgebilde schwanger werden können. Es gelingt Soderbergh aber vor allem, "Solaris" eine neue Ebene abzugewinnen, emotional erzählen kann derzeit keiner so gut wie er, die Bilder, die Chronologie, sind erfühlt, nicht konzipiert, und dadurch werden seine Fragen klarer und berührender. Er hat als Autor und Regisseur ein untrügliches Gespür, kleine Details auszustreuen, hinter denen sich eine ganze Welt verbirgt - indem er, beispielsweise, den zweiten Wissenschaftler an Bord mit einer Frau besetzt, Viola Davis, oder bei einer Dinnerparty einen der Gäste - man muss schon genau hinhören - den Satz beginnen lässt: Ich meine, der Papst ist eine wunderbare Frau ... Soderbergh hat durchaus seine Visionen von der Zukunft, nur eben nicht im Sinne von Klon-Kriegen und intelligenten Kühlschränken.

Dass "Solaris" in den USA sein Publikum nicht hat finden können, ist zwar traurig, sollte aber keinen irritieren und ergibt gar einen Sinn. Das Timing ist nicht besonders gut - eine Zeit, da die Welt aus den Fugen geraten scheint; das Kino taugt für Eskapismus nur, wenn es eine Parallelwelt bietet, die vorgibt, real zu sein. Soderbergh aber wendet sich bewusst ab von der Wirklichkeit, entzieht der Logik, die der Welt eben nicht innewohnt, sondern nur ein übergestülptes System bleibt, mit voller Absicht das Vertrauen. Und es hat wohl selten ein Film unverschuldet so viele falsche Erwartungen gebündelt, die zwischen Love Story, Science-Fiction mit dem Touch des Produzenten James Cameron und einer philosophischen Abhandlung umherirren - "Solaris" ist nichts davon wirklich, alles irgendwie doch, und was dabei herauskommt, ist ein Stück Kino, das die Zeit überdauern wird.Er habe keine Liebesgeschichte im All geschrieben, hat Lem gesagt - er wittert Verflachung. Das stimmt nicht: Bei Lem und bei Tarkowskij bleibt die Frau eine Hülle, ohne dass man je verstünde, was Kelvin in sie hineinprojiziert - die Liebe bleibt Behauptung. Soderberghs Rheya füllt sich mit Erinnerungen, die schmerzlicher werden, je weiter sich Kelvin in sie verstrickt, die Berührung ihrer Hand, als sie sich näherkommen, Albereien im Bett, die Hilflosigkeit, wenn sie sich in ihren Depressionen verliert. Rheya hat abgetrieben, findet Kelvin heraus kurz vor ihrem Selbstmord, weil sie dachte, er wollte das Kind nicht. Warum, schreit er sie verbittert an, sollte ich auch wollen, dass irgendetwas in diesem Haus lebt? Sie waren beide Untote, die ganze Zeit.

Eine Romanze im herkömmlichen Sinne ist "Solaris" nicht, aber im Herzen eben doch eine Geschichte über die Liebe. Es ist ganz richtig, ganz wunderbar, vom Tod und von der Frage nach der Seele in Form einer Liebesgeschichte zu erzählen, die aus Träumen und Erinnerungen aufersteht. Eine seltsame Parallele zu "Ocean's Eleven" ergibt sich, der ganz anders ist in seiner spielerischen Leichtigkeit. Da geht Clooney hin und erobert Julia Roberts zurück, als sei die Liebe ein Spiel, in dem man Revanche verlangen kann. Auch Kelvin will den Verlust rückgängig machen, es nochmal versuchen dürfen, und er findet einen Weg - im Grunde ist "Solaris" ein tröstlicher Film. Schließe die Augen, und was du siehst, gehört dir.

SOLARIS, USA 2002 - Regie, Kamera, Schnitt, Drehbuch: Steven Soderbergh. Mit: George Clooney, Natascha McElhone, Ulrich Tukur, Jeremy Davies, Viola Davis. Twentieth Century Fox, 98 Min.

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