Spielart:Wütende Chronologie

Lesezeit: 3 min

Rock und Revolution: Die "Proletenpassion" ist Teil der österreichischen Popgeschichte. Sie erzählt die Geschichte der Aufstände der Unterdrückten. (Foto: Yasmina Haddad)

Die "Proletenpassion" der österreichischen Band "Schmetterlinge" aus den 70ern ist in der Neuauflage wilder geworden, erzählt aber immer noch die Geschichte des Klassenkampfes

Von Dirk Wagner

Als die österreichische Politrock-Band Schmetterlinge 1977 beim Grand Prix d' Eurovision de la Chanson ihren Schlager "Boom Boom Boomerang" vortrug, sollen die Veranstalter vorab angeblich die Probe heimlich mitgefilmt haben. Hätten die Schmetterlinge nämlich die internationale Bühne für eine befürchtete politische Aktion missbraucht, hätte die übertragende Fernsehanstalt schnell auf den unpolitischen Probenmitschnitt umgeschaltet. So hat Knarf Rellöm die Geschichte jedenfalls erzählt bekommen. Als Mitbegründer der Hamburger Schule und als Musiker, der den Groove von A Tribe Called Quest und die Visionen von Sun Ra in den deutschsprachigen Diskursrock einfließen lässt, wurde er von der Regisseurin Christine Eder eingeladen, zusammen mit der Wiener Musikerin Eva Jantschitsch alias Gustav und ihrer Band die gleichfalls 1977 von den Schmetterlingen auf drei LPs veröffentlichte "Proletenpassion" musikalisch neu aufzubereiten.

"Die Bach-Anleihen aus dem Originalwerk der Schmetterlinge haben wir zum Beispiel ganz ignoriert", sagt Gustav. Dabei hatten die Schmetterlinge das Werk doch nur wegen der Vorliebe ihres Komponisten und Keyboarders Georg Herrnstadt für eben jenen Komponisten der Matthäuspassion 1976 zur Uraufführung bei den Wiener Festwochen eine Passion genannt. Denn eigentlich wollte man in der "Proletenpassion" ja nicht das Leiden der Unterdrückten preisen, sondern deren Aufstände.

Eine neue Geschichtsschreibung ganz im Sinne Bertolt Brechts versucht das Oratorium, das der Texter Heinz Rudolf Unger mit der Feststellung einläutet: "Unsere Geschichte ist die Geschichte von Kämpfen zwischen den Klassen, eine wütende Chronologie. Doch gelehrt wird uns die lange Reihe von Kronen und Thronen." "Wir hatten Gräber und ihr hattet Siege", resümiert sodann ein Chor, womit die Band sich also selbst zu den Unterdrückten zählt. Angefangen mit den Bauernkriegen um 1500, berichtet sie nun von den Aufständen jener Unterdrückten.

"Was wichtig war, und was nicht, und ob man lieber über die Frauen in der Pariser Commune erzählen sollte oder über was anderes, das haben die Schmetterlinge Anfang der Siebziger in aufregenden Plenen mit Studierenden und Historikern diskutiert", sagt Gustav. "Da fiel auch schon mal ein Stück raus, weil man sich zum Beispiel nicht darauf einigen konnte, ob die Sowjetunion noch sozialistisch war oder nicht. Und ich finde das toll, wenn eine Gruppe zugibt, dass sie sich da nicht einig war. Das gefällt mir jedenfalls besser, als all diese stalinistischen Bands, wo man dann geschlossen hinter einer Meinung zu stehen hat", sagt Knarf Rellöm.

Mit Gustav war er sich allerdings sehr einig, dass sie das mittlerweile 40 Jahre alte Werk nicht einfach nur kopieren wollten. Frecher und moderner soll es klingen. "Ich fand es ja eh immer bezeichnend, dass zu einer Zeit, als in Deutschland die Ton Steine Scherben schon richtig räudig zur Sache gingen, in Österreich die Schmetterlinge einen eher braven Folkrock spielten", sagt Gustav, die dem Œuvre der Schmetterlinge darum auch mehr Ton-Steine-Scherben-Feeling verleihen mag." Mir ist wichtiger, dass es energetisch stimmt, als dass es tonal stimmt", sagt sie.

Und Beatrix Neundlinger, der Flötistin und Sängerin in der ursprünglichen Proletenpassion, gefällt die neue wildere Version. Auch andere Zeitzeugen der Urfassung bestätigen immer wieder, dass sie es schrecklich fänden, wenn die Proletenpassion sich in den letzten Jahrzehnten nicht verändert hätte. "Inhaltlich musste man da aber gar nicht soviel hinzu schreiben", sagt Gustav. "Denn die Moral ist ja: Die Geschichte wiederholt sich selbst. Eigentlich müssten wir darum ja auch aus der Geschichte gelernt haben, aber dazu muss man erst mal Geschichte lernen."

Und weil die Proletenpassion selbst ein Teil der Geschichte ist, zum Beispiel der österreichischen Popgeschichte, lässt die Regisseurin Christine Eder in einer Videozuspielung Zeitzeugen Erinnerungen an die Entstehungszeit wecken. "Überhaupt ergänzen immer wieder Videoarbeiten das Bühnengeschehen, so dass die Theaterinszenierung der Proletenpassion nun eine Multimedia-Arbeit ist", sagt Gustav. Das zweieinhalbstündige Stück "Proletenpassion 2015 ff.", das abermals der Autor Unger um einige Texte erweitert hat, ist also eine Mischung aus Konzert, Video, Theater und Kabarett, in welchem übrigens auch die Schauspieler singen. Nur der olle Bach, der fehlt jetzt in den Bauernkriegen um 1500, weil Gustavs Bach, wie sie sagt, Philip Glass oder Laurie Anderson heißt.

Proletenpassion 2015 ff., Donnerstag 29. Oktober bis Samstag, 31.Oktober, 20 Uhr, Muffathalle, Zellstr.4

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: