Sofia Coppola & Jarvis Cocker:Frank und Frei

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Der Umzug von Sofia Coppola und Jarvis Cocker nach Paris steht für eine neue ästhetische Orientierung der Künstler. Es geht um die Fassade.

Eckhart Nickel

Ein großer Trost unserer Popularwelt ist die Zeitgenossenschaft von Sofia Coppola und Jarvis Cocker. Was sie für den modernen Film und die Musik in ihren noch jungen Leben bereits geleistet haben, ist ästhetisch relevant und erstaunlich zugleich.

Die Regisseurin Sofia Coppola hat es nach Paris verschlagen (Foto: Foto: AP)

Nun hat es die beiden zunächst der Liebe wegen nach Frankreich verschlagen: Sofia Coppola heiratete in Paris den Sänger der Popband Phoenix, Thomas Mars, Vater ihrer im letzten November geborenen Tochter Romy .

Jarvis Cocker hatte bereits nach der vorläufigen Auflösung seiner Band Pulp im Jahr 2002 für die Hochzeit mit der Stylistin Camille Bidault-Waddington, die schon zusammen mit Fotograf Horst Diekgerdes für das Coverkonzept des besten Pulp-Albums ,,This Is Hardcore'' verantwortlich zeichnete, England vorerst den Rücken zugekehrt (als leiser Furz über den Ärmelkanal, wie er einmal in einem Interview bemerkte) und zog in die etwas raue Gegend des Pariser Gare du Nord, wo er gemeinsam mit ihr Sohn Albert, der im März vier Jahre alt wird, großzieht.

Aber es ist nicht nur die Liebe, die beide in Frankreich hält. Es gibt eine überraschende Verwandtschaft des Landes mit dem Pop, die bislang wenig bedacht wurde: das zentrale Element der Fassade und des Spiels mit ihr.

Perfekte Außenwirkung

Kein Land der Welt strengt sich so sehr an, in der Öffentlichkeit eine gute Figur abzugeben wie die Grande Nation. Die Parkanlagen sind stets in tadellosem Zustand, selbst die vom Ruß und Zigarettenrauch der Jahrzehnte eingeschwärzten historischen Monumente an der Seine strahlen fast vollständig im schmeichelnden Fahlgelbton der Pariser Häuserfluchten.

Wenn die blau illuminierte Weihnachtstanne vor dem Polizeipräsidium am Pont Alexandre III mit Blick auf den Invalidendom mit golden strahlender Kuppel mal wieder von einem der schrecklichen Dezemberstürme umgeworfen wurde, dauert es kaum eine Stunde bis sie wieder dasteht, als sei nichts geschehen.

Und wer sich zum Ausflug in den Schlossgärten von Versailles verlustiert, wäre nicht überrascht, den Sonnenkönig selbst dort anzutreffen, so perfekt wie die Anlagen dort gepflegt sind.

Paris als Pop-Ort par Excellence

Es muss auf einem solchen Spaziergang geschehen sein, dass Sofia Coppola der unwiderstehliche Reiz überkam, genau dort drehen zu wollen: Kulisse, Licht, Set - ist ja schon alles da, fehlen nur noch die Kostüme, und wenn nur, bitte, jemand nach dem letzten Tourist die Pforten schließt und erstmal keinen mehr reinlässt für ein paar Tage. Oder Wochen.

Die perfekte Fassade und die Allanwesenheit dieses Air von Geschichte verwandelt inzwischen ganz Paris in einen Pop-Ort par Excellence, in dem selbst die traditionellen Intellektuellen-Hangouts zu Staffagen neuen kulturellen Handelns werden.

So galt es als Riesenskandal, dass Mrs.Coppola mit ihrer gesamten Entourage dem Ruf Jean Paul Sartres und Simone de Beauvoir folgte und konsequenterweise das Café Flore frequentierte, wo auch Karl Lagerfeld und Hedi Slimane hingehen - und nicht ins Deux Magots nebenan.

Das hat ohnehin aufgrund seiner touristischen Ecklage zur Kirche von Saint Germain des Prés den kleinen Anteil mehr an Schaulustigen im Publikum auzuweisen. Was den Vertretern der feinen Unterschiede den ganzen Tag vermiesen kann. Das Bewusstsein, am historischen Ort zu sein, bestimmt das Sein.

Schon Arthur Schopenhauer, der seine ästhetische Schulung unter anderem in Paris vervollkommnen durfte, spricht in seinen Aphorismen davon, dass es korrekt nicht heißen solle ,,he enjoys Paris'', sondern ,,he enjoys himself in Paris''.

Splitternackte Marie Antoinette

Man könnte auch den ganzen neuesten Film, wenn nicht sogar das Gesamtwerk von Sofia Coppola als großen Diskurs der Fassade lesen, die erst an einem Ort wie der französischen Grenze zu wirken beginnt.

Marie Antoinette steht splitternackt und all ihrer Kleider entledigt im Zelt, das den Übergang von Österreich in ihre zukünftige Kultur markiert. Sogar der Lieblingshund wird ausgetauscht. Wie bis heute die englischen Worte in der strengen Schleuse der Academie Française ihre Wurzeln verlieren, und aus dem Computer ganz flott der Ordinateur wird.

Die Bilder, in denen Marie Antoinette mit ihrem an Liebesdingen eher desinteressierten Gemahl Louis XVI. vor schier unendlichen Speisefolgen sitzt, sind eine große Feier des Rituals, das mit der Fassade einhergeht. Das Gesetz des Rituals dient der Wahrung der Fassade, die wie Pop eine große Feier der Oberfläche ist.

Ihre Sozialisierung im Pop und dessen maßgebliche Prägung scheint bei Sofia Coppola noch an den absurdesten Ecken ihrer Werke durch. Die Musik zum Film ,,The Virgin Suicides'', die von dem ebenfalls wie die Band Phoenix aus Versailles stammenden Duo Air komponiert wurde, ist noch vergleichsweise konventionell.

Musik unterstreicht Dekadenz am Hofe

Auch wenn sie nicht der Zeit, von der der Film handelt, entspringt. Coppola verwendet dann in ihrem neuesten Film ,,Marie Antoinette'' fast ausschließlich Musik des New Wave, um die Dekadenz am Hofe Versailles besonders zu unterstreichen.

In einer zentralen Szene tanzt die gute Gesellschaft von Paris in einer rauschenden Ballnacht mit Masken zu den Klängen von Siouxsie &the Banshees' ,,Hong Kong Garden'' eine Art Quadrille, und das Überraschende daran ist, wie gut die Musik zum Rhythmus der ekstatisch wogenden Rokokowelt passt.

Ein popgeschichtlicher Rückbezug, den auch der Modedesigner Hedi Slimane in seinen Arbeiten für Dior perfektioniert hat, wenn er die schmalen Schnitte der frühen Achtzigerjahre zitiert. Vor ein paar Jahren fing er sogar damit an, original Berliner Straßenjungs über die Laufstege zu schicken.

Poptourismus nach Frankreich hat eine lange Geschichte. Und ist immer eine Frage des richtigen Stils: Als Paul Weller, der Modband The Jam entwachsen, seinen sublimen Style Council gründete, zierten bereits die ersten Maxisingles Schwarzweiß-Bilder in mattes Blau getaucht, die Paul und seinen Mitstreiter am Keyboard Mick Talbot mit kurzgeschorenen Haaren in Trenchcoats und Loafers rauchend auf den berühmten Baststühlen Pariser Bistrots zeigten. Oder auf einem Brunnen in der Nähe der Place de la Concorde sitzend.

Bewusste Abgrenzung

,,Down the Seine'' öffnete mit der Feier französischen Lebensgefühls und einer launigen Akkordeonmelodie. Was uns heute vielleicht wie ein vielfach gebrochenes Klischee des ,,Lebens wie Gott in Frankreich'' mit Baskenmütze und Baguette im Rucksack vorkommt, war damals in den Achtzigerjahren bewusst gesetztes Zitat und Statement: Wir sind nicht mehr in England, von dem uns mehr trennt als der Ärmelkanal, nämlich die Ärmellänge unserer Manschetten. Das galt schon damals als Provokation.

Jarvis Cocker wiederum geht knapp zwanzig Jahre später nach Frankreich und versteht das als bösen Gruß an die politisch verhasste Heimat. In seinem neuesten Video sieht man ihn, bevor die Musik anhebt, wie üblich mit langem, klebrigem Haar aus einer Minigartenhütte steigen, worauf er zunächst erklärt, dass er zum einfachen Mitsingen seines Songs ,,Running The World'' die Worte wie beim Karaoke den Bildern unterlegt hat.

Bewusster ästhetischer Wechsel

Dann verschwindet er wieder in der Hütte, diesem Inbegriff des Kleingärtnerspießers, nicht aber ohne zuvor noch mit hochgereckter Faust den entscheidenden Satz zur Aussage des Liedes zu sagen: ,,Smash The System!'' Nach Frankreich zu gehen bedeutet in diesem Zusammenhang auch ganz einfach, konsequent in die ästhetische Opposition zu wechseln.

Auf die Frage danach, wie der Umzug nach Frankreich sein Leben verändert habe, erklärte er unlängst dem Pariser Rendez-vous magazine, er esse endlich besser, trinke weniger, rauche aber dafür mehr.

Das Fahrradfahren wie in London habe er aufgegeben wegen der lebensgefährlichen Auto- und Motorradfahrkunst der Franzosen. Ansonsten trinke er einmal am Tag einen Kaffee für den Geschmack und als Referenz an die Gewohnheiten der Pariser, lese (immer noch) den Guardian und (als Kontrapunkt) die Libération, bereite für seinen Sohn das Frühstück zu und habe auch ansonsten einen ganz normalen Alltag.

Ganz in der Nähe des Nordbahnhofs sind schließlich die Bang Studios, wo Nicolas von Air, Bertrand Burgalat und der Rest der unglaublich entspannten neuen Pariser Chansonschule sich die berühmte Türklinke in die Hand geben.

Genau dort hat Cocker auch Nigel Godrich getroffen, der dann später anrief und fragte, ob Cocker nicht die Texte für Charlotte Gainsbourgs neues Album schreiben wolle. Oder, in Jarvis' eigenen Worten: ,,Ein Drink, ein paar Zigaretten, und die Sache läuft.''

Das ist ein nicht unwesentlicher Aspekt des Kulturortes Paris: Mit den richtigen Freunden ist alles ein großes Familientreffen. Und Sofia Coppola posiert, wie auch Jarvis Cocker, für die exzeptionellen Modekampagnen von Marc Jacobs, die wiederum zumeist Jürgen Teller fotografiert.

Es fällt schwer zu entscheiden, welches Motiv geschmackvoller ist, Sofia Coppola, die nackt aus einem Swimmingpool auftaucht, oder Jarvis Cocker, der mit Schuhen und Tasche von Marc Jacobs vor britischen Baustellen auf einem Fahrrad entlangfährt.

Ins kalte Wasser geworfen

Keine Fassade aber existiert ohne das, was sich dahinter verbirgt. Der Kreativschub, den Cocker und Coppola in Frankreich erfuhren, verdankt sich sehr wahrscheinlich auch dem Umstand, dass es keine Stadt gibt, die den fremdsprachigen Neuankömmling in ein kälteres Wasser wirft als Paris.

Down the Seine, Teil zwei. Völlig auf sich selbst zurückgeworfen, sitzt man wie eine Metapher von Albert Camus als L'étranger in einem Straßencafé und lernt zunächst die Kunst des Wartens.

Auf den Kellner, dann auf die Bestellung. Schließlich auf einen Moment der Aufmerksamkeit, der es zuließe, eine falsch gelieferte Bestellung zu reklamieren.

Und dann das: Unlängst berichtete eine Freundin, man habe ihr selbst im ansonsten über viele Zweifel erhabenen Café Flore einen Cappuccino trotz vorher ausdrücklich angefragter Milchschaum-Variante mit Sahne serviert. Die lakonische Antwort des sichtlich unterforderten Kellners: ,,Servieren wir immer mit Sahne.''

Musikprogramm für das neue Frankreich

Aber es gibt auch die seltenen Momente, in denen sich die ästhetisch inspirierende Fassade mit dem dahinter verborgenen Inhalt deckt.

Die Radiostation ,,Nova'', wo die größten Fans von Jarvis Cocker sitzen, steht mit ihrem herausragenden Musikprogramm für das neue Frankreich, weswegen an dieser Stelle ausnahmsweise eine Internetadresse stehen soll: www.novaplanet.com.

Es ist eine der wenigen Stationen, bei denen man fast nie in Versuchung gerät, weiterzudrehen. Bands wie die New-Wave-Aufbereiter Nouvelle Vague und Radiohead gehören zu ihren Stammgästen, Laurent Garnier legt regelmäßig auf und in dem schönen Format ,,Nova fait son cinéma'' werden seltene und interessante Filme unter den Hörern ausgetauscht.

Was wiederum der Beweis ist, dass ein außerordentliches Programm auch außerordentliche Konsumenten formt. Einer muss halt nur mal damit anfangen.

Frankreich, oder besser Paris und Versailles, wie dazugesagt sein will, weil jeglicher Hauch von Hipness die Reise über die Vororte der Hauptstadt hinaus kaum überlebt, ist dabei, in Europa eine Art Anti-Berlin zu werden.

Die Schriftsteller und Künstler aus aller Welt zieht es nach Berlin, wo immer noch das alte Baudelaire-Diktum gilt, dass das Schöne heutzutage bizarr (also hässlich) ist, interessant und schmutzig eben - Musik, Mode und Film gehen nach Paris, wo man sehr geschmackvoll und vor perfekten Fassaden seiner ungeregelten Arbeit nachgehen kann.

Wer wissen will, was die beiden Städte voneinander halten, kann ja mal in die Paris-Bar in Berlin gehen und Besitzer Michel Würthle nach der Berlin-Bar in Paris fragen.

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