Sönke Wortmann vor dem Kinostart seines neuen Films:Ein Wunder, das noch immer Wunden heilt

Lesezeit: 9 min

Das Lebenswerk über die Fußballhelden von 1954 könnte die zuletzt wechselvolle Karriere des Regisseurs krönen - und sogar beschließen.

Von Milan Pavlovic

Köln, im Oktober - Die Gabel zieht vorsichtig forschende Kreise um das seltsame Objekt: ein Berg kleiner geschnetzelter Streifen, irgendwo zwischen rötlich und violett schillernd. Die Gabel kommt zu einem Halt, und Sönke Wortmann sagt, ohne den Blick abzuwenden: "Das ist aber 'ne komische Farbe. Vielleicht sollte man das doch nur in Bayern essen." Der Regisseur hat Leberkäs bestellt. In Köln. Vielleicht ist das ein Zufall, aber ein bezeichnender: Er scheint das Glück, das ihn jahrelang verfolgt hat, immer aufs Neue herausfordern zu wollen, selbst in den kleinsten Dingen.

Sönke Wortmann gehörte zu den Wenigen in der deutschen Filmbranche, die nichts kannten als den Erfolg, er erklomm auf der Karriereleiter eine Stufe nach der anderen, bis er plötzlich herunterpurzelte. Es ist eine typisch deutsche Stargeschichte mit einer für deutsche Verhältnisse unüblichen Wendung: Am übernächsten Donnerstag kommt sein neuer Film in die Kinos, "Das Wunder von Bern", und so ziemlich jeder Beobachter geht davon aus, dass dies nach "Good Bye, Lenin!" der zweite große deutsche Kinoerfolg des Jahres wird.

Es wäre leicht, von einer Hollywood-Pointe zu sprechen, wenn der Ausdruck in Wortmanns Vita nicht eine zweischneidige Bedeutung hätte. Amerika hatte 2000 gerufen, Wortmann war gefolgt. Der Film, der dort entstand - "The Hollywood Sign", immerhin mit Burt Reynolds, Rod Steiger und Tom Berenger -, hat es weder in die amerikanischen noch in die deutschen Kinos geschafft. Hier zu Lande findet man ihn nur illegal in ein paar besseren Videotheken, wo er Tramposos en Hollywood heißt. Ein verheerendes Zeichen, aber Wortmann spielt die Sache herunter: "Es ist mir jetzt auch wurscht, ob der Film in Deutschland herauskommt."

Also sitzt er jetzt nicht im Echo Park von Los Angeles, sondern im Kölner Volksgarten. Der Regisseur ist in seine deutsche Wahlheimat zurückgekehrt, wohin es ihn in den Neunziger Jahren aus dem "verschlafenen München" gezogen hatte. Sein Produktionsbüro, auf halbem Weg in die Kölner Südstadt, liegt drei Steinwürfe vom Volksgarten entfernt. Dort erinnert nichts an die fast unbemerkte Zeit in Hollywood, Wortmann scheint nicht einmal viele Erinnerungen mitgebracht zu haben. "So wie man als Fußballer mal in Italien gespielt haben will, möchte man als Regisseur mal in Hollywood gedreht haben", sagt er. Es ist ein Satz, der ihm so einstudiert von der Zunge geht wie Profis Floskeln von der Herausforderung einer fremden Sprache. "Das reicht mir eigentlich jetzt. Das war 'ne tolle Erfahrung, das macht nicht mehr Spaß als hier, auch nicht weniger - aber es ist nicht das Mekka." Und außerdem: "Die Sachen, die mich interessieren, sind keine teuren Filme. Wolfgang Petersen oder Roland Emmerich, die können nur in Hollywood ihre Träume verwirklichen. Meine Sachen sind 'n bisschen kleiner angelegt."

Das ist eine kuriose Aussage angesichts der Tatsache, dass Wortmann gerade seinen teuersten Traum realisiert hat. Im "Wunder von Bern" geht es um nichts weniger als die Wiederauferstehung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1954, auf drei Ebenen aufwändig miteinander verwoben - mit einem Budget von 7,5 Millionen Euro zwar Welten entfernt von Petersens 140-Millionen-Dollar-Spektakel "Troja", aber dennoch so teuer wie noch keiner von Wortmanns deutschen Filmen; ein Wagnis schon allein aus dem Grund, dass Fußball, Kino und Erfolg noch in keiner Gleichung aufgegangen sind.

Bis jetzt. Vielleicht hat es einen wie Sönke Wortmann gebraucht, um den Fluch zu brechen. Einen Filmemacher, dessen Leben selbst voller Verbindungen zum Fußball ist. Einen, der selbst einmal Profi war. Wortmann hat die SpVgg Erkenschwick Anfang der Achtziger mit seinem einzigen Saisontor in die Zweite Liga geschossen. Er benutzt gerne Fußball-Vergleiche, und seine Filmkarriere scheint stets auf "Das Wunder von Bern" zugesteuert zu haben. Insgesamt fünfzehn Jahre hat er an ihm gebastelt.

In seinem Büro liegt ein zerfledderter Ball, der wirklich noch aus Leder ist. Es ist eine der wenigen augenfälligen Requisiten aus seinen Filmen - sieht man einmal von dem kleinen Tisch aus "Der bewegte Mann" ab, auf dem Til Schweiger vor Geilheit apathisch hockte. Der Ball ist eine weitere Verbindung zwischen dem Sport und Wortmann, dessen Zufriedenheit seltsam abgeschlossen wirkt: "Im Moment ist es wichtig, dass hinter meinem Namen nicht mehr 'Kleine Haie' steht oder 'Der bewegte Mann', sondern ein neuer Film, 'Das Wunder von Bern'." Es ist der Wunsch, endlich aus der eigenen Vergangenheit auszubrechen, selbst wenn das die Zukunft kostet. "Wenn ich's mir finanziell leisten könnte", sagt Wortmann, "würde ich aufhören. Wenn dies die erste deutsche Nicht-Komödie mit mehr als drei Millionen Zuschauern würde, wäre das eine Dimension, wo ich sagen könnte: Jetzt kann ich aufhören. Die 74er haben es richtig gemacht: Overath, Müller, Schwarzenbeck, die sind als Weltmeister abgetreten." Er hält kurz inne, um zu überprüfen, ob die Assoziation nicht zu vermessen ist. "Ich seh' mich jetzt nicht unbedingt als Weltmeister, aber Deutscher Meister würde ich schon gerne werden."

In jedem Fall werden alle über "Das Wunder von Bern" reden. Die Zeit ist richtig für Fußball, Rudi Völler hat ihn mit seiner Mist-und-Käse-Rede in eine noch breitere Öffentlichkeit gestellt, der Tod der WM-Legenden Helmut Rahn und Lothar Emmerich hat das Interesse für die Vergangenheit geweckt, und der Trailer für den Film kommt gerade bei jenen Zuschauern gut an, die gar nicht mehr miterlebt haben, wie Deutschland 1990 zum dritten Mal Fußball-Weltmeister wurde - geschweige denn zum ersten Mal, im Juli 1954.

"Wenn man sich die deutschen Kinoerfolge der letzten 15 Jahren ansieht", sagt der Autor Jürgen Egger, der das Drehbuch für Wortmanns Kinodebüt "Kleine Haie" schrieb, "dann sind da viele dabei, von denen du von der Geschichte her sagen würdest: Eigentlich ist da nichts drin, was das Publikum direkt anspricht. Da fallen keine Meteoriten auf Berlin, da wird keine Verschwörung aufgedeckt, und niemand ist für eine Woche lang Gott. Solche Stoffe haben wir ja gar nicht." Die meisten großen deutschen Kino-Erfolge konnte man bisher nur rückwirkend daran ausmachen, dass sie unverkennbar deutsch waren, genau zur richtigen Zeit kamen und insgesamt einzigartig erschienen: "Du hast im Vorfeld eines Kinostarts oft keinen anderen Maßstab als deine Nase", sagt Egger. "Du sagst: Der Film riecht irgendwie gut. Das war bei 'Good Bye Lenin!' so, bei 'Lola rennt' auch - und 'Das Wunder von Bern' riecht verdammt gut."

Sönke Wortmann sieht nicht so aus, als würde er sonderlich viel riechen. Er trägt die Haare jetzt mittellang, an manchen Stellen stehen sie unvermittelt hoch, an anderen scheinen sie einen Kampf miteinander auszutragen. Auch der Bart wächst etwas ungeordnet, die Hosen sind nicht die neuesten, und wer böse sein möchte, könnte Wortmanns Erscheinung wurschtig nennen. Der 44-Jährige macht daraus aber fast schon wieder einen Modestil, leger in seinem grau-grünen T-Shirt mit dem Aufdruck "11 Freunde", was auf Sepp Herbergers Weisheit vom Teamcharakter zurückgeht, aber auch der Titel einer deutschen Fußball-Zeitschrift ist.

Der Filmemacher wirkt wie jemand, der sich kaum Gedanken darüber macht, welchen optischen Eindruck er hinterlässt. Das erinnert an die Zeit vor "Der bewegte Mann", der ihn Ende 1994 berühmt machte. Vom Set gibt es ein bezeichnendes Foto. Darauf zu sehen sind: Bernd Eichinger, der mächtige Produzent, der durch jedes Pixel Selbstbewusstsein verströmt; Til Schweiger, der Hauptdarsteller, der das Versprechen eines künftigen Weltstars vermittelt. Nur Wortmann sieht aus, als sei er zufällig auf das Bild geraten, ein Kabelträger, der sich einmal mit den Großen ablichten lassen wollte.

Dieser Eindruck passt zum Beginn seiner Karriere: Bei "Eine Wahnsinnsehe", der ersten langen Produktion, die Wortmann Ende der Achtziger Jahre für den Südwestfunk drehte, "dachten am ersten Drehtag Einige, ich sei der Fahrer". Das deckt sich mit der Erinnerung des Autors Sathyan Ramesh, der Ende der Neunziger den Auftrag hatte, die Fortsetzung zu "Kleine Haie" zu schreiben: "Ich war überrascht, wie nett, wie zugänglich, wie normal er war, denn ich dachte, Filmleute sind immer abgedreht. Sönke war der Erste, bei dem ich erlebt habe, dass auch die in Jeans rumlaufen, Milchkaffee trinken und reden wie du und ich."

Egger, der in den Achtzigern mit Wortmann an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen studierte, erinnert sich an die eigentümliche Mischung aus Lässigkeit und Zielbewusstsein: "Sönke war einer der wenigen Leute, die schon bei ihren Filmhochschulprojekten in der Lage waren, Dinge zu delegieren. Es gibt ja Kontrollfreaks, auch an der Filmhochschule, die alles allein machen wollen. Wortmann wusste stets, dass es Leute gibt, die Dinge besser können als er, an der Kamera oder als Ausstatter, und er war da immer ganz cool in seinem Status als Regisseur." Wobei zur Legende gehört, dass er eher zufällig zu seiner Berufung fand. "Er war in unserem Hochschulkurs der Einzige von 14, der nicht Regisseur werden wollte", sagt Egger. "Er wollte eigentlich Produktionsleiter werden. Irgendwann hat er gemerkt, dass und wie gut er Regieführen kann. Es war wie bei einem Fußballer, der eigentlich im Tor steht, und dann sagt der Trainer: 'Geh' mal nach Linksaußen, das kannst du.' Und dann geht er auf Linksaußen, seine Flanken kommen an, und dann bleibt er natürlich dabei."

Wortmann hat von seiner Zeit als Fußballer vor allem den Teamgedanken ins Regiefach übernommen: "Alleine kann man kein Spiel gewinnen und keinen Film machen. Hier wie dort muss man sich im Team durchsetzen, in einer Hierarchie wie in der Mannschaft."

Nur im Erfolg hat er sich von diesem Credo entfernt. Nach "Der bewegte Mann" schien er sich eine Weile lang um sein Äußeres mindestens so sehr zu kümmern wie um seine Projekte. Wortmann trug damals plötzlich Maßanzüge und eine modische Langhaarfrisur, er setzte sich in fesche Autos, besuchte Premierenfeiern und Partys, bot den Fotografen allerlei Möglichkeiten, ihn abzulichten. Er war ein Star, er benahm sich so, und irgendwie war das verständlich. Welcher deutsche Regisseur hatte in den vorangegangenen dreißig Jahren schon Filme mit fast sieben Millionen Zuschauern gehabt und dabei so gut ausgesehen wie die meisten seiner Darsteller? Der Sohn eines Bergmanns aus dem Ruhrpott wohnte in einer Hollywood-Villa, nicht weit vom Mulholland Drive und Jack Nicholson entfernt, hatte einen Vertrag bei der großen Agentur ICM und mit einem Film mehr Besucher gelockt als Rainer Werner Fassbinder, der letzte deutsche Regiestar vor ihm, mit seinen 41 zusammen.

Allerdings, Wortmann schien darauf vorbereitet zu sein, dass es nicht immer aufwärts gehen könnte. "Der steile Abstieg wird schon noch kommen", hat er schon 1992 gesagt. Aber als die ersten spürbaren Rückschläge kamen - die herbe Kritik am "Superweib" (1996), die enttäuschenden Besucherzahlen für "Campus" (1998) und "St. Pauli Nacht" (1999) -, wirkte der Regisseur plötzlich dünnhäutig. Er glaubt, eine Erklärung für das Tief gefunden zu haben: "'Der bewegte Mann' war so ein Mega-Erfolg, dass das Pendel ins Gegenteil schwingen musste beim nächsten Film, und da habe ich es ihnen auch leicht gemacht mit dem 'Superweib'." Ein Fehler, den Jürgen Egger auf Wortmanns Arbeitsethos zurückführt: "Er ist jemand, der relativ schnell wissen möchte, welchen Film er denn als nächstes macht, das möchte er dann gerne direkt auf dem Tisch haben. Es ist ein bisschen wie bei Clint Eastwood, der sagt: ,It's only a movie, let's move on', und schnell und geräuschlos einen Film nach dem anderen machen möchte."

Die Komödien, die Wortmann den Weg geebnet hatten, verfolgten ihn plötzlich. Und seine Versuche, ernst zu wirken, wurden nicht ernst genommen - auch weil sowohl "Der Campus" als auch "St. Pauli Nacht" so bedeutsam daherkamen und so wenig von der Beiläufigkeit seiner frühen Filme hatten. Zu diesem Zeitpunkt, Ende der Neunziger, hatte der deutsche Film einen neuen Vorzeigeregisseur, Tom Tykwer, und man konnte den Eindruck gewinnen, Wortmann käme damit nicht so leicht klar. Jürgen Egger bestreitet das: "Er ist nicht der Typ, der Tom Tykwer den Erfolg geneidet hätte. Was Wortmann wohl geärgert hat, war, dass dieses Genre, aus dem er kommt, dieser unterhaltende, nicht-intellektuelle Film, zu Zeiten von 'Lola rennt' gnadenlos abgeschossen und für erledigt erklärt worden ist; dass das, was seit Anfang der Neunziger erfolgreich war, plötzlich nichts mehr zählte, weil alle intellektuell gelockt werden wollten."

Der Witz daran ist, dass Komödien-Spezialist Wortmann ein Mann ist, der selbst nur selten lacht. Bei diesem Thema blickt er noch ernster. "Ich finde, der deutsche Film wird zu Unrecht schlechtgeredet. Wenn ich mir die deutschen Regisseure und die Filme angucke" - und er nennt Caroline Link, Tom Tykwer, Detlev Buck, Helmut Dietl, Philip Gröning, Dominik Graf und Hans-Christian Schmid -, "das ist doch eine erfolgreiche Combo. Da denke ich immer: Hey, wo ist das Problem? Das hat mich stets geärgert, dass der deutsche Film immer in der Krise ist, seit der Schlacht im Teutoburger Wald ist der deutsche Film schon in der Krise."

Wortmann hat sich als Konsequenz in den vergangenen Jahren so weit wie möglich zurückgezogen. Er sieht sich kaum noch Filme an. Das Kino besteht aus seinen beiden kleinen Kindern. Wenn er von ihnen erzählt, hellt sich sein Gesicht auf, als habe jemand eine 100-Watt-Lampe angeknipst. Das Lächeln verglimmt aber genauso schnell, wenn er über das heutige Kino spricht: "Ich habe nicht das Gefühl, viel zu verpassen. Es hat für mich ohnehin nur zwei, drei Filme pro Jahr gegeben, die mir gefallen haben." Er beschließt das Thema leidenschaftslos: "Der Leinwandmythos schrumpft, wenn man selber Filme auf die Leinwand gebracht hat."

Er hätte aber wohl nichts dagegen, mit dem neuen Film selbst einen kleinen Mythos zu schaffen, das wundersame "Wunder von Bern", von dem Sathyan Ramesh sagt: "Es ist nur richtig, dass er diesen Film gedreht hat. Nicht weil er mal Fußballer war, sondern weil er Fußball liebt. Weil er bei diesem Film mit dem ganzen Herzen dabei war." Auch für Jürgen Egger rundet diese Produktion alles ab: "Sie markiert eine Rückkehr zu seinen Wurzeln, erinnert in manchen Einstellungen, von der Siedlungsästhetik im Ruhrgebiet her, an sein Abschlussprojekt an der HFF, ,Drei-D'. Das ist ein Kreis, der sich da geschlossen hat."

Bestimmt sagt fast jeder Regisseur, sein neuester Film sei der wichtigste in seiner Vita, aber Wortmann wirkt ungewohnt schutzlos, wenn er behauptet: "Ich kann mir meine alten Filme nicht ansehen, weil ich immer sehe, was ich alles hätte besser machen können. 'Kleine Haie' gehört sicher zu meinen besseren Filmen, aber ich ärgere mich jedes Mal." Wortmann fährt sich mit einer Hand durch die Haare, wodurch sie jetzt an einer anderen Stelle hochstehen. "Fehler, Fehler, Fehler! Da könnte ich zehn bis zwanzig Sachen aufzählen. Beim 'Wunder von Bern' dagegen habe ich das Gefühl: Mehr kann ich nicht, das ist es jetzt."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: