Serie "Friss oder stirb" auf MTV:Für immer 17!

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Die Toten Hosen inszenieren sich beim deutschen Ableger des Musiksenders als Therapiegruppe zwischen Spaß und Kommerz.

Von Christopher Keil

Es gibt ja Filme, die sich mit der ewigen Jugend beschäftigen. Sie heißen Forever Young, und die ewige Jugend, das konnte man lernen, hat ihren Preis. Inzwischen zahlen die Menschen fast jeden Preis, um ewig jung, schön, blond, schlank auszusehen. Das Fernsehen hat umgehend reagiert, und eine ganze Industrie beschäftigt sich inzwischen mit der Fertigung fiktionaler und angeblich realitätsnaher oder dokumentarischer Programme zu diesem Thema.

Der Popkanal MTV, genauer: seine deutsche Abteilung, bietet seit drei Wochen etwas für Freunde der ewigen Kindheit. Auch das ist für den ein oder anderen ein Traum. Ein Leben wie auf der Carrerabahn. Mit dem roten Drücker auf die Überholspur, später eine Flasche Bier, dazu ein bisschen Pogo im Jugendheim, und nachts mal so richtig auskotzen. Was Mutti am nächsten morgen zwar nicht richtig toll findet, aber Vati auch nicht unbedingt petzen muss.

Die Befindlichkeiten der Hosen

Der regt sich schon genug auf. "Friss oder Stirb" heißt die Telenovela, die sich ausschließlich mit der Befindlichkeit der Musikgruppe Die Toten Hosen beschäftigt und sie, die Befindlichkeit, auch ausführlich zeigt. Als man erstmals von einem seriellen Format hörte, dass als eine Art Eigenproduktion zu gelten hat, war schnell von einem deutschen The Osbournes die Rede. Bis zur Präsentation von "Friss oder Stirb" hat dem niemand widersprochen.

Einerseits ist diese Wertschätzung wie eine kostenlose Promotion gewesen. Denn The Osbournes, das barocke Leben der englischen Rock-Familie in L.A., hat eine treue und feste MTV-Kundschaft gewonnen. Andererseits haben weder MTV noch Die Toten Hosen bis zur ersten Ausstrahlung gewusst, was sie eigentlich zeigen werden. Irgendwas, was noch nie gezeigt wurde. Klar. "Ungewöhnliche Einblicke" in die Existenz der "erfolgreichsten deutschsprachigen Rockband", wie MTV informierte: Campino beim Golfen, Vom beim Kotzen, Breiti am Fallschirm.

Das ist alles sehr lustig, Die Toten Hosen aus Düsseldorf!. Sie sind überhaupt sehr lustig, sofern man es mag, wenn sich Männer, die nun auch schon um die 40 Jahre alt sind, ständig besaufen, in einer fürchterlich aussehenden Erbsensuppe rühren, die fürchterliche Folgen haben musste, weil nach dem Verzehr wortreich über die Beschaffenheit des Abortes geredet wurde. Das ist aber nicht The Osbournes. Und man hätte nie annehmen dürfen, dass sich die von Sänger Campino angeführte Gruppe in eine gläserne Villa locken ließe, um dort mit den diversen Freundinnen oder Frauen über Kindererziehung zu diskutieren.

Nicht ganz zufällig heißt die aktuelle Konzertreise der Toten Hosen "Friss oder stirb-Tour 2004" und wird auf dem MTV-Bulletin zur Sendung mitbeworben. Man hat es bei der halbstündigen, auf 22 Folgen angelegten Punk-Soap mit einer gut platzierten PR-Strategie zu tun. Jeweils 50.000 der 14- bis 29-Jährigen, ist bei MTV zu erfahren, haben die ersten beiden Episoden ("Balkan-Sommertour, Teil1"; "Freier Fall - Die Toten Hosen beim Fallschirmspringen") verfolgt. Das ist, bemessen am Marktanteil, wirklich kaum messbar.

Cross-Media-Instinkte

Bemessen aber an der Reichweite, die die Toten Hosen sonst erzielen, ist das bestimmt großartig. Die Band sei "immer auch eine offene Therapiegruppe für Abenteuerlust" gewesen, lässt das Management verbreiten. Wenn Die Toten Hosen für ehrlichen Punkrock bekannt sind und dafür, sich rechter Gewalt politisch und körperlich in den Weg zu stellen, so sind sie auch für ihre so genannten Cross-Media-Instinkte bekannt.

Sie hatten schon einmal eine eigene Show auf Radio Fritz und wissen, wie es ist, Medien inhaltlich auszugestalten. Bei allem Engagement für die Menschheit im Allgemeinen und den Spaß im Besonderen sind die Toten Hosen grandiose Selbstdarsteller. Den Begriff Markenartikel haben sie jedenfalls mitentwickelt.

Sollte einen das geschäftliche Interesse der fünf Musiker davon abhalten, sich die MTV-kompatibel geschnitten Geschichten und Geschichten erzählen zu lassen? Sicher nicht. Für alle Anhänger ist das sowieso keine Frage, alle Anfänger bestaunen, dass die Toten Hosen etwas geschafft haben, wovon man gelegentlich träumt. Für immer 17! Da rumpeln fünf Jungs mit einem Bus über den so genannten Balkan, schrammen ihre Songs in schweißniedrigen Klubs, segeln auf einer Pulle Slibowitz durch die Nacht und drücken ein paar serbischen oder kroatischen Mädchen Autogramme auf die Brust.

Campino sagte, er habe bei dem Projekt MTV an so etwas wie den Buena Vista Social Club gedacht. Bei der Fahrt durch Belgrad erinnern ein Insert und zerschossene Häuser an die Nato-Bombardierung. Social, das sind sie schon mal.

Friss oder Stirb, MTV, 21 Uhr.

© SZ vom 1.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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