Selbstporträts:Das wahre Gesicht

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Künstler in der DDR setzten Masken nicht nur ein, um zu verbergen - sondern um zu enthüllen und mehr oder minder direkt zu kritisieren.

Von Sandra Danicke

Der Artist kämpft sich übers Seil: Tief gebeugt, halb verdreht, mit ausgelaugtem Gesicht und einem absurd spitzen Hut balanciert er die Stange auf seinem rechten Knie. Er scheint alle erdenkliche Mühe aufzuwenden, um sich auf dem schmalen Grat zu halten. Der Titel "Seiltänzer", den Trak Wendisch seinem 1984 entstandenen Gemälde gegeben hat, ist vollkommen nüchtern - und zugleich hochmetaphorisch.

Vor allem dem damaligen Betrachter in der DDR dürfte die Doppelbödigkeit sofort aufgefallen sein. Radikale Offenheit, wie man sie heute in den meisten Teilen der Welt von Künstlern erwartet, wäre in der DDR dem künstlerischen Selbstmord gleichgekommen. Kulturschaffende waren darin geschult, ihre Botschaften zwischen den Zeilen unterzubringen und ihr wahres Ich auf eine Weise zu verbergen, die der Kundige entschlüsseln und der Nichteingeweihte getrost übersehen konnte. Der Einsatz von Masken und Verkleidungen gehörte im Sozialismus fast schon zum notwendigen Instrumentarium Intellektueller. Das gilt besonders für das Selbstporträt bei bildenden Künstlern, eine Gattung, die seit der Renaissance nicht nur der physiognomischen Studie, sondern auch der Innenschau dient und Auskunft über das Selbstverständnis des Künstlers gibt.

Individualität und Autonomie widersprachen dem geforderten Einheitsstil

In der DDR hatten Künstler ein Paradox zu bewältigen, widersprach doch ihr Anspruch auf Individualität und Autonomie dem Ideal des sozialistischen Kollektivs. Vom DDR-Künstler wurde erwartet, dass seine Werke Beiträge zur Erziehung der Gesellschaft zu staatstreuen Dienern darstellen. Gefordert wurde ein sozialistisch-realistischer Einheitsstil. Glücklicherweise hielten sich viele Künstler nicht an die fragwürdigen Vorgaben. Immer wieder setzten sie sich mit der ihnen vom Staat zugewiesenen Rolle kritisch auseinander.

Bereits 1953 malte sich Theodor Rosenhauer mit Scherzbrille, an der eine lange Kunstnase und ein Schnurrbart hängen; er zeigt dazu ein aufgesetztes Grinsen - ein geradezu aufmüpfiges Bild von einem, der sonst stets die einfachen, stillen Dinge des alltäglichen Lebens malte. Von den Oberen der DDR wurde ihm damals "mangelnder Optimismus" vorgeworfen. Eine Anschuldigung übrigens, die Rosenhauer bereits aus dem Dritten Reich kannte.

Wolfgang Mattheuer malte 1970 einen Mann mit einem aufgesetzten Pappkarton, der ein steif lachendes, grellgelbes Gesicht zeigt ("Das zweite Gesicht"). Dahinter, grau in grau, erkennt man einen nachdenklichen, ernsten Mann, der seine wahre Persönlichkeit hinter Mummenschanz verbirgt.

Dass es sich dabei um ein Selbstporträt des Künstlers handelt, ist nicht verbürgt, liegt jedoch nahe. Wie viele DDR-Künstler war auch Mattheuer ein Meister darin, seine Werke so doppeldeutig zu gestalten, dass sie gerade noch die Zensur passierten und zugleich für eine kritische Lesart offen blieben. Der Künstler malte damals eine ganze Reihe von Symbolbildern, etwa 1973 das großformatige Gemälde "Hinter den sieben Bergen", das oft als subversive Anspielung auf den Prager Frühling von 1968 gedeutet wird. Oder "Kain" (1965), das als Hinweis auf die beiden deutschen Teilstaaten interpretiert werden kann, die sich wie feindliche Brüder gegenüberstanden.

Auch die 1981 entstandene monumentale Bronzeskulptur "Mann mit Maske (Gesicht zeigen)" - ein Anzugträger, der sich einen Schafskopf halb vors Gesicht hält - verweist auf die Scharade, zu der viele Menschen im sozialistischen System gezwungen waren. Die Maske als solche kenntlich zu machen, war in der DDR durchaus ein gewagter Akt. Wobei sich Mattheuer nie mehr als notwendig verstellte und keinen Hehl daraus machte, was er vom Überwachungsstaat hielt: 1974 legte er sein Amt als Professor nieder, um wieder freischaffend zu arbeiten. Zwei Jahre später protestierte er gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, und 1988 trat er aus der SED aus.

Sein Kollege Werner Tübke wiederum inszenierte sich 1977 in "Familienbildnis in sizilianischen Marionettenrüstungen" als König einer Familie von Marionetten. Im Gegensatz zu seinen anderen, oft unerträglich selbstherrlichen Bildnissen (insgesamt hat er etwa 140 geschaffen), ist Tübke hier ein Abhängiger - allerdings einer in der Kostümierung des mächtigen Adeligen. "Das mutet wie eine symbolische Selbstreflexion von Tübkes Status als gehorsamer Diener der DDR-Kunstpolitik an", schreibt Susanne Altmann im Katalog, "fast wie die rückversichernde Bitte um Verständnis für eine Zwangslage auf hohem Niveau."

Unmissverständlicher ging ein Jahr später sein Schüler Hans-Hendrik Grimmling vor, als er sich in eine Art Zwangsjacke gewickelt malte ("Ich in Leipzig"). Deutlicher kann man die eigene Handlungsunfähigkeit, zu der ihn die staatlichen Vorgaben verdonnerten, nicht ins Bild setzen.

Noch einen Schritt weiter ging 1982 Cornelia Schleime, als sie sich für eine dreiteilige Fotoserie eine Plastiktüte so über den Kopf zog, dass darin kein Quäntchen Luft mehr verblieb. In Bild zwei hat die Künstlerin ein Loch in die Tüte gerissen. Bild drei zeigt sie mit herausforderndem Blick, wie sie im Begriff ist, das Plastik vom Kopf zu ziehen. Seit 1981 war die Künstlerin, die ihre Serie "Ich halte doch nicht die Luft an" nannte, mit einem Ausstellungsverbot belegt. 1984 ließ man sie schließlich ausreisen.

DDR-Künstler verwendeten Masken nicht, um sich dahinter zu verstecken, sondern ganz im Gegenteil als Zeichen der Selbstbehauptung und Individualität. Ein bemerkenswertes Beispiel gab Wolfram Adalbert Scheffler, der sich immer wieder in unterschiedlichen Rollen inszenierte. Mal trug er Paradeuniform, mal Matrosenanzug, mal gab er sich als Vagabund, mal als Landbriefträger - eine Exzentrik, mit der er im Kollektivstaat kalkuliert irritierte. "Der Künstler als melancholischer Dandy auf der Suche nach Extravaganz ist die eleganteste, sublimste Form des Protestes (Elisabeth Lenk) gegen die Normalität des alltäglichen Zynismus", schrieb der Kunsthistoriker Eckhart Gillen 1987 über Scheffler. Da war dieser bereits in den Westen ausgereist.

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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