Schwerpunkt:Augenklick

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Zahlreiche Filme im diesjährigen Festivalprogramm beschäftigen sich mit den Themen Selfie-Manie, Überwachung und Social Media.

Von Anna Steinbauer

Augen sind nicht nur die Fenster zur Seele, sie sind vor allem unsere wichtigsten Wahrnehmungsinstrumente. Was aber, wenn man den eigenen Augen nicht mehr trauen kann? Wenn sich Hacker wie in Andrew Niccols dystopischem Science-Fiction-Thriller Anon über die Augen Zutritt zu anderen Realitäten verschaffen, um die Wahrheit zu manipulieren? Das Szenario, das der diesjährige Abschlussfilm des Münchner Filmfests schafft, scheint nicht in allzu weiter Ferne zu liegen, wenn man die Änderungen im EU-Datenschutzgesetz und dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz betrachtet. In Anon herrscht die totale Datentransparenz auf jeden Fall bereits: Durch eine Augenimplantation werden alle Menschen im "Ether" vernetzt, einem weltweiten System, das sämtliche Informationen über jedes Individuum und seine Handlungen speichert. So wird jede Lebenskunde digital archiviert und kann über die Augen abgerufen werden. Der gläserne Mensch ist nicht mehr nur düstere Zukunftsmusik sondern Fakt.

Dieses digitale Gedächtnis nutzt Detective Sal Frieland (Clive Owen), um seinen Job zu erledigen. Denn eine brutale Mordserie erschüttert die futuristische Metropole, bei der sich der Killer in die Augen der Zielperson hackt, so dass es ausschließlich Bilder vom Verbrechen aus der Täterperspektive gibt. Wie kann man sich noch der permanenten Kontrolle entziehen? Die Antwort lautet Anon und ist eine Störung im System. Die namenlose Hackerin, gespielt von Amanda Seyfried ist Anon: sie hat keine Identität, keine Geschichte und keine Sichtbarkeit. Die Frau entzieht sich dem System, um in Freiheit zu leben. Ist die Bildermanipulatorin eine Killerin? Überwachung gehört längst zu unserem Alltag, an jeder Ecke zeichnen installierte Kameras unsere täglichen Handlungen auf. Dieser Bilderflut widmet sich Xu Bing, einer der bekanntesten Video- und Performancekünstler Chinas in Dragonfly Eyes. Der Filmemacher arbeitete sich durch 10 000 Stunden Material von Überwachungskameras im öffentlichen Raum. Aus realen Bildern entstand eine fiktive Geschichte um die Protagonistin Qing Ting (chinesisch "Libelle"), deren Leben eine unerwartete Wendung nimmt, nachdem sie Ke Fan kennenlernt. Das Melodram erzählt von Voyeurismus und der Sehnsucht nach Intimität in einer Welt, in der man mehr oder weniger freiwillig einem Dauerbeobachtungszustand ausgeliefert ist.

Die einen inszenieren sich, die anderen entziehen sich. Kontrolliert werden wir alle

Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit sind in Zeiten, in denen jeder seine digitalen Fußstapfen hinterlässt, ein brisantes Thema. Überwachungs- und Kontrollmechanismen sind eng an Technik geknüpft, und die sozialen Medien spielen dabei eine entscheidende Rolle. Durch sie können nicht nur räumliche Distanzen überwunden werden, auch die zwischenmenschlichen Hürden beim Kennenlernen schwinden - beispielsweise mit der Dating-App Tinder. So dreht sich auch das Leben von Gordon, dem Angestellten in einer Detroiter Hightech-Sicherheitsfirma in Eye on Juliet um schnelle Dates. Sein Job ist es, mit einer ferngesteuerten, spinnenartigen Drohne eine Öl-Pipeline in Nordafrika zu überwachen. Dabei erscheint eines Tages zufällig Ayusha auf seinem Kontrollmonitor, die mit einem älteren Mann verheiratet werden soll. Gordon verliebt sich von der Ferne in sein Überwachungsobjekt und eine zarte Liebesgeschichte entspinnt sich über die Kontinente. Die Technik macht es möglich, am Leben des anderen teilzunehmen, ohne die Realität miteinander zu teilen. Doch welche ist die reale Welt, wenn sich ein Hauptteil unseres Lebens auf Bildschirmen abspielt?

Auf Smartphones und Computeroberflächen spielt sich auch das Familiendrama Searching ab, das ausschließlich auf Social Media ausgetragen wird und einen bedrohlichen Blick auf die Online-Welt liefert. Nachdem die 16-jährige Tochter von David Kim verschwindet, macht sich der Vater auf die Suche nach dem Mädchen. Ihr Laptop und ihre digitalen Spuren helfen ihm bei der Suche nach der Wahrheit. Natürlich wimmeln die Filme des Filmfests nur so von Digital Natives wie etwa dem Informatikstudenten Ned in A Young Man with High Potential, der zwar hochintelligent, aber leider auch sexuell unerfahren ist. Und sein Computer hilft ihm auch nicht dabei, die attraktive Klara zu erobern. Oder es zeigt die Auswirkungen von Social Media wie in Birds without Feathers, in dem Neil gerne ein Instagram-Star wäre, aber auch so schon vollkommen vereinsamt ist. Auf wen man sein Auge wirft, sollte man sich auf jeden Fall gut überlegen.

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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