Schwerpunkt:Alles, was Brecht ist

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Woher kommen die Geschichten? Beliebte Inspirationen sind Romane und Theaterstücke, das zeigt das Filmfest deutlicher denn je. Von Nick Hornby bis Patrick Süskind - hinter vielen Adaptionen stehen große Namen.

Von Bernhard Blöchl

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten, die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt." Was Goethe in seinem "Faust" einleitend skizziert, drückt auch der 36. Filmfestausgabe einen Stempel auf. Da schwanken bekannte Figuren der Dicht- und Erzählkunst durch das Programm, als hätte Diana Iljine, die Festivalchefin, einen teuflischen Pakt mit der Göttin der Literaturwelt geschlossen. Gretchen hier, Don Quixote da, Mackie Messer sowieso. Der Duft von Patrick Süskinds "Parfum" liegt in der Luft, andernorts arthurschnitzlert es, und zwischendrin grinst schelmisch Nick Hornby.

Der Reigen beginnt gleich zur Eröffnung, wenn Bertolt Brecht leinwandgroß herauskommt. In Joachim A. Langs komplexem Historiendrama Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm nähern sich dem kulturinteressierten Zuschauer vertraute Gestalten, darunter Gangsterboss Macheath (Tobias Moretti), sein Widersacher Peachum (Joachim Król, siehe Seite 3) und dessen Tochter Polly (Hannah Herzsprung). Aber auch die Schöpfer des Dreigroschenstoffes selbst tauchen auf, Brecht und der Komponist Kurt Weill, gespielt von Lars Eidinger und Robert Stadlober. Der Regisseur Lang hat mehrere Jahre das Augsburger Brechtfestival geleitet, er ist ein Kenner des Sujets. Sein üppig ausgestatteter Film erzählt denn auch die Geschichte hinter der Geschichte, geht also der Frage nach: Wie könnte die Dreigroschenoper als Film aussehen? Und: Warum kam es nie zu einer Einigung zwischen Autor und Produzenten? Langs furioser Film ist ein Film über einen nicht gemachten Film über einen großen Text. Alles klar?

Bücher von Nick Hornby und Patrick Süskind werden zu Filmen für Kino und Fernsehen

In der Tat, so viel Meta-Ebene ist selten. Das weiß wohl keiner besser als Terry Gilliam, der Monty-Python-Gründer und Realitätsverschieber, der als Ehrengast nach München kommt. Der 77-Jährige stellt hier ein Lebensprojekt vor. Immerhin hat sich Gilliam fast 30 Jahre lang mit dem Stoff beschäftigt. Auch hier ist die Erzählkunst eines Autors Ausgangspunkt für eine filmische Odyssee, namentlich Don Quixote von Miguel de Cervantes. Seit den Neunzigerjahren plant Terry Gilliam einen Abenteuerfilm über den tragikomischen Windmühlen-Helden, am liebsten mit diversen Ebenen. Immer wieder scheiterte er, an der Finanzierung, an den Drehbedingungen, am Personal, an sich selbst. In München kann man nun zweierlei sehen: einen Dokumentarfilm über die frühen Fehlversuche des Projekts ( Lost In La Mancha, 2002) und das in Cannes uraufgeführte fertige Werk The Man Who Killed Don Quixote mit Jonathan Pryce in der Hauptrolle und Adam Driver als Sancho Panza respektive neuzeitlicher Werbefilmer, denn Gilliams Variation des Stoffes ist nun mal vielschichtig. Der künstlerische Umweg war das Ziel.

Mehr als 200 Filme laufen an den zehn Festivaltagen, und eine Frage wird immer drängender, je mehr Jahre Filmgeschichte vergehen: Woher kommen all die Stoffe? Nicht nur die Oscar-Gilde unterscheidet seit Jahrzehnten zwischen Originaldrehbuch und adaptiertem Drehbuch. Dass Produzenten, Regisseure und Autoren auf literarische Vorlagen zurückgreifen, gehört zum Geschäft wie Rote Teppiche zu den Premierenfeiern. In München sind nun auffällig viele dabei, Premierenteppiche wie Romanverfilmungen.

Der nach Brecht und Cervantes populärste Stoff stammt von dem britischen Gegenwartsautoren Nick Hornby. Mehrere Bücher des Fußball-, Pop- und Frauenverstehers sind bereits verfilmt worden, nun auch "Juliet, Naked", seine tragikomische Fan-Geschichte aus dem Jahr 2009. Darin lernen zwei Engländer (Rose Byrne und Chris O'Dowd) den untergetauchten US-Rocker Tucker Crowe (Ethan Hawke) kennen, und das Leben der drei wird komplett auf den Kopf gestellt. Der erste Satz des Romans macht in seiner Verschmitztheit so neugierig wie die Verfilmung: "Sie waren von England nach Minneapolis geflogen, um sich ein Klo anzuschauen."

Den wohl bekanntesten Roman des argentinischen Schriftstellers Antonio di Benedetto (1922 bis 1986) hat sich dessen Landsfrau Lucrecia Martel vorgenommen: "Zama" (auf Deutsch "Zama wartet") stammt aus dem Jahr 1956 und handelt von einem in Südamerika lebenden Funktionär der spanischen Krone, vom Selbstverständnis und Rassismus der weißen Kolonialherren im 18. Jahrhundert. Ihren auf der Geschichte basierenden Historienfilm stellt Martel persönlich vor. Auch Werke von Schriftstellern aus Japan (Haruki Murakami), Australien (Tim Winton) und Frankreich (Chantal Thomas) beziehungsweise deren Adaptionen sind im Programm.

Klar, Romanverfilmung ist nicht gleich Romanverfilmung. Während die einen Filmschaffenden versuchen, das Buch möglichst authentisch in ein Drehbuch zu verwandeln, lassen sich andere lediglich von gewissen Aspekten, Themen oder Erzählstrukturen inspirieren. So fußt die Oliver-Berben-Produktion Parfum zwar auf Ideen und Motiven aus Patrick Süskinds Bestseller; doch statt Grenouille im 18. Jahrhundert experimentieren hier ein paar Internatsschüler 250 Jahre später mit dem Geheimnis menschlichen Dufts. Die erste Folge der Crime-Story mit Wotan Wilke Möhring, August Diehl und Friederike Becht ist in der Seriensparte des Filmfests zu sehen. Kreative Ansätze, mit literarischen Vorlagen umzugehen, sind auch in der Reihe "Neues deutsches Kino" zu entdecken. Inspiriert von Arthur Schnitzlers Erotikdrama "Reigen", hat der Münchner Regisseur Rudi Gaul den Beziehungs-Reigen im Zeitalter der Dating-Apps angesiedelt. Seine München-Komödie Safari ist allerdings auch völlig ohne Schnitzler-Vorbildung leicht zu verstehen. Lässig improvisierend geht Gauls Kollege Jakob Lass mit einer Buchvorlage um. Seine pulsierend-kernige Nacht-Hommage So was von da erzählt die Geschichte des gleichnamigen Romans von Tino Hanekamp (2011). Seinen Schauspielern, darunter Niklas Bruhn, ließ er große Freiheit bei ihrem wilden Party-Ritt durch eine Silvesternacht auf St. Pauli, voller Rock, Suff, Drogen, Liebe und Verlust.

Ein Fixpunkt im Programm des Filmfests ist seit Jahren "Book Meets Film", eine wichtige Vernetzungsplattform der deutschsprachigen Buch- und Filmbranche. Hier reden Verleger und Produzenten über Bücher mit hohem Verfilmungspotenzial, über Inhalte, Optionen und Lizenzen. Damit auch künftig aus der Literatur bekannte Helden und Anithelden ihren Weg auf die Leinwand finden. So naht euch wieder, schwankende Gestalten.

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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