Schwarze Frauen in der Popmusik:Die Königin der Kostümparty

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Ob schwitzende Nymphe, Naturmädchen oder Cocktailkleidchen-Girl in finsterer Nacht: Beyoncé Knowles räumt den halben Frauenidentitätsfundus auf.

Dirk Peitz

Zwölf Outfits in vier Minuten und zwei Sekunden, die Wechsel zwischen den einzelnen Kostümen sind gar nicht mehr zählbar. So wenig wie die der Settings. Aus dem schlammfarbenen Interieur eines vergessenen Salons führt der Weg mitten hinein in die satten Felder und die subtropischen Sümpfe Louisianas, bis vor seine verfallenen Herrenhäuser, der Weg führt in die stickig-feuchte Luft eines alten Tanzsaales bis auf eine sandige Lichtung, wo sie tanzt, mit nackten Füßen tritt sie auf wie einst Josephine Baker. Das Video zu dem Lied "Deja Vu" will genau eines sagen: Beyoncé Knowles ist die schönste, verführerischste, wildeste Frau auf dem Planeten. Und "Deja Vu" ist einer der besten und erfolgreichsten R&B-Songs des Jahres.

Der Textinhalt des Liedes ist im Kern eine Liebeserklärung, die sexuell aufgeladen wird, von Kontrollverlust ist die Rede und davon, dass die Frau ihren Liebsten geradewegs einatme. Der rappt in Gestalt von Knowles' tatsächlichem Partner Jay-Z eine eher zurückhaltende Replik. Wirklich evident wird das Geschlechterverhältnis und das Spiel mit weiblichen Identitäten, das damit verbunden ist und in den Kostümwechseln Knowles' seinen Ausdruck findet, erst in der Bild-Ton-Kombination.

Da wird das alles erst bedenklich: Die Frau, so lautet die These des "Deja Vu"-Videos, findet zu sich selbst erst in der Vielzahl von Identitäten, die sie sich verfügbar macht - während der Mann nichts zu suchen braucht außer dem Zustand des In-sich-selbst-Ruhens. Jay-Z ist das Zentrum, um das sich die Frau gefallsüchtig dreht, er ist das Ziel ihres Strebens.

Pop, könnte man einwenden, ist immer auch Maskenball, und die "Deja Vu"- Kostümparty könnte man auch als harmlose Prinzessinnenfantasie interpretieren. Tatsächlich aber übernimmt das Video die Verkleidungsfantasien nicht nur wie die Mode- und Frauenzeitschriftenindustrie als Verkaufsargument und Sinnstiftung für orientierungslose Konsumentinnen - Knowles räumt gleich den halben Frauenidentitätsfundus auf.

Tanze, dann bist du

Als Whitney Houston sang, sie sei "every woman", war das eine naive Behauptung. Beyoncé Knowles will und muss erst jede Frau sein, um sie selbst werden zu können. Sie ist die wilde Schwarze à la Baker und die eigentlich unmögliche schwarze southern belle, eine Art Gegenbild zur weißen Scarlett O'Hara und zu Blanche DuBois. Sie ist die schwitzende Nymphe, das Naturmädchen im Feld, die Liebhaberin, die sich nur gerade das Hemd ihres Lovers übergestreift hat, die Celebrity-Queen im Cocktailkleidchen, die sich im Sumpf verlaufen hat.

Und obwohl man davon ausgehen kann, dass es im Moment keine selbstbestimmtere afro-amerikanische Popkünstlerin gibt als Beyoncé Knowles, verharrt sie tatsächlich im Zustand der Unfreiheit, da hilft auch keine Aneignung von Identitäten: Sie bleibt reines Fleisch, purer Körper. Was in ihrem Kopf wirklich vorgeht, erfahren wir nicht. Eigentlich ist sie: Nichts.

Interessanterweise hat derzeit eine schwarze Frau im selben Metier vergleichbaren Erfolg mit genau dem entgegengesetzten Identitätsmodell. Ciara, die vor knapp zwei Jahren mit den Singlehits "Goodies" und "1, 2 Step" aus dem Nichts auftauchte, hat in den USA gerade ihr zweites Album "Ciara: The Evolution" veröffentlicht. Es ist diese Woche von Null auf Eins in die Charts geschossen, in Deutschland erscheint es erst Anfang März.

Sound der Zukunft

Die erst 21-jährige Ciara galt zunächst als reine Produzentenerfindung: Ihre Gesangsstimme ist durchschnittlich, dafür tanzt sie sensationell und hatte das Glück, von Jazze Pha mit "1, 2 Step" einen bis heute als futuristisch gültigen Sound verpasst bekommen zu haben. Pha hat nun für die erste Single des neuen Albums einen Rip-Off von "1, 2 Step" konstruiert. Bei "Get Up" wurde lediglich eine Spur mit synthetischen Geigenpizzikati hinzugefügt, die Anmutung des Tracks ist durch mehr Flächen weicher gemacht.

Das Lied an sich ist als Dance-Track trotzdem oder gerade deswegen eine Sensation, und im Video dazu wird die absehbare autobiographische Weitererzählung Ciaras vom ersten zum zweiten Album, die der Titel "Ciara: The Evolution" ankündigt, gleichsam verfilmt. Ciara hat sich aus dem klassischen R&B- und Hip-Hop-Setting der neighboorhood entfernt, das noch in ihren ersten Videos auftauchte, und sich in eine dunkel-elegante, urbane Zukunftsszenerie begeben.

Das "Get Up"-Video spielt in einem schwarzlackierten leeren Zimmer und auf einem Hochhausdach bei Nacht. Ciara trägt zunächst eine schwarze Jogginghose und ein schwarzes Tanktop, letzteres zieht sie aus, um fürs Tanzen ein Bustier anzulegen. Da kann man ihre Bauchmuskulatur besser sehen.

Die schwarze Frau findet hier also auch wieder zunächst über die Entblößung, dann in der Ausstellung ihrer Bewegungsfähigkeit zu sich selbst, so als könne sie ihr Sein nie verbal, sondern stets nur motorisch vermitteln, und doch existiert sie nun als Entität vergleichbar der männlichen Darstellung Jay-Zs im "Deja Vu"-Video: Ciara braucht keinen weiteren Kostümtausch. Sie ist das Zentrum, von dem alle Energie und Anziehungskraft ausgeht, mit ihr tanzt eine Gruppe.

Die braucht sie zwar nicht als Gegenüber wie Beyoncé ihren Jay-Z. Sie braucht sie aber als Verstärkung. So bleibt auch Ciara unfrei, weil sie sich dem Frauenbild des R&B unterwirft: Allein ist die Frau nichts.

Aktuelle Alben: Beyoncé Knowles: "B-Day"; Ciara: "Ciara: The Evolution" (ab 9. März 2007)

© SZ v. 20.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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