Schröders Memoiren:Von Mäusen, Möpsen und Menschen

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Die Wiederentdeckung des Medienkanzlers - wie im Blätterwald ein irrwitziges Gefecht um Gerhard Schröders Erinnerungen tobt.

Michael Jürgs

Früher galten in der "Hamburger Kumpanei" strenge Bedingungen für jene, die in den nicht als gemeinnützig anerkannten Verein aufgenommen werden wollten.

"Mein ganzes Leben habe ich versucht, Grenzen immer wieder an den Horizont zu verschieben." (Foto: Foto: afp)

Die Kumpane von der anderen Straßenseite traf man nicht auf dem Spielplatz, sondern auf dem journalistischen Schlachtfeld. Dazu gehörten Stern und Spiegel und Zeit.

Aus Münchner Perspektive betrachtet war das keine ehrenwerte Gesellschaft. Franz Josef Strauß liebte es - wie sein späterer Männerfreund Helmut Kohl -, die ihnen kritisch gesonnene Presse aus Hamburg abfällig als "Kumpanei" zu bezeichnen.

Stinkt nicht

Was FJS aber nicht daran hinderte, seine Memoiren unter den beiden Finanzstarken des Dreierbundes meistbietend versteigern zu lassen. Der gebildete Lateiner wusste zeitlebens: Pecunia non olet.

Für die Strauß-Erinnerungen zahlte der Spiegel mehr als eine Million Mark, während der Stern bei 1000001 Mark ausstieg und für einen Bruchteil dieser Summe die Memoiren der Strauß-Geliebten Renate Piller einkaufte.

Die Begeisterung der Leser ließ sich an steigender Auflage ablesen. Früher war beileibe nicht alles besser, aber alle mussten bei Bedarf besser sein.

Die neue Kumpanei

Die neue Hamburger Kumpanei bestand bis Freitagmorgen aus Bild und Spiegel und der ARD. Schröders Erinnerungen werden am kommenden Montag zunächst sowohl von Bild als auch vom Spiegel veröffentlicht - auf dem Boulevard wird es ein Fünfteiler, im Magazin eine Titelgeschichte samt Interview.

Bisher wurde eine ähnliche Kumpanei nur beim Vorabdruck von Bill Clintons Memoiren praktiziert. Damit bloß keine Sonntagszeitung von Schröders süßem Honig der Erinnerungen vorab naschen sollte, war sogar geplant, das Nachrichtenmagazin an die treue Schar der Auserwählten, die das Blatt sonst stets am Samstag vor Erscheinen bekommt, erst am Montag auszuliefern.

Doch wer mit ausgebufften Pressebengeln spielt, muss immer damit rechnen, dass die sich nicht immer an die Spielregeln halten. Plötzlich wurde bekannt, dass Bild am Sonntag ein Interview drucken wird, das Herausgeber Diekmann mit Schröder über die Entstehung des Buches geführt hat.

Daraufhin beschloss Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust, sich selbst der Nächste zu sein, den Spiegel wie sonst auszuliefern und die besten Zitate aus seinem Interview - gegen die einstige Absprache - am heutigen Samstag an die Agenturen zu geben. So hat auch die Welt am Sonntag was davon.

Klasse und Masse füllt Kasse

Das war's zwar mit der Kumpanei, aber den Verlag Hoffmann und Campe wird es wohl doch freuen. Um die Million Euro einzuspielen, die er an Schröder bezahlt hat, muss Verleger Günter Berg rund 150 000 Bücher verkaufen - und mit Hilfe des Medienanwalts Matthias Prinz Koalitionen schmieden wie die zwischen Diekmann und Aust.

Angesichts der Vorkasse brauchte er Klasse und Masse. Berg ließ sich nicht von Argumenten der Bild-Hauer beeindrucken, ihre Veröffentlichungen seien so gut wie kostenlose Werbung und deshalb honorarfrei.

Verkauft worden sind Lizenzen in acht Länder, darunter China und Russland, Italien und Frankreich; die Taschenbuchrechte fielen an Ullstein.

Die nunmehr in Hamburg mit Gedrucktem handelnden Personen haben keine Berührungsängste mehr wie ihre Ahnen. Einst kostete es viel Geld, sich einen politisch brisanten Vorabdruck zu sichern, egal, ob die Autoren Willy Brandt hießen oder Helmut Kohl oder Hans Dietrich Genscher oder Franz Josef Strauß.

Auf in den Reigen!

Heute wird vor allem von Bild beinhart verhandelt. Bald dürfte es so weit sein, dass für einen Vorabdruck Geld an jene zu zahlen ist, die das Buch anbieten.

Die ARD beginnt den Schröder-Reigen an diesem Montag (21 Uhr) mit der Dokumentation Gerhard Schröder - Kanzlerjahre, verfasst von Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann.

Talker Reinhold Beckmann präsentiert den Autor eine Woche später, während der ARD-ZDF-Kanal Phoenix auf Ulrich Wickert setzt. Aus dem Gespräch des Bibliophilen werden drei 60-Minuten-Stücke geschnitten, die vom 6. bis zum 8. November zu sehen sind.

Bereits am 5. November darf im Ersten auch Sabine Christiansen ihre Fragen stellen. Falls danach das Schröder-Buch noch nicht auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste steht, müsste es mit einem Teufel zugehen, der nicht Prada, sondern Brioni trägt.

Mit Kampagnen kennt sich der Altkanzler aus. Eine "Kampagne" hatte er im letzten Jahr seiner Amtszeit vor allem jenen Journalisten aus Bild und Spiegel vorgeworfen, die er jetzt vor seinen Karren spannt. Das muss ihm eine heimliche Freude gewesen sein.

Da bis zum D-Day alles geheim bleiben muss, gibt es auch von ansonsten gut unterrichteten Berliner Greisen keine Bestätigung für einige Details rund ums 544-Seiten-Buch. Schröders Entscheidungen - Mein Leben in der Politik erscheint am 28.Oktober, zeitgleich mit dem zwei CDs umfassenden Audiobook.

Die Startauflage zum Preis von 25 Euro beträgt 160000 Exemplare. Auf Werbeplakaten wird mit einem Zitat des Autors geworben, das sowohl nach Staatsmann Schröder klingt als auch die Sehnsucht des vaterlosen einstigen Unterschichtlers Gerd ausdrückt, es denen aus der Oberschicht zu zeigen: "Mein ganzes Leben habe ich versucht, Grenzen immer wieder an den Horizont zu verschieben."

Wie üblich mit Giftzettel

Manche Genossen, die er zur Seite schob, werden sich unter S wie Scharping und L wie Lafontaine entdecken, aber auch das ist noch geheim. Wie üblich mussten alle, die Schröders Text lesen durften, einen so genannten Giftzettel unterschreiben, wonach es bei Geldstrafe untersagt wird, vor Erscheinen von Bild und Spiegel etwas über den Inhalt verlauten zu lassen.

Schreiber Schröder wurde unterstützt von seinem ehemaligen Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye. Dessen Nachfolger Bela Anda wiederum begleitet seinen einstigen Chef bei einer Lese- und Signiertournee durch 20 Städte.

Zu lesen ist etwas über Schröders Verhältnis zu George W. Bush und sein Nein zum Irakkrieg. Dass Bagdad angegriffen wurde, hat der Kanzler 2003 vom Bundesnachrichtendienst erfahren, fast zeitgleich mit den Breaking News von CNN - nicht vorab per Telefon vom großen Verbündeten.

Mit dem war schwer zu diskutieren gewesen, weil sich der US-Präsident auf Gott als Ratgeber berief, was Schröder, der sich lieber von seiner Frau Doris beraten lässt, nicht toppen konnte.

Vielleicht erzählt der Altkanzler auch, wie er bei einem Abendessen vergeblich versuchte, in Abstimmung mit Jacques Chirac, den bayerischen Hamlet davon zu überzeugen, den ihm angebotenen Job als Präsident der EU-Kommission anzunehmen.

Warum er bereits jetzt seine Erinnerungen an die sieben Jahre im Amt geschrieben hat, begründet Schröder im Interview mit der Parteizeitung Vorwärts — er ist schließlich Sozialdemokrat und muss ja auch seine Kernzielgruppe SPD bedienen -, das in der kommenden Woche erscheinen wird: "Je länger ich mir Zeit gelassen hätte, desto mehr wäre die Erinnerung verblasst."

Wie bei Frank Sinatra

Vor allem die Hintergründe für den Entschluss zur Neuwahl will Schröder aufhellen: Es müsse klar werden, dass "die Schwierigkeiten eher im eigenen Lager waren als bei der Opposition. Selbst der genialste Kommunikator kann nicht gegen die Diffamierung der eigenen Leute an. Dieses Problem erlebt die jetzige Regierung gerade wieder."

Er beruft sich auf Frank Sinatra, who did it his way - alles würde er wieder so machen, obwohl nicht alles immer so toll war. Die spontane Entscheidung, sein Engagement bei Gazprom selbst redend zu verkünden statt die Ankündigung Angela Merkel beim Staatsbesuch in Moskau zu überlassen, ärgert ihn heute allerdings.

Die Versteigerung der da noch ungeschriebenen Erinnerungen im Frühjahr hatte manchmal groteske Züge angenommen. Riese Bertelsmann hatte nach einem letzten Angebot von 750000 Euro die Spielstätte verlassen.

Die früher erfolgreiche Lottogemeinschaft Bertelsmann und Stern, die so manchen Deal trotz hoher Zusatzzahlen gemeinsam gestemmt hatte, kam nicht zustande. Die Illustrierte will eine Bilderstrecke im nächsten Blatt drucken.

Ausnahmsweise gar mit Hund

Wo bleibt unter all den Dealern eigentlich der Verlag, in dem Gerhard Schröder sein Zweitbüro hat, den er berät, wofür er gut bezahlt wird? Was macht er also in den Blättern des Schweizer Verlegers Michael Ringier? Antwort: Er wird dem Blick ein Interview geben.

An die Zürcher Arbeitsstelle darf Schröder außer seinen Bodyguards bei Bedarf auch Ex-Top-Dog Holly mitbringen. Bei Ringier ist zwar allen Mitarbeitern untersagt worden, sich ständig von Hunden ins Büro begleiten zu lassen, doch als ein Mensch mit Mops verzweifelte, sprach Verleger Ringier mit dem Pförtner - und befahl, dass dieser Mops von sofort an als Mensch zu betrachten sei.

Solche Spontanentscheidungen sind ganz nach Schröders Geschmack. Er hat derzeit ohnehin viel Anlass zur Freude. Klammheimlich natürlich - noch ist ja alles geheim.

© SZ vom 21.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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