Schröders Italienbesuch:In der Arena

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Ja, die Liebe hat bunte Flügel: Heute treffen sich Berlusconi und Schröder zum Operngipfel in Verona.

Von Volker Breidecker

(SZ vom 22.08.2003) — Verona, "das ist das erste Stadtbild, das ganz deutlich ,Italien' sagt", lautet ein Gemeinplatz der Reiseliteratur. Jahrhundertelang war die am südlichen Alpenrand gelegene alte Römerstadt das Einlasstor nach Italien.

Der nahe gelegene Gardasee verriegelte das gelobte Land auch klimatisch nach dem Norden und trieb die trüben Wolken und kalten Winde dorthin, wo sie hingehörten. Solange man in einem langsamen Takt reiste, bot die Stadt an der Etsch den ersten Höhepunkt einer jeden Italienfahrt. Hier hielt man gewöhnlich für einige Tage inne, um die Vorlust auf alle noch kommenden Freuden und Wunder Italiens auszukosten.

"Ja meine Geliebte", schrieb aus Verona einst auch Goethe an die zurückgelassene Frau von Stein, "hier bin ich endlich angekommen, hier wo ich schon lang einmal hätte sein sollen..."

Beim Kanzler Schröder, der heute und morgen Verona besucht, um sich dort mit dem italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi und dem EU-Kommissionspräsidenten Prodi zu treffen, verhält sich die Sache genau andersherum: Hier dürfte er jetzt gar nicht sein, hätte er sich selbst beim Wort genommen, als er unter starkem Theaterdonner ankündigte, Italien aus seinem Sommerprogramm zu streichen. Das war nach den ersten Höhepunkten des Festspielsommers, den Ausfällen Berlusconis, der Entschuldigung, die keine war, und der Teutonenschelte des römischen Staatssekretärs Stefano Stefani.

Doch dann kam die Einladung Prodis zum gemeinsamen Besuch der Opernfestspiele in Verona. Schröder kommentierte sie mit der ironischen Spitze, er wolle zunächst Berlusconi fragen, "ob er etwas dagegen hat". Dieser zeigte Mitleid mit dem Mann aus Hannover und hielt die Grenzübergänge offen. Berlusconi ließ sich auch sonst nicht lumpen, denn aus Verona erreichte ihn prompt eine Einladung des Bürgermeisters, doch ebenfalls an dem Opernabend in der Arena teilzunehmen.

Zur Aufführung kommt die "Carmen" von Georges Bizet. "Schnell herbeigeströmt wie's Wetter", singen gleich im ersten Akt die Gassenjungen.

Mit der Glocke Tönen

"Eilen wir herbei mit der Glocke Tönen", antwortet der Chor der Zigarettendreherinnen. Seitdem sich die Kunde von den hohen Besuchern herumgesprochen hat, sind alle Plätze ausverkauft, sicher zur Freude der Schwarzhändler vor der Arena wie auch der Schmuggler auf der Bühne: "Ach, die Zöllner sind nur Sünder."

90 Jahre nach der Eröffnung der ersten Opernfestspiele am 10. August 1913 - unter den Rufen "Viva Verdi" und mit zur "Aida" angereisten Sonderzügen aus ganz Europa - ist in dem riesigen Amphitheater am heutigen Abend die Stunde der Versöhnung zwischen Schröder und Berlusconi gekommen. "Stunde" ist allerdings eine vorsichtige Umschreibung für einen Abend in der Arena, der sehr lange dauern kann, unter Umständen bis in den Morgengrauen.

Das hängt ganz vom Wetter und dem Krisenmanagement des Hauses ab, denn für die Tücken einer Sommernacht ist keine Spielstätte anfälliger als das sich zum Himmel öffnende Oval der Arena.

"Brenn, schneide und foltre..." Wochenlang lag die Stadt unter einer Hitzeglocke. In Berlusconis Anzügen sollen ja Klimaanlagen eingebaut sein. Aber möglicherweise braucht er die gar nicht mehr, denn nach der verfluchten Afa - wie die Italiener die infernalische Sommerschwüle nennen - ist seit Tagen "maltempo" gemeldet.

Die Schreckgespenster der Arena

In Verona sind plötzlich aufziehende Gewitter und Regengüsse ohnehin keine Seltenheit. Für die Arena sind sie Schreckgespenster, weswegen Besucher wie Mitarbeiter ihre Blicke stets gebannt über den Nachthimmel schweifen lassen. Sobald auch nur ein Regentröpfchen fällt, packen die gewerkschaftlich organisierten Orchestermitglieder ihre Instrumente ein und treten solange ab, bis der Regen wieder aufhört.

Dieses Ritual kann sich an einem einzigen Abend mehrmals wiederholen. Auf der anderen Seite ist die Geschäftsführung der Arena darauf erpicht, die Aufführungen auch bei schlechten Wetterlagen nicht vor dem Ende des ersten Akts abzubrechen. Danach braucht sie die Eintrittsgelder nicht mehr zu erstatten - vorher aber schon.

Vor ein paar Jahren kam es bei einem verregneten Galaabend mit Placido Domingo zu Tumulten, als das Orchester gar nicht erst aufspielte und der Startenor ohne Instrumentalbegleitung auf der Bühne stand. Domingo ließ sich ein kleines Zelt errichten, begann zu singen und versuchte beherzt, das Auditorium zu beschwichtigen.

Das nützte aber nichts, denn das Publikum fühlte sich geprellt, buhte den Sänger aus und warf mit Sitzkissen. Nach dem Abbruch der Veranstaltung wurden die Kassen gestürmt. "Diese Menge, im Gedränge."

"À dos cuartos!" Sollte es am heutigen Abend wieder so oder ähnlich kommen, dann wäre dies die Stunde der Bewährung für das populistische Duo Schröder und Berlusconi. Werden sie gemeinsam die Bühne erklimmen, dort singen ("Euren Toast kann ich wohl erwidern") und auch die Habanera tanzen? Wahrscheinlicher aber ist, das alles doch ganz anders kommt. Die Lichter der Kerzen und Feuerzeuge werden in einer milden Brise zum sternklaren Himmel funkeln.

Auf den Rängen herrscht Picknickstimmung und es riecht allenthalben nach Gegrilltem und Gepökeltem. Gerhard Schröder wird sich wie in der Berliner Waldbühne fühlen, und wie zu Hause darf hier auch der Cavaliere Silvio Berlusconi sein: Der jedem nur denkbaren Pomp verpflichtete Regisseur und römische Parlamentsabgeordnete von Berlusconis Sammlungsbewegung "Forza Italia", Franco Zeffirelli, hat die Neuinszenierung der "Carmen" besorgt. Bleibt noch die Kartenszene...

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