Schriftsteller Maxim Biller im Interview:"Weihnachten ist das Fest des Krieges"

Schriftsteller Maxim Biller kritisiert die "familiäre Implosionsgefahr" des christlichen Weihnachtsfestes - und zieht die Unaufgeregtheit jüdischer Feste vor.

I. Mangold

Maxim Biller: Kann ich mal anfangen? Ich lese in der Bild-Zeitung gerade, Guido Westerwelle habe gesagt: "Weihnachten ist für mich vor allem das Fest des Friedens, des inneren und äußeren Friedens, von der Familie bis hin zur Welt." Ich finde, das ist ein bisschen so, wie wenn Erich Honecker sagt, die Mauer wird noch in 100 Jahren stehen. Da weiß man auch, dass sie in Kürze fällt.

Schriftsteller Maxim Biller im Interview: Wenn Weihnachten naht, dann geht der Schriftsteller Maxim Biller, Jahrgang 1960, seinen nicht-jüdischen Freunden eher aus dem Weg

Wenn Weihnachten naht, dann geht der Schriftsteller Maxim Biller, Jahrgang 1960, seinen nicht-jüdischen Freunden eher aus dem Weg

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Meinen Sie, dass die Frist des Weihnachtsfestes abgelaufen ist?

Biller: Nein, meine Vermutung ist, dass Weihnachten in Wahrheit das Fest des Krieges ist.

SZ: Wer bekriegt denn da wen?

Biller: Die jüdischen Feste, die ich kenne, auf die freut man sich, die bedeuten nicht Stress, Stress, Stress. Was ich dagegen von Weihnachten mitbekomme, ist, dass ein, zwei Monate, bevor es losgeht, meine Freunde Schweißanfälle bekommen.

SZ: Aber der Stress rührt doch daher, dass es ein herausgehobenes Fest mit hohen Erwartungen ist - und das dürfte bei entsprechenden jüdischen Festtagen nicht anders sein?

Biller: Eben doch! Und warum? Ich stelle mal eine Gegenfrage: Warum ist es tatsächlich viel entspannter bei jüdischen Festen?

SZ: Warum soll ich das wissen? Ich halte das für unwahrscheinlich, auch wenn Sie sich da natürlich besser auskennen.

Biller: Nach allem, was ich erlebt habe, ist es wirklich so. Jüdische Feste sind anständige, festliche Feste, es gibt keinen Streit, man feiert sie einfach. Sie friedlich zu nennen, wäre schon ein zu starkes Wort. Diese ganze familiäre Implosionsgefahr, die man von Weihnachten kennt, gibt es nicht. Das hat nichts damit zu tun, dass die Juden die besseren Menschen sind. Sie gehen offener und direkter miteinander um als Menschen in christlichen Familien, in denen man sich nie was sagt, aber an Weihnachten muss dann alles raus.

SZ: Hm, vielleicht sollten wir uns von den Juden eine Scheibe abschneiden?

Biller: Ich will jetzt nicht die Deutschen umerziehen, das soll Thomas Mann machen. Lebt der noch?

SZ: Ich fürchte: ja.

Biller: Der hatte ja eine jüdische Frau. Das war total peinlich für ihn, er hatte damit also, nach dem jüdischen Gesetz, sechs jüdische Kinder. Ich weiß gar nicht, wie der Weihnachten gefeiert hat.

SZ: Wie haben Sie denn Weihnachten in Ihrem Leben gefeiert?

Biller: Also gut, ich offenbare mich jetzt! Meine Eltern haben für uns, meine Schwester und mich, als wir noch in Prag waren, Weihnachten gemacht. Ja, gemacht. Sie haben einen Tannenbaum hingestellt, und meine Mutter hat - unvergesslich - so lange weiße Watte-Bahnen unter den Baum gelegt, das war der Schnee. Es gab Geschenke. Und weil wir in Prag lebten, gab es Karpfen. Einmal gab es sogar zwei lebende Karpfen, die Namen bekamen, und keiner wollte sie umbringen.

Meine Eltern hatten auch eine Ikonensammlung, weil das irgendwie cool war im Ostblock: Ikonen zu sammeln als Intellektueller, das war ein Akt des Widerstands. Als wir 1970 nach Deutschland kamen, haben meine Schwester und ich sehr schnell zu unseren Eltern gesagt: "Bitte hängt die Ikonen ab, und Weihnachten wollen wir auch nicht mehr feiern." Und das war's.

Wie Menschen sich am Sonntag der Sonntage fühlen, auf Seite 2.

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