Schlingensiefs neue Installation:Auf der Durchdrehbühne

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Die Besucher verirren sich in Isolierboxen, treffen auf Jenny Elvers als Lady Di und finden im Wahnsystem ihren Platz. Christoph Schlingensief präsentiert in der Berliner Volksbühne seine neue Installation.

Peter Laudenbach

So könnte es sich anfühlen im Innern eines menschlichen Gehirns: Wie in einem Labyrinth ineinander übergehender Gedächtnisräume. Die klaustrophobische Enge ist angefüllt mit Überbleibseln der Erfahrung, geloopten Filmsequenzen, Satzbrocken, Titeln pornographischer Romane ("11000 Ruten"), sinnlosem Geschrei und seltsam vertraut wirkenden Gestalten, die als Gespenster die Katastrophenlandschaft bevölkern.

Eine Medienikone imitiert die andere - weitgehend sprachlos jedoch geistert Jenny Elvers-Elbertzhagen (links) durch das schrille Theater-Panoptikum "Kaprow City". (Foto: Foto: dpa)

Möglicherweise befinden wir uns in dem Gehirn eines Menschen, der eben einen schweren Nervenzusammenbruch erlitten hat, oder im Schädel eines Sterbenden, in dem noch einmal Gefühle und Erinnerungen wirr und zusammenhangslos aufflackern. Eine ältere Dame sieht aus wie Queen Mum.

Lady Di und Allan Kaprow als Schutzheilige

Auf einem kleinen Monitor hält ein Double des Führers eine Rede -vielleicht handelt es sich um eine Hommage an den verstorbenen Hitler-Biographen Joachim Fest. Ein dicker Mann sitzt am Steuer eines aus Lenkrad, Mercedes-Stern und Bettstatt montierten Autos. Ein verwirrter Herr drückt jedem Besucher die Hand und eilt dann nervös weiter. Irgendwo ertönen Schreie des Schauspielers Bernhard Schütz...

Christoph Schlingensief ist an die Berliner Volksbühne zurückgekehrt. Seine Installation "Kaprow City" setzt die Serie der "Animatographen" fort, begehbaren Installationen auf großen Drehbühnen, die Schlingensief in den vergangenen Jahren auf einem stillgelegten NVA-Flughafen in Neuhardenberg, in Island, Afrika und im Wiener Burgtheater errichtet hat. Seine neue Variation dieses Formats hat mindestens zwei Schutzheilige: Lady Di und den vor kurzem verstorbenen Pionier der Aktionskunst Allan Kaprow.

Kaprow, der den Begriff "Happening" erfunden haben soll, liefert nicht nur den Titel des Abends, seine folgenreichste Aktion steht auch im Zentrum von Schlingensiefs Installation. In der Mitte der Drehbühne - zu sehen nur für die unerschrockenen Besucher, die sich durch all die Durchgänge, Zwischenwelten und Todeszellen gekämpft haben - befinden sich Separees mit weißen Wänden.

Besucher erleben ihr Happening in Isolation

In solche Isolier-Boxen hatte Kaprow am 4. Oktober 1959 die Besucher seiner New Yorker Aktion "Eighteen Happenings in Six Parts" gesperrt. Das Datum ist legendär. An diesem folgenreichen Tag begann die Geschichte der Happening-Kunst. Jeder Besucher in einer von Kaprows Boxen sah etwas anderes - und keiner sah alles.

Eben diese Konstruktion variiert Schlingensief mit seiner Versuchsanordnung. Ein Teil des Publikums verfolgt das Geschehen vom Zuschauerraum aus - und sieht auf großer Leinwand eine Liveübertragung aus dem Inneren der Bühne. Andere Zuschauer sitzen am Rand der Drehbühne oder irren durch die mit dem Gerümpel der Avantgarde vollgestopften Erinnerungsräume.

Bildet der nur Insidern bekannte Happening-Veteran Kaprow das fast unsichtbare Zentrum der Installation, versorgt der Unfalltod der globalen Pop-Ikone Lady Di die äußeren Zellen der Bühne mit Assoziationsmaterial. Ein "Princess Tunnel Paris" erinnert an die Todesfahrt der Prinzessin und an den Tag, an dem der mediale Transport, die Verwandlung von Leben in Bilder, für sie tödlich wurde - ein Shootingstar des Boulevards.

Also hat sich eine blonde, nicht mehr ganz junge Frau, von der man dachte, das Boulevard-Biotop sei ihr natürlicher Lebensraum, in diese geschlossene Anstalt verirrt. Vielleicht hat sie der Besitzer des durcheinander gewirbelten Gehirns irgendwann einmal im Fernsehen gesehen und nicht mehr vergessen. Jetzt sitzt sie in einer großen Eisenmuschel und blättert in einem Taschenbuch, einer Biographie von Lady Di.

Wo Yellow-Press und DDR-Phantomschmerz koexistieren

Die Blonde ist Jenny Elvers, ein Neuzugang in Christoph Schlingensiefs Kuriositäten-Kabinett und ein Prachtexemplar im Menschenzoo dieses Doktor Mabuse der Happening-Künste. Neben ihr hat sich ein Mensch mit Mullah-Bart in einem nostalgischen Endlos-Gesang eingesponnen. Als hätte er in seinem Singsang Schutz vor dem Durcheinander des Lebens gefunden, wiederholt er immer wieder die magischen Worte: "In der Deutschen Demokratischen Republik". Es ist sein persönliches Mantra.

Die Yellow-Press-Hölle der Jenny Elvers und der Phantomschmerz des ewigen DDR-Bürgers sind hier zwei schöne, kleine Wahnsysteme in friedlicher Koexistenz. Aus welchem Wahnsystem die weißen Kaninchen kommen, die in dem Käfig, auf dem der Bärtige sitzt, ihr Dasein verbringen, kann man nur vermuten.

Die Referenz des toten Hasen jedenfalls, der einige Zellen weiter von einem jungen Mann gestreichelt wird, ist eindeutig: Von Dürers Hasen, dem Joseph Beuys vor einigen Jahrzehnten in einer berühmt gewordenen Führung die Documenta erklärte, bis zu den toten Hasen aus Schlingensiefs Bayreuther "Parsifal"-Inszenierung reicht seine Ahnengalerie. Die kulturalistische Geisterbahn, durch die wir uns tasten, ist hochgradig mit Zuschreibungen, Zitaten und Verweisen aufgeladen - eine Assoziationsmaschine, auf deren verschachtelten Meta-Ebenen man sich allerdings schnell verlieren kann.

© SZ vom 15. September 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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