Schauspielhaus Bochum:Ideales Tauschgeschäft

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Eigentlich geht es immer nur um eines: um Liebe - und um guten Sex. Szene mit Karin Moog und Stefan Hunstein, hinten: Mercy Dorcas Otieno. (Foto: Tobias Kruse/Ostkreuz)

"Ich liebe Frankreich, ich liebe Käse": Johan Simons inszeniert Michel Houellebecqs Romane "Plattform" und "Unterwerfung". Das ist erstaunlich komisch.

Von Martin Krumbholz

Ganz am Anfang des Romans "Unterwerfung" heißt es: "Ein Buch, das man mag, ist vor allem ein Buch, dessen Autor man mag, mit dem man gern seine Tage verbringt." Ein gewagter Satz, wenn der Autor Michel Houellebecq heißt. Es gibt gute Gründe, Michel Houellebecq nicht zu mögen. Er gilt als manisch, reaktionär, provokant, unausstehlich. Er verteidigt, so scheint es zumindest, den Sextourismus in Ländern wie Thailand. Am Islam lässt er kein gutes Haar.

Johan Simons, der neue Intendant des Bochumer Schauspielhauses, hat nun in einem Bühnenbild des verstorbenen Bert Neumann gleich zwei Romane des Franzosen zu einem Theaterabend zusammengefügt: "Plattform" (2001) und "Unterwerfung" (2015). Es wird in dieser Inszenierung durchgängig viel gelacht. Dabei geht es um Kummer und Verzweiflung, um Schmerz und Vergeblichkeit. In "Plattform" fällt das Liebespaar einem Sprengstoffanschlag zum Opfer, in "Unterwerfung" geht das erzkatholische Frankreich an einen "gemäßigten" Islam verloren. Ist das komisch?

Aber ja! Es ist der Humor, der die Qualität dieser Bücher ausmacht. Wenn Myriam, die Geliebte des Helden, in "Unterwerfung" sagt: "Ich liebe Frankreich, ich liebe Käse", und François prompt erwidert: "Ich habe welchen, im Kühlschrank", muss man lachen. Myriams Eltern emigrieren mit ihrer Tochter aus Furcht vor Rechtsruck und Islamisierung nach Israel. Kann man jemanden mit Käse, und gäbe es noch so viele Sorten, an Frankreich binden? Houellebecqs Blick auf die Menschen ist beileibe nicht frei von Sarkasmus, auch nicht von Verachtung, aber er sieht in ihnen dennoch etwas Liebenswertes, etwas zu Rettendes. Sonst wäre er nicht der bedeutende Schriftsteller, der er ist.

Das freimütige Reden über Sex sorgt für gute Stimmung im Parkett

Stefan Hunstein, der in beiden Stücken den Protagonisten spielt, versucht gar nicht erst, zwischen beiden zu differenzieren. Michel aus "Plattform" und Francois aus "Unterwerfung" sind ein und dieselbe Person: ein frustrierter Mann in seinen Fünfzigern, ohne beruflichen Ehrgeiz, aber voller Verlangen nach einer großen Liebe, die er findet und verliert. Dieses sehr menschliche Liebesverlangen ist und bleibt das Zentrum der Romane, ebenso das Verlangen nach erfülltem Sex. Die freimütige und detailfreudige Art und Weise, in der das an- und ausgesprochen wird, sorgt für gute Stimmung im Parkett. Das hat nichts Schlüpfriges an sich, gerade weil Houellebecq die Einzelheiten glasklar formuliert und Stefan Hunstein es mit seinem Spiel versteht, Sympathien für ein scharfsinniges menschliches Wrack zu wecken.

Wenn Michel und Valérie in "Plattform" sich näherkommen und einen sexuellen Akt beschreiben, kleiden Hunstein und die sanft-präsente Karin Moog sich paradoxerweise an. Am Anfang des Abends, großer Effekt, war aus dem Schnürboden ein Schwall von Müll auf die Bühne gestürzt. Aus diesem Möbel- und Klamottenberg, wie nach einem Tsunami übrig geblieben, suchen die Schauspieler sich die Anziehsachen heraus, die sie so oft wie möglich wechseln. Das An- und Ausziehen wird zum Leitmotiv des Abends; ein wenig, hat man das Gefühl, auch mangels anderer szenischer Einfälle.

Die multikulturelle Besetzung des Bochumer Ensembles, die natürlich perfekt zu Houellebecq (und zu seinen Phobien) passt, sorgt für schöne Arabesken bei den Nebenfiguren. Mourad Baaiz gibt höchst neckisch (und bärtig) die junge marokkanische Putzfrau, die Michels Vater in mancher Hinsicht zu Diensten war, bevor er vom Bruder des Mädchens erschlagen wurde. Und wenn die stämmige Mercy Dorcas Otieno als Audrey mal wieder einen handfesten Ehekrach mit Michels Kompagnon Jean-Yves (Guy Clemens) vom Zaun bricht, geht eines der hässlichen Plastikmöbel zu Bruch - sei's inszeniert oder nicht. Jedenfalls geht es eher robust als subtil zur Sache, dafür aber sehr kurzweilig.

Das "ideale Tauschgeschäft", das Michel, Jean-Yves und Valérie ersinnen, klingt so einfach wie frivol: Im Westen lebt man im Überfluss, doch ohne Freude; die Menschen in der "Dritten Welt" dagegen haben nichts außer ihren Körper, mit dem sie Freude spenden können. Man sollte aber noch vor aller verständlichen Entrüstung bedenken, dass Houellebecq kein Prediger oder Weltverbesserer ist, sondern Romancier. Seine "Utopie" in "Plattform", die Errichtung einer wohltuenden Ferienkolonie, scheitert am Hass der Terroristen, die ein Blutbad anrichten.

In "Unterwerfung" geht es dann nicht mehr um die Professionalisierung und Ökonomisierung des Sex, sondern um die Versöhnung der republikanischen mit den spirituellen Traditionen, wie die Vertreter des "gemäßigten" Islam es ausdrücken, die in einem Frankreich der nahen Zukunft die Macht übernehmen. Mourade Zeguendi, ein Französisch sprechender Schauspieler, für den eigens eine Übersetzungstafel in das Bühnenchaos eingebaut wird, gibt den mephistophelischen Uni-Präsidenten Robert Rediger mit einem sardonischen Humor, der ihn mit seinem großzügig dosierten Augenzwinkern zunächst suspekt, dann aber geradezu liebenswert über die Rampe kommen lässt.

Johan Simons und seinem Team ist mit diesem verblüffenden, nämlich gar nicht provokant wirkenden Abend (zwischen den beiden Stücken gibt es eine "kulinarische" Pause) ein weiterer Coup gelungen. Und das liegt vermutlich daran, dass der bärbeißige Schalk des Niederländers mit dem düsteren Witz des Franzosen auf eine merkwürdige Art harmoniert.

© SZ vom 24.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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