Schauspielhaus Bochum:Gesprächshorror

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Ihr Dialog wird zum Ringkampf um Deutungsmacht und Sprache: Guy Clemens und Elsie de Brauw in Pinters "Asche zu Asche". (Foto: Isabel Machado Rios / Schauspielhaus Bochum)

Koen Tachelet inszeniert Harold Pinters "Asche zu Asche" hautnah am Publikum. Ein kühler Abend über Verdrängtes, das sich nicht verdrängen lässt.

Von Cornelia Fiedler

Wirklicher Horror kommt nicht von außen. Kein Alien, kein Monster ist so verstörend, wie das, was im Inneren einer Gesellschaft, einer Familie, eines Menschen schwelt. Der englische Dramatiker, Drehbuchautor und Nobelpreisträger Harold Pinter hat aus dieser Erkenntnis ein eigenes Genre entwickelt: die "Comedy of Menace", die Komödie der Bedrohung. In ihr treffen sich Party und Folter, Flirt und Völkermord. Vom Grauen, das dem leichten Plauderton immer schon innewohnt, lebt auch Pinters selten inszeniertes Konversationsdrama "Asche zu Asche" von 1996. Koen Tachelet lässt es am Schauspielhaus Bochum mitten im Publikum spielen.

Den eigenen Seelenmüll nicht nur ins Smartphone sondern zugleich in fremde Ohren zu brüllen, ist gängige Praxis in der U-Bahn, auf der Straße, im Supermarkt. Da ist es konsequent, dass der Dramaturg Koen Tachelet, der hier auch Regie geführt hat, Pinters anfangs absurden, bald unklar gewaltförmigen Dialog ebenso nah erlebbar machen will. Er setzt das Publikum auf die Bühne, verteilt auf etwa 50 zusammengewürfelte Stühle und Sessel. Zwischen ihnen steht plötzlich die Schauspielerin Elsie de Brauw als Rebecca. "Na ja, äh, ... zum Beispiel", beginnt sie, "zum Beispiel baute er sich vor mir auf und ballte die Faust..." Unklar, ob das minimale Beben ihrer Stimme von Angst oder sadomasochistischer Lust herrührt, wenn sie fortfährt, jener Mann habe sie gepackt und gezwungen seine Faust zu küssen.

Es ist die Erfahrung der Shoa, die das spielerische Rededuell so bleiern überlagert

Es könnte eines jener Gespräche werden, in denen das Gegenüber genauso gut eine Blumenvase sein kann. Doch ihr Partner Devlin - Guy Clemens spielt ihn im weißen Sakko mit kurzem Vollbart als eine Mischung aus Studienrat und Psychiater - lässt nicht locker. Er umkreist sie und uns, baut sich mal vor einer Zuschauerin auf, spricht mal von hinten scharf am Ohr einer anderen vorbei. Mit hartnäckigen Fragen und Interpretationen macht er den Dialog zum Ringkampf. Es geht um die Deutungsmacht über Rebeccas Geschichte - und um Vertrauen, um Liebe vielleicht.

Doch sie weicht aus, lenkt ab, springt von einer irritierenden Erinnerung zur nächsten. Was sie beiläufig erzählt, wird immer düsterer: Am Meer habe sie Menschen gesehen, die ins Wasser gehen mussten, ihre Taschen schwammen auf den Wogen. Von einer Fabrik ist die Rede, die ihr Liebhaber, ein Reiseleiter oder "Führer", betrieben habe; von Zwangsarbeitern vielleicht; von Frauen auf einem Bahnsteig, denen er die Babys entrissen habe. Spätestens hier ist klar, dass es die Erfahrung der Shoa ist, die dieses spielerische Rededuell so bleiern überlagert. Pinter geht es um Mitwisser, um Opfer, um Täter. Es geht um Verdrängtes, das sich nicht verdrängen lässt, weil es Realität ist, weil kein Schlussstrich, kein Schweigen, kein Sterben der Zeitzeugen es ungeschehen macht. Tachelet holt all das mit seinem Setting so nahe wie möglich an das Publikum heran. Die zurückhaltende, kühle Spielweise hält einen jedoch unerwartet auf Distanz. Man begreift, was für ein ungeheurer Schmerz in diesem kurzen, brillanten Text steckt, spürbar ist es kaum.

© SZ vom 19.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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