Schauspiel:Der Zorn einer klugen Frau

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Abdullah Kenan Karacas "Medea" am Volkstheater

Von SABINE LEUCHT, München

Medea tobt, fletscht die Zähne und hämmert mit Kopf und Händen gegen die Zelle, die Vincent Mesnaritsch als schräg zur Rampe stehenden Würfel auf die Bühne des Volkstheaters gebaut hat. Die betonfarbenen Wände raunen und flüstern. Das Hämmern klingt blechern, nicht nach viel Welt dahinter, auf die es noch ankäme. Erst am Ende, als sich die Anfangsszene fast deckungsgleich wiederholt, wird einem klar, dass die mythische Kindsmörderin hier bereits ihren Schlussdialog mit Jason antizipiert hat, der dann doch nicht kommt. Also zumindest nicht als Dialog. Denn auch nach ihrer grausigen Tat wider die Zukunft des untreuen Geliebten und ihre eigene Natur spricht Julia Richter die Worte alleine: "Du, du Schandweib. . . Du bist eine wilde Löwin, keine Frau".

Jason, gespielt von Moritz Kienemann mit blendend weißem, falschem Gebiss, der die bigotte Vernünftelei, mit der er seine neue Ehe zur Wohltat für die Altfamilie ausschmückt, vor dem Spiegel geprobt haben muss, lässt nur einen waidwunden Schrei aus dem Off hören - und als er die erstmals offen stehende Zelle betritt, schauen zwei einander tief in die Augen und erkennen die eigene Schlechtigkeit darin: Jasons brav gescheiteltes Blondhaar auf Medeas Schultern. Ihre Hände darin. Jason weint. Black out und Schluss!

Bis dahin sind die Welten von Mann und Frau in Abdullah Kenan Karacas Inszenierung von Euripides' "Medea" klar, geradezu schroff getrennt. Bei ihrem ersten Wüten ob der bevorstehenden Heirat Jasons mit der Prinzessin von Theben wird die "Barbarin" von zwei Frauen flankiert, die ihr ihren Segen geben zur Rache: Links von Medeas Kasten Mara Widmann als verhalten empathischer "Chor", rechts davon die sie noch antreibende Amme Luise Kinners. Dagegen lugt und spricht das Herrenvolk abzüglich Jason nur einigermaßen steif durch eine Scheibe in den Raum, den die Rasende nie verlässt. Mit vier fest miteinander verschweißten Plastikschalensitzen und besagter Scheibe ist er halb behördlicher Wartesaal, halb Verhörraum. Und damit ein unaufdringliches Bild für das Ausgeliefertsein eines Menschen, der für eine große Liebe alles verlassen, verraten und vernichtet hat, was ihm je etwas wert war: den Vater, den Bruder, die Heimat.

Karacas stilisierte Inszenierung ist ein interessanter und mutiger Versuch, in Medeas klugen Kopf zu schauen. Dass die Zauberin aus Kolchis für männliche (und europäische) Macht- und Selbsterhaltungsstrategien missbraucht wurde und nur noch den verzweifelten Ausweg sieht, sich an der Zukunft ihrer Feinde zu vergreifen, darin steckt auch ein Querverweis zur Radikalisierung heutiger "Fremder". Viele Lesarten des Stoffes - von Grillparzer über Heiner Müller bis Christa Wolf - spielen hier mit hinein, aber nie die erste Geige. Und die erst 25-jährige Julia Richter spielt sie wacker und mit vollem Körper- und Stimmeinsatz alle an.

Die Medea ist Richters erste Rolle am Volkstheater, ja eine ihrer ersten großen Rollen überhaupt. Und teilweise meint man, zumindest aus der ersten Sitzreihe, förmlich den Ausdruckswillen zu sehen, der ihr in den trotzig vorgereckten Unterkiefer fährt, die Beine zittern lässt und die Augen rollen. Zumal sie keine echten Spielpartner hat - das Gros der anderen Figuren erscheint zu bloßen Projektionen heruntergedimmt - ruht ziemlich viel Verantwortung auf dieser jungen Schauspielerin. Wird ihre Jugend miterzählt? Leider eher nicht. Dafür das Bröckeln der Frauensolidarität, die Machtlosigkeit einer/eines Fremden in einem selbstzufriedenen Land und der Zusammenprall matriarchaler mit patriarchalen Strukturen. So ist Karacas "Medea" ein Abend geworden, der für Verständnis wirbt für seine schreckliche Heldin und deren inneren Kampf mit sich selbst ins Zentrum stellt. Das geht ganz gut auf, bleibt aber zuweilen allzu versuchsanordnungshaft.

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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