Schauspiel:Bitte nicht stören!

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Mal zu viel, mal zu wenig Wasser: Flüchtende in ihren orange-leuchtenden Schwimmwesten. (Foto: Marion Bührle)

Bettina Bruinier bearbeitet Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen" in Nürnberg und macht aus dem Flüchtlingsdrama einen großen Abend

Von Egbert Tholl, Nürnberg

Vor zwei Jahren schrieb Elfriede Jelinek ihren Text "Die Schutzbefohlenen" - und besser geworden ist seitdem nichts. Eher schlechter. Viel schlechter. Und so schreibt sie weiter, Coda, Appendix. Wohl nicht, weil sie glaubt, dadurch etwas ändern zu können, aber die Wut ist halt da, und die muss raus. Einst war der Schreibanlass gewesen, dass in Wien ein Camp von Flüchtlingen, die in der Öffentlichkeit gegen die schlechten Bedingungen im Auffanglager protestieren wollten, aufgelöst wurde und die Flüchtlinge abermals flohen, in die Votivkirche hinein. Diese Flucht in den Kirchenraum hatte der Regisseur Michael Thalheimer recht wörtlich genommen und bei der österreichischen Erstaufführung des Jelinek-Stücks einen quasi sakralen Raum auf die Bühne des Wiener Burgtheaters gestellt, in welchem er den Text als hehre Kunst ausbreiten ließ. Das war vor einem Jahr; wiederum ein Jahr davor war die Uraufführung in Mannheim gewesen - und der Regisseur Nicolas Stemann hatte echte Flüchtlinge auf die Bühne gestellt.

Nun, am Staatstheater Nürnberg, interessieren die Regisseurin Bettina Bruinier weder die Österreich-Bezüge im Stück noch eine bei diesem Text schwierige Folklore vorgeblicher Authentizität. Dieser bedient sich der Sprache und der Argumente der Flüchtlinge, gleichwohl sprechen die Flüchtlinge mit der Selbstsicherheit des Jelinekschen Bewusstseins einschließlich aller Kalauerabgründe. Also tun bei Bruinier die Schauspieler gar nicht so, als seien sie Syrer oder Afghanen oder andere Menschen aus fernen Ländern, in denen man es nicht mehr aushalten kann. Nein, Bruinier formt eine allgemeingültige Anklage in ihrer luziden Textfassung, durchsetzt von ganz bösen, aasigen Momenten der Selbstzufriedenheit derer, die in ihrem Wohlstand nicht gestört werden wollen. Da trägt man dann Frack und trinkt Rotwein; da schwebt dann die großartige Bettina Langehein als menschliches Menetekel über der Bühne, teilt im Stakkato der Worte Menschen in "brauchbar" und "unbrauchbar" ein und redet sich in die Rage eines Nazi-Furors.

Das ist nicht der einzige Moment an diesem dichten, harten, großen Abend, an dem man daran denken muss, dass vor 80 Jahren Menschen aus Deutschland flohen und verzweifelt um Aufnahme in fremden Ländern ersuchten. Weder Elfriede Jelinek noch Bettina Bruinier hantieren mit wohlfeilen Lösungen. Ihr hier nun gemeinsamer Appell kreist ums Menschsein, um Menschlichkeit und Würde, verneint aber auch eine Aporie der Politik. Wenn man nicht handelt, geht es so aus wie im Stück: "Wir bilden den Horizont für etwas, das auch froh und glücklich enden könnte." Und dann tonlos, klanglos, hoffnungslos: "Tut es aber nicht."

Sieben Schauspieler bilden den Chor, der selten chorisch spricht, manchmal singt und sich dabei nicht unbedingt einig ist. Mal sind alle Flüchtlinge und tragen orange-leuchtende Schwimmwesten, mal stehen sich Ankommende und Daseiende gegenüber, stets sind sie Individuen, aber nicht unbedingt Figuren. Die Darsteller leihen vielen ihre Stimme, eine echte Figur wäre da viel zu wenig. Und sie entwickeln zarte, vor allem aber laute Momente. Da kann dann schon einmal die eine oder der andere in Hysterie übers Ziel hinausschießen. Doch selbst das passt fast immer, weil Bruinier so genau die Form vorgibt, dass sich diese gegen jede teuflische schauspielerische Eitelkeit behaupten kann.

Die Bühne von Mareile Krettek ist das Meer, die Mitte hebt und senkt sich, ist mal ganz verschwunden, dann stürzen die Flüchtenden hinein, dann wieder hoch und erhaben, mit vielen weißen Wasserkanistern darauf. Wasser, das den Menschen an den Grenzzäunen fehlt und von dem zu viel da ist, wenn ein Boot im Mittelmeer kentert. Darüber in Zeitlupe Filme von Booten, im Meer und am Strand, Menschen, sehr viele Menschen. Und ein paar aufmunternde Worte zum menschlichen Zusammenleben, herausgegeben vom österreichischen Innenministerium - lauter Kantsche Imperative.

© SZ vom 27.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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