Schauspiel:Außer Atem

Lesezeit: 2 min

Jakob Immervoll, Pascal Fligg, Agnes Decker und Pola Jane O'Mara (von links) in "Die lächerliche Finsternis" am Volkstheater. (Foto: Gabriela Neeb)

Volkstheater: "Die lächerliche Finsternis"

Von Egbert Tholl, München

Vor drei, vier Jahren lief dieses Stück ungefähr an jedem zweiten Theater im deutschsprachigen Raum. "Die lächerliche Finsternis" von Wolfram Lotz, ursprünglich als Hörspiel konzipiert, aber Ende 2014 war das Wiener Burgtheater schneller als die Hörspielproduktion, ist ein fabelhafter Text. Verrückt, fantasievoll, klug. Ein Text, bei dem es sich immer wieder lohnt, den Sätzen nachzulauschen. Doch dies ist am Münchner Volkstheater nicht möglich. Lukian Guttenbrunner lässt einem in seiner Inszenierung auf der kleinen Bühne dazu keine Zeit. Schade.

Zu Beginn erklärt sich Ultimo Pussi vor dem Hamburger Landgericht. Pussi ist ein "schwarzer Neger aus Somalia", angeklagt der Piraterie, weil er in einem Akt aktiver Tölpelei einen Frachter geentert hat. Es stimmt schon, Pussi hat Piraterie studiert, aber was blieb ihm anderes übrig? Er wollte mit seinem Freund Tofdau Fischer werden, aber das Meer vor Somalia war leergefischt von den internationalen Flotten, nicht einmal mehr Wasser war drin, nur noch Wut. Also studierte er, wie man fremde Matrosen erschreckt, das hat auch gut geklappt, der Rest nicht. Pascal Fligg ist Ultimo Pussi, er trägt den Text virtuos vor, aber auch mit einer Rasanz, als müsste sein Ultimo am selben Tag noch drei weitere Frachter vor der somalischen Küste überfallen.

Guttenbrunner begreift den Text als Groteske, eine Haltung, die man nach der Erfahrung von fünf verschiedenen Inszenierungen des Stoffes nicht unbedingt als gänzlich überzeugend erachten muss. Allerdings geht er in seiner Inszenierung, mit der er seine Tätigkeit als Regieassistent am Volkstheater abrundet, sehr konsequent vor. Doch wenn man die Ansicht vertritt, dass Lotz' Text auch eine große Poesie hat und man einige seiner Sprachbilder lange betrachten könnte, dann vermisst man hier doch einige Nuancen schmerzlich.

Gut, in Lotz' weiterführenden Paraphrasen von "Apokalypse now" ist viel Spinnerei drin. Doch müssen dafür alle auf der Bühne rumspinnen, die Wand eintreten und Quatsch machen, egal wie profund sie das tun? Im Kern der Handlung fahren ein Hauptfeldwebel (Pola Jane O'Mara) und ein Unteroffizier aus Ostdeutschland (hier allerdings aus Österreich, Jakob Immervoll) mit einem Boot in einen dunklen Dschungel, der sonstwo sein könnte, um einen Kollegen (Pascal Fligg) aufzuspüren, der lieber die wenigen eigenen Leute umbrachte als die vielen Feinde. Auf dem Weg begegnen ihnen ein Papagei (Agnes Decker), der vom Einschlag einer Granate in einen Bus erzählt, ein durchgeknallter Leiter eines italienischen Blauhelm-Camps (Decker), dem die Drogen seine frühe Kindheit im heimischen Dolomitendorf versaut haben, was hier allerdings gestrichen ist, ein schwarze Frauenkörper anbetender Missionar (Fligg) und ein fahrender Händler, der seine Familie im Krieg verlor, weil er unbedingt eine Markise an seinem Haus haben wollte (Decker).

O'Mara führt 100 Minuten süffisante Stoik vor, Decker ist wirklich ein Papagei, Immervoll knallt durch, Fligg bewahrt die Würde langer Schauspielerfahrung. Danach fragen einige Zuschauer, worum es eigentlich ging. Man könnte sagen, um eine Reise durch alle Kriege und alle Finsternisse und um ein Lächeln am Stadtrand von Mogadischu.

© SZ vom 16.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: