Schauspiel:Als Pippi alt und böse wurde

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Jule Ronstedt spielt Tschechow im Volkstheater. (Foto: Stephan Rumpf)

In Tschechows "Möwe" steht die Schauspielerin und Regisseurin Jule Ronstedt nach vielen Jahren Film und Fernsehen erstmals wieder auf einer Theaterbühne

Von Sabine Leucht

Über eine "bayerische Marktlücke", die gerade sie immer wieder füllen müsse, schrieb Jule Ronstedt 2008 in einer Kolumne: Die der jungen, künstlerisch begabten Frau, die gerne den Mund aufmacht. Die Lücke ist offenbar nicht kleiner geworden. Und Jugend ist relativ. Scannt man die Biografie der 1971 Geborenen, lernt man eine erfolgreiche Theater-, Film- und TV-Schauspielerin kennen, eine Autorin (Stücke, Drehbücher, Lieder, Romane), Regisseurin - und Fotografin: Naja, sagt sie. Im Vorfeld ihres Spielfilmdebüts sei sie eben "visueller durch die Welt gegangen". Das habe sich so ergeben. "Maria Mafiosi" heißt Ronstedts im Juni in die Kinos gekommene "bayerisch-italienische Komödie", das klingt entschieden solider als "Das normale Quicky-Ficky-Familien-Plimplimplim", wie 17 Jahre zuvor ihr erster Kurzfilm hieß.

Nach dem Studium an der Neuen Münchner Schauspielschule kamen die erste Hauptrolle in einer Vorabendserie, andere Drehs und sehr schnell ein Festengagement an den Münchner Kammerspielen. Von 1996 bis 2001 war sie da, ohne je mit dem Drehen aufzuhören. Und sie kündigte nicht, weil junge Schauspielerinnen in Dieter Dorns Ensemble aus Giganten oft nur "die Dekorpetersilie am Rand" waren, sondern weil sie sich mehr Zeit für ihr Kind und fürs Inszenieren wünschte.

Mit Christian Stückl habe sie dieser Tage in Erinnerungen geschwelgt: An Doris Schade, Rolf Boysen, Gisela Stein, Christa Berndl: "Praktisch alle, mit denen ich damals auf der Bühne stand, sind mittlerweile tot". Stückl aber sieht sie gerade täglich, denn Ronstedt spielt die Arkadina in "Die Möwe". Es ist sein und ihr erster Tschechow und ihre Rückkehr auf die Theaterbühne nach "mindestens 13 Jahren". "Die Möwe kam zu mir geflattert" sagt Ronstedt. "Als im Sommer der Anruf kam, war ich von der jahrelangen Arbeit an meinem Film so ausgenudelt, dass ich dachte, das ist jetzt vielleicht genau das Richtige. Denn wenn du einen Krimi nach dem anderen drehst, merkst du als Film- und Fernsehschauspielerin schon, dass die Rollen mit fortschreitendem Alter nicht spannender werden."

Nun spielt sie also die berühmte Schauspielerin, die den um "neue Formen" ringenden Schriftsteller-Sohn tyrannisiert: "Das ist ein ganz schöner Drachen, was ich von Natur aus gar nicht bin. Das finde ich spannend." Und Stefan Hageneiers "wahnsinnigen Kostüme", sagt Ronstedt, helfen ihr dabei, der Figur Kontur zu geben. Und plötzlich ist dann die Pippi Langstrumpf wieder da, die ihr 21 Jahre jüngeres Ich in Wunsiedel gespielt hat: "Denn jetzt stehe ich wieder mit knallroten Haaren und in Ringelsocken auf einer Bühne, wie eine älter und böser gewordene Pippi - aber nicht unähnlich, was die Kraft angeht und die Autonomie."

Weil es dem deutschen Film an "starken, autonomen Frauenfiguren" mangelt, hat Jule Ronstedt im Drehbuch zu "Maria Mafiosi" selbst eine erfunden. Entstanden ist eine heimlich mit dem Sohn eines Mafiabosses liierte Dorfpolizistin, die sich an einem Tatort hochschwanger eine deftige Brotzeit schmecken lässt, während ihr Kollege die Botanik düngt. "Fargo" lässt grüßen. Für die Schauburg hat Ronstedt in den Nullerjahren inszeniert und die Auftragsstücke "Südseekeller" (2006/07) und "Kein Geld für Niemand" (2010/11) geschrieben, weil es das Stück, das sie machen wollte, nicht gab. "So entstehen manchmal die Dinge", sagt sie - "aus einer Not heraus".

Komödien mag Jule Ronstedt übrigens nicht erst, seit sie in Markus H. Rosenmüllers Kino-Hit "Wer früher stirbt ist länger tot" mitgespielt hat: "Ich bringe als Schauspielerin viel lieber jemanden zum Lachen als zum Weinen." Ganz wie der Volkstheater-"Haufen", der ihr gerade Lust darauf macht, sich wieder als Theaterregisseurin zu versuchen: "Diese junge Truppe ist unheimlich gut darin, zu senden, zu improvisieren und sich reinzuhauen". Das Spiel vor Kamera und Mikrofon, das sie derzeit gewohnt ist - "da kannst du ganz klein, fein und psychologisch sein" - sei dagegen "fast ein anderer Beruf". Da passt es ganz gut, dass es in der "Möwe" auch um verschiedene Auffassungen von Theater geht. "Ja", räumt Jule Ronstedt ein, "vielleicht spiele ich anders. Ich bin ja die Dorn-Schule gewöhnt." Manchmal zucke sie deshalb innerlich zusammen, "wenn jemand ein Wort sagt, das nicht im Text steht. Dann brauche ich Bestätigung, dass das okay ist." Und die bekommt sie auch.

Die Möwe, Volkstheater, Premiere: Do, 26. Okt., 19.30 Uhr

© SZ vom 26.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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