Schauburg:Klein, fein, fantastisch

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Ein letzter großer Auftritt: Lucca Züchner und Thorsten Krohn (v. l.) in "La Strada", im Rhönrad steht Regina Speiseder Kopf. (Foto: Digipott)

Das Ensemble verabschiedet sich

Von Petra Hallmayer, München

Wir wissen es ja: In jedem Abschied steckt das schöne Versprechen eines Neuanfangs. Aber erst einmal ist es traurig, zumal wenn der Abschied ein so vielfacher ist wie in der Schauburg. Am Ende der Spielzeit werden alle Schauspieler das Haus verlassen. Natürlich sind Regisseure wahnsinnig wichtig, aber es sind doch die Schauspieler, mit denen man als Zuschauer seine Abende verbringt. Was war das nicht für kleines, feines, fantastisch wandlungsfähiges Ensemble! Bei jedem, der in den folgenden Zeilen zu kurz kommt, wollen wir uns entschuldigen. Wir werden sie alle vermissen: Peter Wolter, Regina Speiseder, Nick-Robin Dietrich, den fabelhaften Markus Campana, der nicht nur als rebellischer Prinz Eisenherz die Mädchenherzen eroberte, und Lucca Züchner, die einen so eigenwillig be- und verzauberte, zuletzt in "La Strada" als traurig kluge Gelsomina, die von Thorsten Krohns Gaukler Zampanò ausgebeutet wird.

Als Beat Fäh seine letzte Inszenierung vorbereitete, da suchte er gezielt nach einem Stoff für Züchner und Krohn, denen er mit seiner Fellini-Adaption ein Abschiedsgeschenk machte, zwei große Rollen, in denen sie noch einmal glänzen konnten. Tatsächlich ist es für Ensemblemitglieder an anderen Häuser leichter imposante Rollennamen aufzulisten als an der Schauburg, wo oft alle in mehrere Figuren schlüpften. Oder wie in Boysens "Der König hinter dem Spiegel" als eine Horde herrlich musikalischer Tiere umhertollten: als Nachtigall (Speiseder), Geier (Campana), Steinhuhn und Schwan (Züchner), als pummliger klavierspielender Spatz (Dietrich) und meckernde Fledermaus im Frack (Krohn). Hamlet und Mephisto klingen einfach besser und karrierefördernder in einer Biografie.

Einen darf man in der tollen Truppe schließlich doch herausheben, weil er die Ära Podt besonders lang und eindringlich verkörpert hat: Keiner hat in mehr Produktionen mitgewirkt als Thorsten Krohn, der sechs Jahre in Roberto Ciullis Theater an der Ruhr auf der Bühne stand und 1990 zunächst als Gast an das Haus am Elisabethplatz kam. Krohn, befand ein SZ-Kritiker nach der Premiere der dunklen Familienballade "Jenseits von Eden", ist ein Schauspieler "der machen kann, was er will, es ist herrlich ihm zuzusehen". Sein Spiel, erklärte er selbst einmal, sei "geprägt vom Ciulli-Theater mit seiner philosophischen Sicht der Dinge, das eine eigene Welt kreiert und dabei zugleich den Globus umfasst". Diese Haltung war auch in seiner Arbeit an der Schauburg spürbar, für die er heuer mit dem Schwabinger Kunstpreis ausgezeichnet wird.

Er war ein schillernd böser Fabrikant in Gil Mehmerts Version von "Die Weber", er zog einen als Goldschmied und Mörder in dessen Rockmusiktheaterkrimi "Scuderi" mit seinem unheimlichen Blick in seinen Bann. Er pries in Boysens "Prinz Eisenherz"-Bühnenhit als König Arthur hohltönend Demokratie und Freiheit. Er verlieh seinem Maulwurf in Peter Enders Jandl-Fantasie "Fünfter sein" den melancholischen Zauber und Witz des alten osteuropäischen Theaters. Wie er da triumphierend eine Schnitte verspeiste, ängstlich danach lurend, dass ihm keiner etwas wegnimmt, erzählte diese banale Szene wirklich etwas über die Welt und die Menschen. Bei ihm wurden auch kleine Rollen groß. Er konnte verstören und betören, brachte Kinder zum Juchzen, Erwachsene zum Staunen und alle zum Nachdenken.

Sich an junge Zuschauer anzubiedern, herabzubeugen auf ein vermeintlich altersadäquates Niveau, sich für die Kleinen klein zu machen, erschien Krohn und dem gesamten Ensemble immer unsinnig. Das illustrierte mit feiner Ironie eine Szene in der gruselig-komischen Dichter-Hommage "Poe & Charms". Da stand Krohn irritiert vor einem winzigen Stuhl, auf den er sich setzen sollte. Woraufhin Peter Ender ihm mit einem Schulterzucken grinsend erklärte: "Kinder- und Jugendtheater."

Die Auseinandersetzung mit anspruchsvollen literarischen Texten und eine präzise Sprach- und Sprechkultur gehörten ebenso zu den Eigenheiten von Podts Schauburg wie Bilder, die nicht auf den ersten Blick zu entschlüsseln sind. Nicht minder wichtig aber war der Spaßfaktor.

Existenzielle Themen mit purem Theaterspaß verband Krohn auch in seinem Regiedebüt mit dem Jules-Verne-Klassiker "20000 Meilen unter den Meeren", dessen heimlicher Star eine von Taison Heiß und Greulix Schrank gebastelte glucksende, klirrende und klingelnde Musikmaschine war. Gemeinsam mit Heiß inszenierte Krohn ein an köstlichen Einfällen reiches Stück, in dem er selbst als von der Menschheit enttäuschtes Genie und Despot auftrat und Lucca Züchner (wieder einmal) hinreißend eine Roboterfrau mimte.

Für die zahlreichen unvergesslichen Momente, die er uns geschenkt hat, erhält er nun am 26. Juni den Schwabinger Kunstpreis. "Thorsten Krohn", heißt es in der Begründung, "ist ein vielseitiger Künstler, zäh und grazil zugleich, melancholisch - und bisweilen hochkomisch. Er ist Charakterdarsteller und Gaukler, Tragöde und Komödiant." Aufgrund seiner "außerordentlichen und kontinuierlichen Arbeit an der Schauburg", erklärt die Jury, habe er diesen Preis "unbedingt verdient". Dem kann man sich nur anschließen. Bedanken wollen wir uns aber auch bei seinen wunderbaren Mitspielern, die uns über all die Jahre immer wieder bewiesen haben, dass auf einer Kinder- und Jugendbühne großes Theater glücken kann.

© SZ vom 14.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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